von Grigorios Petsos
Die Schutzstaffel (SS) ist vor allem durch den Völkermord in den Konzentrationslagern und die Massenhinrichtungen hinter der Front berüchtigt. Doch wie setzte sich die SS zusammen? Wer durfte, wer musste der SS beitreten?
1934 von der SS ermordet
Wurden in den ersten Jahren noch strengste ideologische Maßstäbe angelegt, so dienten gegen Ende des Krieges Hunderttausende von "Freiwilligen" aus allen Ländern Europas in der SS, sogar eine muslimische SS gab es.
Ursprünglich wurde der "Stoßtrupp Adolf Hitler" 1923 aus zwölf Mitgliedern der Sturmabteilung (SA) als Leibwache gegründet, um den Parteivorsitzenden gegen Angriffe aus den eigenen nicht so ganz geschlossenen SA-Reihen zu schützen. Zwei Jahre später, 1925, wurde daraus die Schutzstaffel - ein Begriff, den Hermann Göring aus seiner Zeit als Kampfflieger mitbrachte.
Die SS sollte polizeiliche Aufgaben innerhalb der SA und der NSDAP übernehmen. Nicht nur dadurch standen die beiden Partei-Organisationen in ständiger Konkurrenz. Die strengen Aufnahmekriterien der kleinen SS und die Massenorganisation der SA mit bis zu zwei Millionen Mitgliedern fochten auch einen internen Machtkampf um das Vorrecht als Parteiarmee aus.
Die SA versuchte, die ihr noch unterstellte SS klein zu halten. Die eher rabaukenartigen SA-Mitglieder hielten die "elitären", nach strengen "rassebiologischen" und ideologischen Maßstäben ausgewählten SS-Männer für Emporkömmlinge, die nicht den ursprünglichen, eher proletarischen Geist des frühen Nationalsozialismus verkörperten.
Die SS dagegen machte aus ihrer Organisation eine Quasi-Religion mit alt-germanisch-heidnischen Elementen, womit die Straßenkämpfer der SA nur wenig anfangen konnten. Als Himmler die SS als Reichsführer-SS übernahm, gelang es ihm, durch Beeinflussung Hitlers und mit der Wehrmacht als Verbündetem, SA-Führer Röhm zu stürzen. Der so genannte Röhm-Putsch 1934 war deshalb kein Putsch Röhms, auch kein versuchter, sondern eigentlich ein kleiner Himmler-Putsch zur Entmachtung der SA.
Nach seiner privaten Machtübernahme definierte Himmler die Eigenschaften eines idealen SS-Mannes genauer: " ... ein nationalsozialistischer, soldatischer Orden nordisch bestimmter Männer, von denen jeder bedingungslos jeden Befehl befolgt, der vom Führer kommt." Sogar die Frauen der SS-Mitglieder wurden auf "arische" Perfektion hin überprüft. Als "Bewahrer der Blutsreinheit" sollten sie zur "Keimzelle der nordischen Rassendominanz werden".
Doch mit Ausschaltung der SA wuchs die SS stattdessen zur Massenorganisation. Die Wehrmacht wollte mit der Entmachtung der SA eigentlich verhindern, dass ein zweites Waffen tragendes Heer entsteht, doch jetzt begann sich die SS zu einem militärischen Konkurrenten zu entwickeln.
Die Ämterhäufung ist ein beliebtes Mittel in Diktaturen, die Macht an sich zu reißen und zu behalten. Nicht nur Hitler häufte immer mehr Macht auf seine Person, auch die zweite Garde wie Göring, Goebbels und eben Himmler weiteten ihre Macht beständig aus. Nach der Entmachtung der SA wurde die SS eine eigenständige Organisation innerhalb der NSDAP und übernahm die volle Kontrolle über die Konzentrationslager (KZ), die bisher auch von der SA geführt worden waren.
Ab 1935 unterstand dem Reichsführer-SS nicht nur die SS-Totenkopfstandarten (Bewacher der KZs), die SS-Verfügungstruppe und die für die Verwaltung zuständige Allgemeine-SS, sondern auch der geheimdienstliche Sicherheitsdienst (SD) Reinhard Heydrichs, das Rasse- und Siedlungshauptamt (RuSHA), das Reichssicherheitshauptamt (RSHA), die Sicherheitspolizei (Sipo) als Polizei in der Polizei und in der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) sowie das Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt (WVHA) zur Verwaltung der Konzentrationslager und der SS-eigenen Industrien.
