Thomas Müntzer
geboren um 1489 in Stolberg (Harz)
Universitätseinschreibung im Jahre 1506 in Leipzig
hingerichtet am 27. Mai 1525 bei Mühlhausen (Thür.)
Reformation ohne Kompromisse
Ohne Luther keine Reformation - aber was ist mit den anderen Reformatoren? Etwa mit Thomas Müntzer? Er war anfangs Luthers Bruder im Geiste. Dann trennten sich ihre Wege. Es blieb nicht bei wüsten wechselseitigen Beschimpfungen. Die Situation eskalierte. Bauernaufstände führten zum Bauernkrieg. Wie kam es zu diesem brutalen Gemetzel?
Von Christian Pietscher
(dpa-Zentralbild / Hendrik Schmidt)
"Betrachtet Euren Gott aus der Nähe und nicht aus der Ferne; glaubt, dass Gott lieber spräche, wenn Ihr bereit seid zum Hören!"
Thomas Müntzer schreibt dies 1522 in einem Brief an Philipp Melanchthon, die rechte Hand des deutschen Reformators Martin Luther. Seine Mitstreiter in Wittenberg sollten nicht so sehr am toten Buchstaben der Bibel kleben. Stattdessen sollten sie dem heiligen Geist mehr Raum geben. So würden sie von Gott direkt angesprochen.
"Liebe Brüder, lasst Euer Trödeln! Es ist Zeit! Lasst Euer Säumen; der Sommer ist da. Sucht keinen Ausgleich mit den Verworfenen; denn die verhindern, dass das Wort mit großer Kraft wirkt. Auch Eurem Fürsten schmeichelt nicht; sonst werdet Ihr zugrunde gehen, und davor behüte Euch der hochgelobte Gott."
So lässt Müntzer in apokalyptischer Perspektive sein exklusives Glaubensverständnis anklingen. Er will eine Reformation ohne Kompromisse, ohne Zugeständnisse an die Machthaber.
Ein paar Jahre früher, als Martin Luther 1517 seine Thesen zum Ablass veröffentlicht, sieht sich Thomas Müntzer mit dem Reformator noch ganz auf einer Linie. Unabhängig von Bußleistungen, die die katholische Ablasspraxis fordert, lautet Luthers Botschaft: Der Mensch wird gerechtfertigt - allein aus Glauben. Und dieser entsteht beim Hören auf das Wort Gottes. Der Berliner Kirchenhistoriker Siegfried Bräuer:
"Müntzer ist da mitgegangen, war ein Mitarbeiter, ein Mitstreiter, bis zur Zwickauer Zeit. Und dann muss er wahrgenommen haben, dass das von Luther vorausgesetzte elementare Erlebnis bei jedem Gläubigen, dass der überwältigt ist von dieser Zusage, dass das nicht in der Tiefe genug greift."
Wer ist dieser Thomas Müntzer, dass er sich vom großen Reformator aus Wittenberg distanziert und Luther mit seiner Theologie für zu oberflächlich hält?
Thomas Müntzer wird 1489 in Stolberg im Harz geboren. Nach dem Studium in Leipzig und Frankfurt an der Oder folgt die Priesterweihe und mehrere Predigtvertretungen. 1520 vermittelt ihm Luther eine Stellte an der Marienkirche in Zwickau. Hier vertritt er einen umstrittenen Prediger.
Johannes Silvius Egranus ist Humanist und Anhänger des Erasmus von Rotterdam. Er sagt: Für die Bibelauslegung seien zwar die Gelehrten zuständig; der Heilige Geist habe aber ausschließlich in den Aposteln gewirkt. Seitdem es die Kirche gibt, werde er als lebendige Kraft Gottes nicht mehr benötigt. Kirchenhistoriker Siegfried Bräuer:
"Und da geht Müntzer aus den Schuhen - kurz gesagt - weil er meint, das ist ja Irrlehre. Unter der Fahne der Reformation, der reformatorischen Verkündigung, wird hier eine ganz andere Botschaft verkündigt, für Intellektuelle usw."
