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Rechtschreibung - Martin Luther setzen, sechs!

Von Matthias Heine | Veröffentlicht die Welt am 26.01.2016

Martin Luther gilt dank seiner Bibelübersetzung als Schöpfer der hochdeutschen Schriftsprache – mit einigem Recht. Mit der Orthografie haperte es beim Reformator aber zunächst. Die musste er erst lernen. Wittenberg schrieb Luther auf 14 verschiedene Arten

Luther schrieb nicht nur ganz anders als wir heute. Er schwankte auch in seinen Schreibweisen. Im zweiten Kapitel des Lukasevangeliums, also der Weihnachtsgeschichte, standen in der ersten Ãœbersetzungsfassung des Neuen Testaments vom September 1522, dem sogenannten September-Testament, dicht nebeneinander zeytt und zeyt oder vnnd neben vnd.

Den Namen seiner Hauptwirkungsstätte Wittenberg schrieb Luther sogar in sage und schreibe 14 verschiedenen Varianten: Wittenbergk, Wittenburgk, Wittenberg, Wittemberg, Wittembergk, Vuittenberg, Viuttemberg, Vuittenbergk, Vuittembergk, Wittemperg, wittenberg, Wyttemberg, Vvittenberg und wittemberg.

Der DDR-Luther-Forscher Erwin Arndt erklärte das 1962 in seinem Buch „Luthers deutsches Sprachschaffen“ (in dem man selbstverständlich auch ganz nebenbei erfuhr, wie die sowjetische Sprachwissenschaft und Friedrich Engels Luther beurteilten) so: "Das ist nur dadurch möglich, dass es für Luther und seine Zeitgenossen eine Norm in unserem Sinne überhaupt nicht gegeben hat, sie nach Lage der Dinge auch gar nicht geben konnte. Jeder schrieb, wie er es für gut und richtig befand."

Lutherzimmer in der Wartburg bei Eisenach. Hier hat Luther das Neue Testament übersetzt
Quelle: picture alliance / Daniel Kalker

Hinzu kam beim Reformator eine gewissen Lust an der expressiven Schreibweise und dem Sprachspiel. Martin Luther (1483 - 1546) habe, so Arndt, anscheinend – wenigstens in seinen ersten deutschen Schriften – sogar "eine heimliche Freude daran gehabt, ein und dasselbe Wort mit verschiedenen Buchstaben zu schreiben."

Das Orthografie-Chaos der Zeit beschrieb Luthers Korrektor Christoph Walther, der die Wittenberger Editionspraxis auch gegen Kritiker verteidigte: „Wenn hundert Briefe und gleich mehr und gleich mehr mit einerlei Wörter geschrieben wörden, so wörde doch keiner mit dem Buchstaben übereinstimmen, daß einer mit Buchstaben geschrieben wörde wie der andere.“ Ein Erfurter Schulmeister, den der große Sprachhistoriker Friedrich Kluge zitiert, klagte: „Ich weiß schier nicht, wie ich meine Schulers lehren soll der Ursachen halber, daß jetztund, wo unser nur drei oder vier Deutsche zusammen komment, hat jeder einen sonderlichen Gebrauch.“

Seit 1522 kümmerte sich Luther um Rechtschreibung

Doch es waren Leute wie Walther, die Luther allmählich eine einheitliche Rechtschreibung abverlangten und beibrachten. Vor der ersten Bibelübersetzung 1522 kümmerte sich Luther kaum um Fragen der Rechtschreibung und des Schriftbildes. Die Wittenberger Druckerei von Hans Lufft, für die Walter arbeitete, hatte aber ein Interesse daran, die Luther-Bibeln überregional zu verkaufen. Also verbesserten und vereinheitlichten die Drucker Luthers Orthografie, eliminierten grobe Inkonsequenzen und reinigten sie von mitteldeutschen Regionalismen.

Nachdem Luther bemerkt hatte, dass durch solche Eingriffe sowie durch Nachlässigkeit und Flüchtigkeit der Drucker oft seine Texte entstellt wurden, begann er, auch der äußerlichen Seite der Sprache mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Seit Mitte der 1520er-Jahre mussten Bücher nach seinen Grundsätzen gedruckt werden. Viele Anzeichen deuten darauf hin, dass er selber Korrektur gelesen hat.

Aber nu sehe ich, das ich auch noch nicht meyn angeporene deutsche sprach kan.

