zum Gedenken
Der Kirchenspalter Wer war der Mann, Macher und Mönch, der vor 500 Jahren die Reformation auslöste? Die "Freie Presse" zeigt eine andere Facette Martin Luthers.
Heute: Warum die Ökumene auch im 21. Jahrhundert nicht gelingt.

CHEMNITZ/WITTENBERG - Martin Luther wollte die Kirche nicht spalten, sondern reformieren - so lautet der Tenor bei Kirchenvertretern oder Politikern im Jahr des Reformationsgedenkens. Selbst katholische Theologen wie Dirk Ansorge sind von dieser Absicht des Wittenbergers überzeugt. Die Realität sieht 500 Jahre später jedoch anders aus: Weltweit gibt es heute rund 1,2 Milliarden Katholiken und etwa 370 Millionen Protestanten. Letztere sind dabei längst nicht alle Lutheraner: Seit der Reformation hat sich die Bewegung in etliche Unterkirchen und -gruppen aufgetrennt: Es gibt unter anderem Methodisten und Quäker, Baptisten und Pfingstkirchen, Adventisten und Anglikaner - sowie eine Unzahl von evangelikalen Gruppen. Grüppchen und Sekten.

Doch welchen Anteil hatte Martin Luther selbst an dieser Zersplitterung?

Sein Wunsch nach allgemeiner Kirchenreform war immerhin bald nach Veröffentlichung seiner 95 Thesen erschöpft: Schnell betrieb er selbst unversöhnlich die Spaltung und Revolution statt einen Wandel des bestehenden Papsttums. Bereits als der Reformator 1546 starb, war das "Heilige Römische Reich Deutscher Nation" geteilt in ein evangelisches, sich konfessionell weiter zerfaserndes, sowie ein katholisches Lager.

Die Spaltung. die Luther mit Fürstenhilfe einleitete, stellte sich als derart gravierend und nachhaltig heraus, dass es fast 500 Jahre brauchte, um sich Luthers und der Ereignisse des Herbstes 1517 ohne Siegesfeier wider die Altgläubigen in Rom zu erinnern, bei der das katholische Deutschland stets als unsicherer Geselle in nationaler Sache abqualifiziert worden war. Auch Bismarck hielt das noch so; er ließ wenig unversucht, Katholiken zu unterdrücken - im Kampf gegen Zentrumspartei, Konfessionsschulen, kirchliche Ehe. Der antirömische Affekt hielt sich bis weit ins 20. Jahrhundert, und für eine Vielzahl von Katholiken wirkt er abgeschwächt noch immer, wenn sie sich den Umgang deutscher Medien oder Politiker wie der evangelischen Bundeskanzlerin mit Papst Benedikt XVI. im Zusammenhang mit Holocaustleugner und Ex-Piusbruder Richard Williamson in Erinnerung rufen.

Die politischen Auswirkungen von Deutschlands weltweit einmaliger Spaltung sind das eine - das andere die religiösen. Luther hat die katholische Kirche nicht direkt reformiert - er zwang andere, dies zu tun, indem er ihr den Rücken kehrte und parallel eine neue Kirche schuf, die das Gegenteil der katholischen sein sollte. Das wird im Verhältnis zum Papstamt offenbar, das Luther anfangs als Ausdruck menschlichen, nicht aber göttlichen Rechts noch akzeptierte. Es zeigt sich auch darin, welche Rolle Kirche als Institution für Lutheraner spielt. Die unterscheidet sich grundsätzlich von dem, was sie für Katholiken darstellt. Während sie letzteren als Gottes Werkzeug gilt, mit dem er jetzt, direkt, sichtbar in der Welt handelt, ist sie für Lutheraner allein organisatorisches Mittel. Die Katholische Kirche beruft sich für die herausgehobene Stellung des Papstes als Nachfolger des Apostel Petrus auf das Matthäus-Evangelium: "Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen, und die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen. Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs geben; was du auf Erden binden wirst, das wird auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, das wird auch im Himmel gelöst sein." Alles, was sich daraus ergibt, deutet der Form nach auf Dauer hin, dazu auf hohe Autorität. Darauf fußt die katholische Hierarchie. Diese leitet die Stellung der Bischöfe, unter denen der von Rom der erste ist, aus dem Handeln in direkter Nachfolge der Apostel ab.