Für Müntzer ist das Wirken des Geistes Gottes, das jeder Mensch erfahren kann, eine der wichtigsten theologischen Entdeckungen. Insofern stellt die Auffassung des Egranus einen Frontalangriff auf die Grundlagen des christlichen Glaubens dar. In Wittenberg genießt Egranus jedoch weiterhin Sympathie. Dort schätzen die reformatorischen Kräfte jenen umstrittenen Prediger, den Müntzer vertritt. Denn sein Name steht wie der Martin Luthers auf der päpstlichen Bannandrohungsbulle, und er gilt damit ebenso als Gegner Roms. Obwohl er in wichtigen Punkten von der neu gewonnenen evangelischen Auffassung abweicht, wird Egranus von Luther geschont.
"Das hat Müntzer nicht gelten lassen. Und später schreibt er in seinem letzten Brief an Luther: Es war für mich unerträglich, dass du versucht hast, Verständnis bei mir zu erwecken für diesen Irrlehrer, für den, der die reformatorische Botschaft im Kern verfälscht."
In seinem Brief an Luther von 1520 bittet Müntzer ihn noch um Rat, wie er mit der Causa "Egranus" umgehen solle. In Zwickau sieht er sich nämlich mit unterschiedlichen politischen und religiösen Kräften konfrontiert, die den humanistischen Prediger halten und keine Störung der öffentlichen Ordnung wollen.
(dpa-Zentralbild / Hendrik Schmidt)
Der Konflikt in Zwickau eskaliert. Am Ende entscheidet der Stadtrat, Thomas Müntzer habe das Ganze angezettelt, und entlässt ihn als Prediger.
Müntzer orientiert sich nun Richtung Böhmen, reist nach Prag. Hier hat der Reformpriester Jan Hus bleibende Spuren hinterlassen.
"Gott will wunderliche Dinge mit seinen Auserwählten tun, sonderlich in diesem Lande. Denn die neue Kirche wird hier anfangen, und dieses Volk wird der ganzen Welt ein Spiegel sein."
Schreibt Thomas Müntzer im Herbst 1521 im Prager Sendbrief. Die neue Kirche sei bitter nötig, weil die alte nicht mehr tauge als Vorbild für die Welt.
"Den unerträglichen und bösen Schaden der Christenheit habe ich mir tief betroffen zu Herzen genommen, nachdem ich mit ganzem Fleiß die Geschichte der Kirchenväter gelesen habe. Ich finde, dass nach dem Tode der Apostelschüler die unbefleckte, jungfräuliche Kirche durch den geistlichen Ehebruch zur Hure geworden ist, und zwar der Gelehrten halber, die immer oben sitzen wollen."
Dementsprechend lässt Thomas Müntzer an den katholischen Geistlichen und Amtsträgern kein gutes Haar und nennt sie:
- "Herren, die nur fressen und saufen"
- "hochverdammte Bösewichte"
- "eine Plage des armen Volkes"
- "wuchersüchtige und zinsaufrichtende, hodensäckige Doktoren"
- "Hurenhengste und Labscheißer"
- "des Teufels Pfaffen"
Anders als erwartet lernt Müntzer in Prag jedoch nur zerstrittene kirchliche Gruppierungen kennen. Enttäuscht verlässt er die Stadt und kommt nach einigen anderen Stationen in das kursächsische Allstedt. Dort heiratet er die ehemalige Nonne Ottilie von Gersen.
Verständlichkeit der religiösen Praxis und Nähe zum Volk - das waren sicher Punkte, auf die Müntzer und Luther gleichermaßen Wert legten. Doch auf grundlegende theologische Fragen formulierten sie sehr unterschiedliche Antworten. Siegfried Bräuer:
"Das endgültige Zerwürfnis ist in Allstedt passiert. Da hat Müntzer noch einmal versucht, brieflich Kontakt aufzunehmen mit ihm und hat gerungen um ihn, da findet sich der Satz im Latein: 'Lass doch die alte Liebe wieder neu werden!' Und Luther hat nicht geantwortet."
Hatte Martin Luther die Vorfälle in Zwickau noch toleriert und zur Mäßigung aufgerufen, markiert Müntzers Wirken in Allstedt eine Wende. Dort legt er sich mit der Obrigkeit an und wird so zum wichtigsten Gegenspieler Luthers.
Bereits 1524 macht sich Müntzer über die Luther-Anhänger lustig. Er sagt, dass sie "leichtlich zum Christenglauben kommen, wenn sie nur dran denken, was Christus gesagt hat."
"Nein, lieber Mensch, du musst erdulden und wissen, wie dir Gott selber dein Unkraut, Disteln und Dornen aus deinem fruchtbaren Lande, also aus deinem Herzen, reutet. Auch wenn du schon die Bibel gefressen hättest, hilft dies nicht - du musst den scharfen Pflugschar erleiden."