Wenn wir heute von der SS sprechen, meinen wir meist die Waffen-SS, welche sich aus den Totenkopfverbänden und den Verfügungstruppen zusammensetzte. Die Allgemeine-SS (auch Heimat- oder Schwarze-SS ) hat sich selbst so benannt, weil sie sich von den Waffen tragenden SS-Verbänden abgrenzen wollte. Als der Krieg begann, wurden auch sie eingezogen, allerdings meist in die Wehrmacht, nur wenige durften in die Waffen-SS und nur Auserwählte in die Totenkopfverbände.
Zu diesem Zeitpunkt wurde noch kaum jemand gegen seinen Willen zum Dienst in der Waffen-SS gezwungen, ganz im Gegenteil, in den ersten Kriegsjahren war der Andrang so groß, dass sich Himmler die "Besten" aussuchen konnte. Daher führte er noch strengere Aufnahmekriterien und anspruchsvolle Fitnessprüfungen ein.
Von Sepp Dietrich (SS-Oberstgruppenführer und Generaloberst der Waffen-SS) zum Beispiel weiß man, dass er Kandidaten ablehnte, die unter 1,78 Meter waren oder eine "unarische" Kopfform oder einfach nur eine Plombe zu viel im Mund hatten. Denn Führer der mittleren bis hohen Befehlsebenen, wie Sepp Dietrich, führten ebenfalls ein selbstherrliches Regiment und waren in vielen Fällen nur Hitler oder Himmler verantwortlich. Die Kompetenzen überstiegen bei weitem die eines Wehrmachtgenerals.
Seit 1931 schon mussten alle SS-Anwärter einen "Ariernachweis" erbringen. Bei den SS-Unterführern (und ihren Frauen) musste dieser bis ins Jahr 1800 und bei den SS-Führern des gehobenen Dienstes (und deren Frauen) sogar bis 1750 zurückreichen. Dieser Nachweis alleine war schon eine sehr hohe Hürde.
Mit Beginn des Krieges wurden auch die Mitglieder der SS-Verwaltung, die bislang "nur" als Schreibtischtäter agierten, also der Allgemeinen-SS zu den Waffen gerufen. Von den 160.000 eingezogenen Mitgliedern der Allgemeinen-SS kamen aber aufgrund der strengen Kriterien 130.000 in der Wehrmacht, nur 15.000 schafften es in die Verfügungstruppe und davon nur ein Drittel in die Totenkopfstandarten.
Nach der Neustrukturierung 1935 änderten sich die Uniformen nicht, so dass die Öffentlichkeit schon damals Schwierigkeiten hatte, die Allgemeine-SS von der Waffen-SS zu unterscheiden. Lediglich die Totenkopf-Verbände waren eindeutig an ihren Totenkopf-Abzeichen zu erkennen, aber auch hier gab es Unterschiede - nicht alle SS-Totenkopf-Mitglieder durften es tragen.
Die Waffen-SS bestand also aus den Totenkopf-Verbänden und der Verfügungsverbänden. Während die Totenkopf-Verbände Himmler beziehungsweise Hitler direkt unterstanden und für Sondereinsätze abgestellt wurden, in den meisten Fällen waren das Massenhinrichtungen, war die SS-Verfügungstruppe der Wehrmacht unterstellt.
Doch auch die SS-Verfügungstruppe war innerhalb der Wehrmacht an den Gräueltaten und Verbrechen gegen die Menschlichkeit beteiligt. Teilweise unterstütze die Wehrmacht die Exekutionen sogar, doch viele Wehrmachtssoldaten und -offiziere sahen auch mit Abscheu, was die SS vor allem hinter der Front anrichtete. Es gab zahlreiche offizielle Beschwerden.
Was viele an der Front oder an der "Heimatfront" noch nicht wussten, waren die unbeschreiblichen Verbrechen, die in den Vernichtungslagern begangen wurden. Die SS, genauer die Totenkopf-Wachmannschaften und -Offiziere tragen die Hauptverantwortung für die vielleicht schlimmsten Verbrechen, die je begangen wurden. Nicht vergessen werden darf auch, dass die meisten KZ-Ärzte, welche die grausamsten Menschenversuche durchführten, ebenfalls SS-Offiziere waren.
