zum Gedenken

Die Verschwörer des 20. Juli

Warum die Hitler-Attentäter keine Heiligen waren Donnerstag, 21.07.2016, · von FOCUS-Online-Autor Armin Fuhrer

Am 20. Juli 1944 misslang den Widerstandskämpfern um Stauffenberg das Attentat auf Hitler. Dass der gedacht werden sollte, daran besteht kein Zweifel. Doch ihre Motivation war weniger heroisch, als viele noch heute glauben, sagt FOCUS-Online-Autor Armin Fuhrer. Er hat sich die Vergangenheit der Attentäter ganz genau angeschaut.

"Der 20. Juli erinnert uns an das, was wir wollen, was wir können möchten und was wir leben sollten: mutig zu unseren Werten stehen", betonte Bundespräsident Joachim Gauck anlässlich des 70. Jahrestages des Attentatsversuchs vom 20. Juli 1944 durch Offiziere der Wehrmacht um Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Dazu gehöre auch, dass wir uns nicht mitschuldig machen, wenn anderen Unrecht geschehe.

Claus Schenk Graf von Stauffenberg

Tatsächlich haben die Männer des 20. Julis und viele mehr, die sie unterstützt hatten, über die Pläne Bescheid wussten oder auch völlig ahnungslos waren, ihr Leben gelassen. Neben dem Verlust ihrer Männer, Väter, Brüder oder Söhne litten viele Familien unter den dann folgenden Restriktionen der Nazis, bis hin zu Gefängnis oder Konzentrationslager. Es ist keine Frage, dass des gescheiterten Bombenanschlag von Stauffenbergs gedacht wird.

Die militärischen Verschwörer waren keine Demokraten

Inwieweit diese Kreise als Vorbild für heute dienen, steht auf einem ganz anderen Blatt. Denn mit einem modernen demokratischen Staat, wie wir ihn heute kennen und wie er 1949 im Westen Deutschlands mit der Bundesrepublik gegründet wurde, hatten diese Männer - anders als verschiedene Kreise des nichtmilitärischen Widerstands - nicht viel am Hut. Sie wollten einen adligen Ständestaat, in dem die Armee ein Wort mitreden sollte, oder sie wollten die Monarchie wiederaufleben lassen.

Die meisten sind auch begeistert mitmarschiert, als die Wehrmacht 1939 Polen überfiel. Bei ihrem Widerstand ging es ihnen weniger um die Juden oder darum, die einheimischen Bevölkerungen im Osten zu retten. Sie wollten Deutschland in erster Linie vor dem völligen Untergang retten.

Marion Gräfin Dönhoff Henning von Treschkow war der Kopf des militärischen Widerstands

Ihre Freunde, die überlebt hatten, wie die frühere "Zeit"-Herausgeberin Marion Gräfin Dönhoff oder der spätere Richter am Bundesverfassungsgericht, Fabian von Schlabrendorff, behaupteten zwar zeitlebens, die Offiziere hätten von den Untaten im Osten gar nichts gewusst - deshalb hätten sie auch nichts dagegen tun können.

Fabian von Schlabrendorff

Doch das ist zumindest bei einigen dieser Männer schlicht falsch. Einige der späteren Verschwörer beteiligten sich seit dem Beginn des Russland-Feldzuges am Massenmord im Osten. Zum Teil, während sie gleichzeitig an ihren Attentatsplänen gegen Hitler bastelten.

Die Behauptung, die Verschwörer hätten nichts gewusst, ist eine Legende

Zum Beispiel Henning von Tresckow. Er gilt zurecht als einer der führenden Verschwörer gegen Hitler. Tresckow aber war beispielsweise von August 1942 bis August 1943 verantwortlich für die Geheime Feldpolizei (GFP) im Bereich der Heeresgruppe Mitte in der Sowjetunion. Die GFP war unter anderem für die Unterdrückung der einheimischen Bevölkerung zuständig, um möglichen Widerstandshandlungen von Partisanen gegen die Wehrmacht vorzubeugen.

Nur: Wer Partisan war, bestimmten die Deutschen. Und so wurden unter dem Verdacht des "Partisanenkampfes" alleine im besagten Zeitraum im Bereich der Heeresgruppe Mitte zehntausende "Partisanen" umgebracht. Viele von ihnen waren Juden, die man schlicht und einfach als Partisanen bezeichnete.