Damit wendet sich Müntzer gegen zwei Grundpfeiler lutherischer Theologie. Mit dem "sola scriptura" - "allein durch die Schrift" und mit dem "sola fide" - "allein aus Glauben" mache es sich Luther zu leicht - so sein Vorwurf. Das stellvertretende Leiden Christi für sich im Glauben anzunehmen, reiche nicht aus.
"Er spottet ja geradezu - was Bonhoeffer später 'billige Gnade' nennt, könnte auch bei Müntzer stehen - als Verdacht: die billige Gnade. Er nennt es den 'leichten Christus', den 'süßen Christus'. Ihr verkündigt den süßen Christus, der leicht anzunehmen ist. Ihr müsst aber den bitteren annehmen. Er verlangt, dass jeder Christ eine Art von Nachfolge Jesu, also auch wie Jesus lebt. Und zwar im Innern, im Personenkern - Seelenabgrund nennt er das, nach dem Beispiel der Mystiker - im Kernbereich seiner Person."
In den Jahren 1520 bis 1525 geht es in der reformatorischen Bewegung darum, wer in entscheidenden Momenten den Ton angibt. Martin Luther sieht Thomas Müntzer und andere Abweichler als "Schwärmer", denen es wie schwärmenden Bienen an innerer und äußerer Ordnung mangele. Was dann wiederum in politischem oder kirchlichem Aufruhr münden könne. Dazu schreibt Christian Peters, Kirchenhistoriker in Münster:
"Was die Schwärmer so gefährlich macht, ist für Luther ihre Missdeutung der christlichen Freiheit. Sie drängen auf energische Verwirklichung der reformatorischen Anliegen und wollen die Menschen hierzu auf eine bestimmte Form der kirchlichen Gebräuche und Handlungen sowie ein besonders ethisches Verhalten festlegen."
Wenn Müntzer behauptet, der Heilige Geist berühre die Menschen direkt - unabhängig von der Bibel und den Sakramenten - dann ist das für Luther ebenfalls "Schwärmerei". Gott will und kann nur durch diese äußeren Heilsmittel wahrgenommen werden.
In Allstedt spitzt sich die Lage 1524 weiter zu. In der sogenannten "Fürstenpredigt" legt sich Müntzer mit der Obrigkeit an.
"Lasst die Übertäter nicht länger leben, die uns von Gott abbringen. Denn ein gottloser Mensch hat kein Recht zu leben, wo er die Frommen behindert. Darum, ihr teuren Väter von Sachsen, ihr müsst es wagen um des Evangeliums willen."
Die Obrigkeit müsse die Gottlosen bestrafen und die Frommen beschützen - das sei ihr göttlicher Auftrag.
"Wenn dies aber nun auf redliche Weise und füglich geschehe, so sollen es unsere teuren Väter, die Fürsten, tun, die Christum mit uns bekennen. Wo sie aber das nicht tun, so wird ihnen das Schwert genommen werden."
Mit diesen Worten begründet Thomas Müntzer ein Widerstandsrecht gegenüber den weltlichen Machthabern. Ganz im Gegensatz zu Martin Luther, der die Gott gegebene Autorität der Obrigkeiten nie in Frage stellt. Fast zur gleichen Zeit - ohne jedoch Müntzers Appell an die Fürsten zu kennen - sagt Martin Luther zum ersten Mal den Gegnern aus den eigenen Reihen öffentlich den Kampf an. In dem "Brief an die Fürsten zu Sachsen von dem aufrührerischen Geist" nennt er Müntzers Theologie eine furia - eine Raserei des Satans. Kirchenhistoriker Siegfried Bräuer:
"Im Grunde genommen ist hier etwas ganz Rätselhaftes. Luther hat gemeint - das schreibt er auch in seinem Brief an die Fürsten zu Sachsen: Der Satan hat versucht, lange Zeit die Entdeckung des Evangeliums kaputt zu machen, durch den Papst, durch die katholische Kirche, mit Gewalt - das ist alles nicht gelungen. Und nun fängt er in unseren Reihen, mitten unter uns an. Er hat gemeint, Müntzer ist zum Instrument des Gegners der Reformation geworden: des Satans. Und von daher kommt die Erbitterung."