Die SS-Totenkopf-Verbände sind im Übrigen nicht zu verwechseln mit der SS-Division "Totenkopf", welche zwar auch in einem KZ gegründet wurde, aber später hauptsächlich als kämpfender Verband an der Westfront und dann an der Ostfront ihr blutiges Geschäft verrichtete. Die SS-Totenkopfverbände in den KZs wurden 1941 offiziell zur Waffen-SS, nur noch die eigentliche Division "Totenkopf" durfte dann diesen Namen noch tragen.
Die SS war ursprünglich eine Polizeitruppe, doch Angehörige von Verbänden wie die Totenkopf-Division und auch der KZ-Mannschaften mussten vorher als Soldat "gedient" haben. Die Ausbildung für die SS-Verfügungstruppe wurde zwar bei der Wehrmacht anerkannt, dies war aber keine soldatische, sondern eher eine polizeiliche Ausbildung gewesen. Die einfachen SS-Soldaten waren somit Kanonenfutter und wurden skrupellos in großer Zahl geopfert. Denn längst war der Polizeidienst zum Kriegsdienst geworden, dem dessen Mitglieder nicht gewachsen waren.
Allerdings war die Motivation der bisher meist freiwilligen SS-Männer sehr groß, und so waren sie trotz schlechterer Ausbildung oft sehr erfolgreich in ihrem Kriegshandwerk und wurden auch in der Wehrmacht gerne für Himmelfahrtkommandos ausgewählt. Das führe einerseits dazu, dass in der SS viele gewalttätige Verbrecher zusammentrafen und sich dort austoben konnten, andererseits wurden so die SS-Divisionen aber auch schnell stark dezimiert.
Bevor wir zu den Personalproblemen der SS kommen, soll aber zuerst noch ein weiteres sehr dunkles Kapitel der SS-Personalpolitik aufgeschlagen werden. SS-Oberführer Dr. Oskar Dirlewanger war 1934 wegen Unzucht an Minderjährigen zu einer mehrjährigen Zuchthausstrafe verurteilt worden, durfte aber 1940 ein "Wilddiebkommando Oranienburg" aufstellen, das schon bald zur SS-Sondereinheit mutierte.
Anfangs tatsächlich aus Wilddieben bestehend, war es Dirlewanger erlaubt, meist inhaftierte Schwerverbrecher in großer Anzahl zu rekrutieren. Das Ganze wurde als Bewährung verkauft - tatsächlich wurde jedoch die Skrupellosigkeit verurteilter Mörder, Gewalttäter und Vergewaltiger ausgenutzt und so war das Sonderbataillon des schwäbischen ehemaligen stellvertretenden Arbeitsamtdirektors für die schlimmsten Exzesse menschlicher Brutalität bald weltweit berüchtigt.
Doch nicht nur Dirlewanger hatte aufgrund des schnellen "Verschleißes von Menschenmaterial" bald Personalprobleme. Und da Anfang der Vierziger Jahre fast jeder einsatzfähige Deutsche in irgendeiner Truppe seinen Dienst tat, traten auch bei der SS mit fortschreitendem Kriegsverlauf Versorgungsengpässe auf.
Die Ausheber suchten ihr neues Personal zuerst in den besetzten Gebieten. Schon 1940 gab es eine ausländische SS-Truppe, der vor allem Schweizer angehörten. 1941 wurde die erste SS-Auslandsdivision ausgehoben. Da man Dänen, Norweger, Niederländer und flämische Belgier als Germanen ansah, wurde mit Freiwilligen aus diesen Ländern die SS-Division "Wiking" gebildet.
Interessanterweise wurden die wallonischen Belgier nicht als Germanen angesehen. Diese mussten in der Wehrmacht kämpfen - ein weiterer Beweis für die Willkürlichkeit der nationalsozialistischen Rassenideologie. Doch es wurde noch viel willkürlicher. Als der Mangel an SS-Soldaten immer größer wurde, wurden auch SS-Divisionen mit Freiwilligen aus vielen anderen europäischen Ländern aufgestellt.