"Nichts gewusst haben" sieht anders aus

Hinzu kamen zahllose völlig unschuldige Zivilpersonen - Männer, Frauen und Kinder -, die Opfer von Vergeltungsaktionen wurden. Man erschoss sie ebenfalls oder brannte ihre Dörfer vollkommen nieder.

Gerade in der Zeit, in der von Tresckow die GFP leitete, kam es zu einer drastischen Verschärfung der deutschen Maßnahmen. Tresckow hatte sie nicht erfunden und auch nicht beschlossen. Er sorgte aber mit dafür, dass alles ordnungsgemäß ablief und tat nichts, um das Grauen wenigstens dort etwas abzumildern, wo es ihm möglich gewesen wäre.

Tresckow bekam auch Berichte von den berüchtigten Einsatzgruppen, die durchs Land zogen und massenhaft Menschen töteten, zu Gesicht und zeichnete einige sogar ab. Darin waren die Zahlen der umgebrachten Menschen in einem bestimmten Zeitraum aufgelistet. "Nichts gewusst haben" sieht anders aus.

Massenmord ja - aber nur diszipliniert

Rudolf-Christoph von Gersdorff - Grdrnkstätte Deutscher Widerstand

Ein anderes Beispiel war der Abwehroffizier der Heeresgruppe Mitte, Rudolf-Christoph Freiherr von Gersdorff. Am 21. März 1943 wollte er sich als lebende Bombe mit Hitler in die Luft sprengen. Ein mutiges Vorhaben, doch es ging schief. Aber auch von Gersdorff wusste bestens Bescheid, was hinter den Reihen der kämpfenden Wehrmacht vor sich ging.

In einem Bericht vom Dezember 1942, der an von Gersdorff ging, war bürokratisch korrekt die Gesamtzahl der Getöteten aufgelistet: 134.198. Da bekannt ist, dass sich viele Mitglieder des Verschwörerkreises untereinander austauschten, ist davon auszugehen, dass von Gersdorff die Mitverschwörer von den Zahlen unterrichtete.

Exekutionen zu "Schulungszwecken"

Carl-Hans Graf von Hardenberg

Ein weiteres Beispiel: Als Ende September die Militärverwaltung der Heeresgruppe Mitte in der Stadt Mogilev zu einem Lehrgang über die Partisanenbekämpfung einlud, war mit Major Carl-Hans Graf von Hardenberg ein weiterer Mitverschwörer zugegen. Am Nachmittag des 25. September zog man los, um das gerade in der Theorie Erlernte nun auch in der Praxis zu üben.

Aus "Schulungszwecken" wurde das "schlagartige Besetzen" eines ganzen Dorfes geübt, mit anschließender Durchsuchung der Häuser und dem Verhör der Einwohner. Damit auch alles wirklich echt aussah, wurden am Ende der Aktion 32 Menschen exekutiert. Am folgenden Tag wurde die Aktion in einem Nachbardorf wiederholt. Von Gersdorff bekam einen Bericht über die Aktion auf seinen Schreibtisch und zeichnete ihn ab.

Davon, dass die Verschwörer nichts wussten, wie ihre überlebenden Freunde es später öffentlichkeitswirksam behaupteten, kann also keine Rede sein.

Mitwissen bedeutet nicht automatisch Zustimmung und Zustimmung nicht automatisch Mittun. Keiner der Verschwörer vom 20. Juli hat sich an irgendeiner führenden Stelle bei der Massenermordung von Juden und anderen großen Teilen der Bevölkerung im Osten betätigt.

Die Behauptung aber, die heute als Vorbilder für die Bundeswehr gefeierten Helden hätten nichts von den Massakern und dem Massenmord an Juden und Einheimischen gewusst, ist schlicht falsch. Und einige sind sogar einen Schritt weitergegangen. Es ist trotzdem in Ordnung, die Männer des 20. Juli zu ehren. Aber man sollte schon wissen, wen man ehrt.


© infos-sachsen / letzte Änderung: - 20.07.2024 - 09:32