Für Luther müssen die beiden Reiche, das materiell-irdische und das religiös-geistliche unterschieden werden. Man könne nicht mit Gewalt das Reich Gottes auf Erden errichten. Aber genau diese apokalyptische Vorstellung hat Thomas Müntzer. Er will die endzeitliche Revolution, Luther auf Dauer angelegte Reformen - beides passt nur sehr schwer zusammen.
Es kommt auch zu keinem Gespräch zwischen den Kontrahenten. Sie lehnen es ab, auf den anderen zuzugehen. Beide sehen die Erneuerung Deutschlands und der Welt in einer dezidiert heilsgeschichtlichen Perspektive, in der für einen zweiten Protagonisten kein Platz ist.
Auch für Luther steht fest, dass nur er einen prophetischen Auftrag von Gott habe.
"Ich weiß aber, dass wir, so wir das Evangelium haben und kennen, den rechten Geist haben."
Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann erwähnt in diesem Zusammenhang einen weiteren Faktor, der dem Reformator 1523/24 Auftrieb verschaffte.
Luther sah in dem immensen und analogielosen Erfolg seiner selbst und ihm nahestehender Publizisten in der Zeit der Hochphase der reformatorischen Flugschriftenproduktion einen von Gott heraufgeführten "Siegeslauf des Evangeliums", ein einmaliges eschatologisches Zeichen am Ende der Zeiten.
Müntzers Appell an die Fürsten bleibt ohne Antwort und seine Anhänger verlieren im Sommer 1524 zunehmend an Rückhalt. Thomas Müntzer ist sich inzwischen sicher, ...
"... dass ein Blutvergießen über die verstockte Welt ergehen soll, um ihres Unglaubens willen. Die Herren und Fürsten, wie sie sich jetzt darstellen, sind keine Christen."
Müntzer verlässt Allstedt und sucht in Thüringen in der freien Reichsstadt Mühlhausen einen neuen Wirkungskreis. Dort bereitet er den Boden für ein "anderes Regiment" vor. Er gründet mit Gleichgesinnten den "Ewigen Bund Gottes", eine endzeitlich gestimmte Bewegung, die sich gegen Fürsten und Klerus auflehnt. Diese Rebellion gegen die Obrigkeit - sie kann vor 500 Jahren nur in einem Blutvergießen enden.
Die Gewalt dem "gemeinen Volk" geben
Zunächst waren Martin Luther und Thomas Müntzer sich nahe. Dann kam es zum Bruch. Müntzer und Luther bezeichnen sich derweil wechselseitig als "Eselsfleisch" und "Erzteufel". Letztlich geht es darum: Soll die Reformation mit den politisch Mächtigen durchgesetzt werden - oder auch gegen sie? Müntzer zettelt ein Aufstand der Bauern in Mühlhausen an. Der eskaliert.
Thomas Müntzer verliert 1524 seinen Rückhalt. Im kursächsischen Allstedt hatte er den Fürsten ihr Christsein abgesprochen. Der aufmüpfige Prediger verlässt Allstedt und sucht in der freien Reichsstadt Mühlhausen in Thüringen einen neuen Wirkungskreis. Ein "anderes Regiment" - das ist sein Ziel. Er gründet den "Ewigen Bund Gottes". Der Historiker Günter Vogler beschreibt, wer dazu gehörte.
"Hauptsächlich handelte es sich um Zunfthandwerker, darunter mehrere Fleischer, Gerber, Leineweber, Sattler, Schmiede und Schneider. Ein großer Teil war allerdings besitzlos und gehörte den unteren Vermögensgruppen an."
Doch auch in Mühlhausen kann sich Müntzer zunächst nicht durchsetzen. Der fürstliche Druck von außen und der Widerstand vieler Bürger der Stadt sind zu groß. Mit einem seiner Mitstreiter wird er ausgewiesen. Nach der turbulenten Zeit in Allstedt und Mühlhausen kommt Thomas Müntzer endlich dazu, sich gegen die Angriffe seines Erzrivalen, Martin Luther, zu verteidigen. In Nürnberg erscheint im Dezember 1524 eine Schrift mit dem Titel:
"Hoch verursachte Schutzrede und Antwort wider das geistlose sanft lebende Fleisch zu Wittenberg, welches mit verkehrter Weise durch den Diebstahl der heiligen Schrift die erbärmliche Christenheit also ganz jämmerlich besudelt hat."