Dabei ging es ihm auch darum, selbst von den Druckern zu lernen. Denn die Zahl der Verbesserungen übertraf die der Verschlimmbesserungen bei Weitem. Das erkannte auch Luther. Er wusste um seine Schwächen. Noch 1524 schrieb er in seiner Vorrede zur Übersetzung des Alten Testaments: „Aber nu sehe ich, das ich auch noch nicht meyn angeporene deutsche sprach kan. Ich hab auch noch bis her keyn buch noch brieff gelesen, da rechte art deutscher sprach ynnen were.“

Ab 1521 näherte er seine Schreibweise der der Wittenberger Druckereien an. Und davon gab es einige: Wittenberg war zu Luthers Zeit eine Druckmetropole – was viel zum Erfolg der Bibel-Übersetzung beitrug. Das geschriebene Wittenberger Deutsch wurde geprägt von unterschiedlichen Instanzen: der kursächsischen Kanzleisprache (die Luther selbst als Richtschnur genannt hat), der kursächsischen Amtskanzlei in Wittenberg, der Stadtkanzlei und der Universitätskanzlei von Wittenberg.

So stellte man sich im neunzehnten Jahrhundert die Schreibarbeit des Reformators vor: Luther und sein Kreis, darunter Melanchton und Bugenhagen, an der Bibel arbeitend
Quelle: akg-images

Linguistisch-strategisch stand Luther auf günstigem Boden für die Schaffung einer überregional verständlichen Variante, schreibt der Sprachhistoriker Werner Besch: „Der Herkunft nach in geographischer Mittellage zwischen Nord und Süd, zudem im östlichen Teil dieser Mittellage begünstigt durch eine gewisse Schreiballianz zwischen Mitte und Süden (gemeint sind die Druckstandorte Nürnberg und Wittenberg, die Red.), eine Art erster Brückenschlag in die Überregionalität.“

In Übereinstimmung mit den Druckereien bemühte sich der Reformator selbst zunehmend um die Vereinheitlichung seiner Rechtschreibung: Konsonantenhäufungen wie bei zeytt, die typisch für den frühneuhochdeutschen Wildwuchs waren, wurden seltener. Er schrieb kaum noch tzehen oder czehen, sondern fast nur noch zehen.

Luthers Drucker Hans Lufft
Quelle: Wikipedia/gemeinfrei

Der 2009 gestorbene Luther-Forscher Gerhard Kettmann, der dreieinhalb Jahrzehnte lang mehr als jeder andere über Luthers Deutsch in Erfahrung gebracht hat, schreibt, dass „Luthersprache“ zumindest bis zum Tode des Reformators „lediglich ein personifizierendes Synonym für die Wittenberger Druckersprache schlechthin“ sein könne. Bei den Handschriften habe er sich in die Schreibweise seiner Schicht, der Universitätsabsolventen, eingegliedert: "Eigenes nicht völlig aufgebend, Neuem gegenüber zunehmend aufnahmebereit, ist Luther in seine Zeit und Umgebung einzuordnen, nicht aber überzuordnen oder gar als Sonderfall anzusehen." Gemeint war damit seine Rechtschreibung und andere Schreibkonventionen; dass sein Sprachgefühl und sein poetisches Talent herausragend waren, bezweifelt niemand.

Mit seiner Groß- und Kleinschreibung näherte sich Luther übrigens ebenfalls den heutigen Regeln an. Er unterschied dabei jedoch zwischen Druck und Briefen: In einer Handschrift aus dem Jahre 1520 sind nur etwa drei Prozent aller Substantive mit großen Anfangsbuchstaben ausgezeichnet, während es im Druck bereits 17 Prozent sind. Allerdings ging es ihm – im Einklang mit den Regeln und dem Sprachgefühl der Zeit – vor allem darum, Wörter innerhalb des Satzes hervorzuheben. Deshalb schrieb er auch Artikel, Adjektive und sogar Verben groß. Im 1. Buch Mose, 3, 15 lässt er Gott zur Schlange sagen: "Vnd Ich wil Feindschafft setzen zwischen Dir und dem Weibe."

Am Ende schrieb Luther fast nur noch Wittemberg

Auch die 14 unterschiedlichen Schreibweisen für Wittenberg kommen nur in Luthers ersten Schriften bis zum Jahre 1523 vor. Erwin Arndt berichtet: 1524 nutzte er nur noch sechs verschiedene Schreibweisen, 1535 nur noch vier, 1539 drei und ab 1542 endlich nur noch zwei, nämlich Wittemberg und Vuittenberg, wobei jedoch die erste Form schon seit 1524 bei Weitem überwog.

Der Siegeszug der Reformation war auch der Tatsache geschuldet, dass Luther seine epochenbedingte Dyslexie überwand.


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