Insgesamt dienten Hunderttausende aus rund 30 Ländern in der Waffen-SS oder wurden dieser angegliedert. Denn in ganz Europa gab es Menschen, die mit dem deutschen Nationalsozialismus sympathisierten. Von sich reden machte etwa das Finnische Freiwilligen-Bataillon der Waffen-SS, das gegen Russland eingesetzt wurde. Zudem stellten faschistische Staaten wie Rumänien, Italien und Spanien zahlreiche SS-Freiwillige.
Doch auch in den von Nazi-Deutschland überfallenen Staaten ließen sich Freiwillige finden. So kämpfte beispielsweise auch die französische 33. SS-Division "Charlemagne" (deutsch: Karl der Große) bis zur Kapitulation Berlins am 2. Mai 1945 auf deutscher Seite. Sogar von britischen SS-Männern, wenn auch wenigen, ist bekannt, dass sie, ob freiwillig oder nicht, auf deutscher Seite in SS-Verbänden kämpften.
Meist wurden die Auslands-SS-Divisionen gegen ihre eigenen Herkunftsländer eingesetzt, gegen deren jeweilige Regierungen die Freiwilligen kämpfen wollten. Nach dem Sieg erhofften sie sich entweder die deutsche Staatsbürgerschaft oder zumindest eine gute Stellung oder sie wollten einfach nicht in die Kriegsgefangenschaft; ein nicht zu unterschätzendes Argument, denn etwa zwei Drittel aller russischen Kriegsgefangenen verhungerten oder wurden durch Zwangsarbeit ermordet.
Ein kurioses Beispiel geben auch zwei kroatisch-bosnische SS-Divisionen, die gegen Titos Partisanen eingesetzt wurden. Dazu gab es auch ein Moslem-SS-Selbstverteidigungsregiment in der serbischen Raschka-Region und das ostmuselmanische SS-Regiment. In Berlin wurden sogar muslimische und buddhistische Feldgeistliche für diese Einheiten ausgebildet.
Es wird also überdeutlich, dass auch bei der SS-Personalpolitik der Zweck die Mittel heiligte. Hitler und Himmler ignorierten ihre eigenen Ideologien, als ihnen die Soldaten wegstarben und der Krieg immer offensichtlicher verloren war. Nach ihren eigenen Maßstäben begingen sie damit Hochverrat. Doch es ist eine der bezeichnenden Eigenschaften des Nazi-Ideologie, dass es eben gar keine Ideologie gibt, sondern dass Hitler und Konsorten immer nur die reine Machterhaltung im Auge hatten, die mit allen Mitteln durchzusetzen war.
Und da die Auslands-SS-Freiwilligen nicht weniger motiviert und bald genauso berüchtigt waren wie ihre deutschen Kollegen, wurde gegen Ende des Krieges jeder genommen, der bereit war, eine SS-Uniform anzuziehen, oder er wurde einfach zwangsrekrutiert. Aber auch das waren bald nicht mehr genug und so bediente sich die SS auch beim so genannten Volkssturm. Jugendliche ab 16 und bisweilen auch jünger sowie Männer bis 60 wurden eingezogen von der SS ausgebildet und sollten auch von dieser eingesetzt werden.
Doch die Ausbildung war mehr ein Schnellkurs, so dass der militärische Effektivität dieser unmenschlichen Maßnahme vorhersehbar gegen Null ging. Gleichzeitig war man sich offensichtlich nicht einig, ob der Volkssturm der SS oder der Wehrmacht unterstellt sein sollte. So konnte auch keiner vorher wissen, ob er bei der Wehrmacht oder bei der SS landen würde. Das Chaos der letzten Kriegsmonate wurde durch dieses letzte Kompetenzgerangel zwischen den beiden Waffen tragenden Institutionen noch verstärkt.
Am meisten darunter zu leiden hatten die alten, eher desillusionierten Soldaten und die eher enthusiastischen Jugendlichen des Volkssturms. Die 16-jährigen des Jahres 1945 kannten es allerdings auch nicht anders, denn sie hatten fast ihr ganzes bisheriges Leben im Nationalsozialismus verbracht.
Artikel von freenet.de 2006