Unter Anspielung auf die alttestamentlichen Propheten Jeremia und Hesekiel attackiert er darin Luther ganz persönlich:
"Schlafe sanft, liebes Fleisch! Ich röche dich lieber gebraten in deinem Trotz durch Gottes Grimm in der Röhre oder Topf beim Feuer. Denn in deinem eigenen Südlein gekocht sollte dich der Teufel fressen. Du bist ein Eselsfleisch, du würdest langsam gar und ein zähes Gericht werden deinen Milchmäulern."
Im Winter 1524/25 unternimmt Thomas Müntzer eine Reise nach Basel und Südwestdeutschland. Dort erlebt er erstmals mit, wie sich Bauern gegen die Obrigkeit auflehnen. Die deutschen Bauern gehörten zu den großen Verlierern im Übergang vom Mittelalter zur frühen Neuzeit, schreibt der Luther-Biograph und Historiker Heinz Schilling.
"Je höheren Erlös die Agrarprodukte versprachen, desto stärker legten die Grund- und Leibherren ihren Bauern die Daumenschrauben an und verlangten immer höhere Abgaben."
Besonders Kleinbauern hatten darunter zu leiden, weil sie den Druck nicht durch Größe kompensieren konnten. Mit dem Hinweis auf Gottes Recht, das höher als Fürstenrecht ist, wollten die Bauern keine ungerechtfertigten Abgaben mehr leisten. Der Ruf nach mehr Eigenständigkeit wurde laut. Und zu den Waffen zu greifen, lag da nicht mehr fern.
Im Februar 1525 kehrt Thomas Müntzer zurück nach Mühlhausen und zettelt einen Aufstand an. Mit seinen Anhängern setzt er an die Stelle des Honoratiorenrats den "Ewigen Rat" ein, der die Regierungsgeschäfte der Stadt übernimmt.
die Thomas Müntzer angezettelt hatte. (Zentralbild)
Unter einer Fahne mit einem Regenbogen - in Erinnerung an Gottes Bund mit Noah - sollen sich alle Auserwählten sammeln und in Erwartung des endzeitlichen Gerichts in die letzte Schlacht ziehen. Nach diesem Freiheitskampf werde dann - so Müntzers Vision, die Gewalt dem "gemeinen Volk" gegeben.
"Dran, dran, solange das Feuer heiß ist! Lasset euer Schwert nicht kalt werden, erlahmt nicht! Schmiedet pinkepanke auf den Ambossen Nimrods, werfet ihnen den Turm zu Boden!"
Müntzer spielt an auf den Turm zu Babel, das Symbol der gottlosen Überheblichkeit der Tyrannen.
"Dran, dran, solange ihr Tag habt; Gott geht euch voran, folget, folget!"
Die Aufständischen - unter ihnen Handwerker, Bergknappen und Bauern - zerstören Schlösser und Klöster, vertreiben Nonnen und Mönche, töten Adlige und wollen die neue Ordnung Gottes aufrichten. Der Historiker Günter Vogler zählt auf, was sie in Frankenhausen im April 1525 vom Rat der Stadt fordern. "Die Wahl des Rats durch die Gemeinde, die unverfälschte Predigt des Evangeliums, die Pfarrerwahl und die Einziehung des Kirchenguts. Steuern sollten nach altem Herkommen entrichtet, aber nicht erhöht, andere Abgaben abgeschafft werden, und jedem erlaubt sein, Wiesen, Gewässer, Wälder und Wildbahn zu nutzen."
Martin Luther nimmt in der Auseinandersetzung mit den Bauern zunächst eine vermittelnde Rolle ein. In seiner Flugschrift "Ermahnung zum Frieden" redet er noch beiden Konfliktparteien ins Gewissen: den Bauern und den Fürsten. Doch sein Vermittlungsversuch kommt zu spät. Längst hatten beide Seiten Blut vergossen. Zwei Wochen später revidiert Luther seine Meinung und verfasst den Aufruf "Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern". Über Thomas Müntzer und seine Anhänger fällt er ein vernichtendes Urteil.
"Sie treiben eitel Teufelswerk, und in Sonderheit ist`s der Erzteufel, der zu Mühlhausen regiert und nichts denn Raub, Mord, Blutvergießen anrichtet."
Der "Sieg Christi" über diese "Mächte der Finsternis" besteht für Luther nun darin, dass die Fürsten ihrer christlichen Pflicht als Obrigkeit nachkommen und mit allen Mitteln für Ruhe und Ordnung sorgen.