Lutheraner hingegen kennen kein Weiheamt -

der Reformator ging davon aus, dass jeder getaufte Gläubige das Wort Gottes verkünden könne. Das befreit zwar vom engen Kirchenverständnis des Katholizismus - unter dieser Voraussetzung kann aber prinzipiell auch jedermann seine eigene Kirche oder Glaubensgruppe gründen. Auf protestantischer Seite wurde das durchaus als Problem erkannt: Man versuchte, ebenfalls geordnete Strukturen zu schaffen. Die Landesbischöfe der Evangelischen Kirche Deutschlands etwa sind eine vergleichsweise junge Lösung, entstanden nach Untergang der Monarchien in Deutschland: Zuvor waren die Fürsten die Oberhäupter der Landeskirchen, dazu gab es als deren "Aufseher" nur Superintendenten.

Der evangelische Pfarrer wiederum leitet eine Gemeinde gemeinsam mit dem aus Laien bestehenden Kirchenvorstand. Er ist durch sein Theologiestudium zwar religiös besonders gebildet, erhält aber nicht die Weihe, aus der sich auf katholischer Seite weitreichende Rechte und Pflichten ableiten. Luther war überzeugt, dass es vor Gott nicht auf Leistung ankommt - Erlösung ist für ihn nur als dessen Gnadenakt denkbar, aktiv tun kann man dafür nichts, außer wahrhaft zu glauben.

Während das Lutherische betont, dass sich "Kirche immerfort wandeln" muss, hebt das Katholische Kontinuität hervor: Es fürchtet den Bruch mit der Tradition wie der Teufel das Weihwasser. Dem Zeitgeist wird mit Skepsis begegnet. Luther dient nur die Bibel als Richtschnur fürs Christsein - für Katholiken ist sie nur ein, wenn auch ein sehr wichtiger, Stein des Hauses Kirche. Luther war daher im Wortsinne Fundamentalist; er warf der Kirche vor, sie habe sich zu weit von ihren Wurzeln entfernt. Was er am Ablass kritisierte, war die Verknüpfung von weltlicher Leistung mit jenseitigem Lohn - getreu dem Motto des Pirnaer Predigers Johann Tetzel: "Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt." Was Luther zudem übersah: Der "Handel" hatte auch für die Gläubigen praktische Vorteile und führte zu seelischer Zufriedenheit. Viele kritikwürdige Missstände erkannte die Katholische Kirche zudem an und stellte sie nach und nach ab. Auf dem Konzil von Trient (1545-1563) etwa, das freilich Jahrzehnte zu spät kam, wurden grundlegende Reformen eingeleitet.

Diese konnten das abweichende Amtsverständnis bei Katholiken und Protestanten aber nicht mehr zusammenführen - bis heute ein Haupthinderungsgrund der Annäherung. Denn die Idee, dass das Christentum, wenn es sich auf den selben Gott samt Gottessohn beruht, eigentlich doch einig sein müsse, liegt ja auf der Hand: Anfang des 19. Jahrhunderts formierte sich daraus die sogenannte ökumenische Bewegung, die eine weltweite Einigung oder zumindest Zusammenarbeit der christlichen Kirchen weltweit anstrebt. Einer der wesentlichsten Unterschiede ist jedoch die Anzahl der Sakramente. Katholiken kennen sieben dieser sichtbaren Zeichen, die die Wirklichkeit Gottes vergegenwärtigen: Taufe, Eucharistie (Kommunion/Abendmahl), Firmung, Beichte, Ehe, Krankensalbung und Priesterweihe. Luther hat davon nur zwei akzeptiert: Taufe und Abendmahl. Die Krankensalbung hielt er lediglich für einen guten Brauch, die Beichte schätzte er.

Zwar spricht Peter Meis, gewissermaßen Botschafter der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens gegenüber anderen Konfessionen, in der Rückschau von einem "erstaunlichen Reformweg" der Katholiken, nicht erst seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil 1962/65, sondern seit Trient. Dennoch bleiben die genannten großen, maßgeblich von Luther inspirierten Unterschiede, die auch dazu führen, dass es Katholiken beispielsweise (anders als in Gottesdiensten der Orthodoxen) auf Geheiß der eigenen Kirchenführung nicht gestattet ist, am lutherischen Abendmahl teilzunehmen. Während zudem seit einiger Zeit Frauen in immer mehr lutherischen Kirchen auch außerhalb Deutschlands Pfarrer werden können, ist ihnen dies in der Katholischen Kirche verwehrt. Maßstab dafür ist, dass Jesus in den Kreis seiner Apostel nur Männer berufen hat.

Reformen in der Kirche wollten aber andere.

Luthers Zeitgenosse Erasmus von Rotterdam etwa, den Luther beschimpfte. Dabei hatte der sich mit dem Zustand der Klöster oder der aus dem Ruder gelaufenen Heiligenverehrung auseinandergesetzt Wir küssen die Schuhe der Heiligen und ihre schmutzigen Schweißtücher", schrieb er, "ihre heiligsten und wirksamsten Reliquien aber, nämlich ihre Bücher, lassen wir achtlos liegen." Erasmus war davon überzeugt, dass der Mensch in seinem Willen frei sei - Luther bestritt das: Nach seiner Überzeugung wird der Mensch komplett von Übermächten gesteuert. Dabei könne er noch nicht einmal unterscheiden, ob Gott oder Teufel in ihm wirken. Seine Lösung: Der Mensch muss sich leeren, jedes Selbstbewusstsein überwinden, quasi den Platz am Steuerknüppel räumen - und dann darauf vertrauen, dass die richtige Seite, also Gott, übernimmt. Es kommt so nicht von ungefähr, dass der Wittenberger heute vielen Historikern stärker als Exponent mittelalterlichen Denkens gilt denn als Neuerer. Deutlich wird das zum Beispiel im Teufels- und Dämonenglauben, "dem Luther eine Buchstäblichkeit beließ, die seit dem 13. Jahrhundert nicht mehr selbstverständlich war", schrieb Mittelalter-Historiker Kurt Flasch. Außerdem fordere uns die Luther-Verehrung auf, diesen aus seiner Zeit heraus zu verstehen, so Flasch. Es führt aber mit Blick auf Luther zu zweierlei Maß. Während man ihm oder Begleitern einiges als mittelalterlich" oder zeitgebunden ("Die wussten es nicht besser, das muss man verstehen") durchgehen lässt, zeigt sich der kritische Betrachter gegenüber (katholischen) Zeitgenossen vielfach weniger nachsichtig.

Dass Luther die Doppelehe des wichtigen Verbündeten und Landgrafen Philipp von Hessen rechtfertigte

- "diese wüssten wir nicht zu verurteilen'-, taugt oft nur als Fußnote. Aus theologischer Sicht war das unglaublich. Aber die Zustände in Rom! Doch Luther wollte den nachhaltigen Bruch mit der "alten' Kirche, dafür brauchte er Verbündete. Und nur wer sich von Gott persönlich beauftragt wähnt, konnte, wie er im Jahr 1522, sagen: "Wer meine Lehre nicht annimmt, der möge nicht selig werden." Nur Abweichler in den eigenen Reihen verurteilte er rigider als Römisch-Katholisches: Die "Irrtümer" des Wegbereiters der Reformierten Kirche, Ulrich Zwingli, hielt Luther für siebenmal schlimmer als die der "Papisten". Dabei hatte auch der Apostel Paulus, den Luther verehrte, einst an die Gemeinde in Korinth geschrieben: "Ich ermahne euch aber, Brüder, im Namen Jesu Christi, ... duldet keine Spaltungen unter euch."


FP vom 01.April 2017

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