"Drum, liebe Herren, löset, rettet, helft, erbarmet euch der armen Leute; steche, schlage, würge hier, wer da kann! Bleibst du darüber tot, wohl dir, einen seligeren Tod kannst du nimmermehr erlangen. Denn du stirbst im Gehorsam gegenüber dem göttlichen Wort und Befehl."
Luthers harte Worte erreichen die Fürsten zwar nicht mehr vor der entscheidenden Schlacht. Aber die fürstlichen Truppen handeln bereits in seinem Sinne. Und sie sind dem thüringischen Bauernhaufen militärisch weit überlegen. Am Ende liegen etwa 5.000 Aufständische tot auf dem Schlachtfeld bei Frankenhausen und in den Straßen der Stadt. Das Fürstenheer hat erbarmungslos zugeschlagen und beklagt gerade einmal sechs Tote. 50 "Aufrührer" werden anschließend hingerichtet, viele andere samt ihren Familien aus der Stadt vertrieben.
(picture-alliance / ZB / Heinz Hirndorf)
Müntzer selbst wird gefangen genommen und schreibt zwei Tage später aus dem Kerker an den Stadtrat und an seine Gemeinde in Mühlhausen:
"Die Schlappe von Frankenhausen ist ohne Zweifel daraus entstanden, dass ein jeder seinen Eigennutz mehr gesucht hat als die Rechtfertigung der Christenheit."
Müntzers Reaktion auf die Niederlage interpretiert Heinz Schilling so:
"Das war kein Zynismus, sondern Ausdruck der Tatsache, dass auch Thomas Müntzer nicht die revolutionäre Umgestaltung der Welt zugunsten eines besseren irdischen Lebens der Armen im Auge hatte. Nicht anders als sein Wittenberger Widerpart hatte auch er letztlich ein heilsgeschichtliches Ziel verfolgt, nämlich die 'Rechtfertigung der Christenheit' im Ringen mit dem Antichrist."
Auch Folter und Haft können Thomas Müntzer am Ende nicht einschüchtern. "Heil und Seligkeit" empfängt er jetzt, als er "Angst, Tod und Hölle" erleidet. In dem Abschiedsbrief an seine Anhänger in Mülhausen zeigt er sich zufrieden, ...
"... nachdem es Gott also wohlgefällt, dass ich von hinnen scheiden werde in wahrhaftiger Erkenntnis des göttlichen Namens." Thomas Müntzer wird am 27. Mai 1525 öffentlich enthauptet und sein Leib zur Abschreckung auf einen Pfahl gespießt.
Den Kampf um die Leitungsfunktion in der reformatorischen Bewegung hat Thomas Müntzer verloren. Es war einfach kein Platz für zwei Führungspersönlichkeiten, von denen sich jeder als einziger Bote und Prophet Gottes verstand.
Jahrhunderte lang wurde Thomas Müntzer als wilder Rebell verteufelt und sein Erbe verfälscht - eine Rezeption, die Martin Luther selbst angestoßen hatte, als er Müntzer den "Satan von Allstedt" oder den "leibhaftigen Teufel" nannte. Aber auch diejenigen, die Müntzer später gewürdigt haben - wie Heinrich Heine, Friedrich Engels oder Ernst Bloch, sind seinem Erbe kaum gerecht geworden. Wenn die DDR Thomas Müntzer als Sozialrevolutionär und als ihren Nationalhelden feierte, hatte das mit historischen Fakten wenig zu tun.
Müntzers Ziel war nicht der Umsturz politischer Verhältnisse oder die Solidarisierung mit den unteren Schichten. Der Berliner Kirchenhistoriker und Müntzer-Biograph Siegfried Bräuer:
"Müntzer ging es um mehr. Es ging ihm um eine neue Welt, eine neue Welt Gottes. Wo die Gottesfurcht, das erste Gebot, an erster Stelle steht. Und da erkennen wir auch, wo wir Impulse von Müntzer aufnehmen können. Diese Apokalyptik, dieses Endzeitbewusstsein, macht ihn auch frei gegenüber allen Strukturen, gegenüber allen eingesetzten Regierungen und Instanzen und so weiter."
So sperrig seine Theologie heutzutage auch wirken mag, Thomas Müntzer war eine der großen Leitfiguren der reformatorischen Bewegung. Und obwohl er den Kampf um den neuen evangelischen Glauben in Deutschland verloren hat, sah er sich nicht als Verlierer.