Politik

Einer wird nicht gewinnen (Oder was hilft uns die Spieltheorie?)

Wenn jeder versucht, schlauer zu sein als alle anderen - was passiert dann eigentlich?

Solche Fragen stellt die Spieltheorie.
Sie beschreibt Phänomene aus Politik und Wirtschaft und lässt sich sogar im Fußball anwenden. Nur Experimente mit echtem Geld kann sie nicht ersetzen.
Von Jürgen Kaube

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Zweites Spiel: Die Feiglinge
oder: Die Kubakrise


Nehmen wir jetzt ein anderes, weniger friedliches Beispiel von zwei Akteuren, die sich aufeinander zubewegen. Und zwar mit dem Auto. Wer zuerst ausweicht, hat verloren. Es handelt sich also um eine Mutprobe. Weicht keiner aus, sind beide tot. Das klingt sehr speziell und kaum aufschlussreich für die wirkliche Welt. Aber es gibt auch weniger pubertäre Beispiele: Wenn der Autor dem Verleger aus dem Blauen heraus droht, er werde ihn verlassen, und der Verleger vorgibt, das sei ihm egal, haben wir dieselbe Situation. Der Klügere gibt nach und verliert. Gibt keiner nach, hätte beispielsweise Thomas Bernhard zurück von Suhrkamp zum Residenzverlag gemusst und Siegfried Unseld hätte ohne Bernhard dagestanden: die schlechteste aller möglichen Welten für beide.

Hier gibt es nun keine dominierende Strategie, sondern zwei Gleichgewichte, die beide gleich gut sind, nur eben nicht für beide Spieler. Denn wenn Kennedy nicht ausweicht und Chruschtschow ausweicht, kann sich Chruschtschow nicht verbessern, indem er sich zu "nicht ausweichen" umentscheidet - und umgekehrt. Hingegen war die historisch gewählte Lösung - beide weichen aus - spieltheoretisch unwahrscheinlich, denn aus ihr heraus wäre ja für beide Seiten Umentschieden gewinnträchtig und also die Katastrophe programmiert gewesen.

Der Soziologe Andreas Dieckmann vermutet daher, dass soziale Normen entstehen, wenn es mehrere Entscheidungsgleichgewichte gibt, zwischen denen das Bessere auszuwählen aber rational unentscheidbar ist. Ampelkoalitionen verkörpern eine solche Norm, internationale Verträge eine andere.

Eine weniger freundliche Art, bei Mutproben eine Entscheidung herbeizuführen, besteht in der Selbstbindung eines Akteurs. Wer glaubhaft signalisieren kann, dass er keinesfalls ausweichen wird, drängt das Gegenüber in die defensive Strategie. Wer sich also vor dem Auto-Ausweichtest vor den Augen der Anderen eine Flasche Schnaps hinter die Binde kippt, legt dem Kontrahenten das Ausweichen nahe. Für Politiker könnte das heißen, sich nicht allzu weitsichtig darzustellen, weil Besonnenheit nur die Härte der Anderen provoziert, signalisiert Irrationalität sie hingegen zum Einlenken bringt. "Wir werden den Nordvietnamesen etwas zuspielen wie: ´Mein Gott, Sie wissen doch, wie sehr Nixon den Kommunismus hasst. Wenn er in Wut gerät, kann ihn keiner mehr stoppen - und der hat die Hand am nuklearen Drücker.` In zwei Tagen ist Ho Chi Minh persönlich in Paris und bittet um Frieden." So Richard Nixon gegenüber seinem Stabschef Harry Haldeman.

Anderseits kann jedes Signal als Bluff interpretiert werden oder dazu führen, dass die Gegenseite ihrerseits Härte noch glaubhafter zu signalisieren versucht - womit wir wieder beim Ausgangsdilemma wären.

Man sieht hieran: Rationalität allein hilft nicht weiter, es kommt darauf an, Personen und Kommunikationen einschätzen zu können. Woran, so lautet die Frage, die das Feiglingsspiel aufwirft, lässt sich erkennen, ob einer es ernst meint? Die Antwort hierauf kann die Spieltheorie selber nicht geben.

Zum Weiterlesen
Andreas Dieckmann: "Spieltheorie, Einführung, Beispiele, Experimente", Rohwohlt Verlag, Reinbek 2009.
Ken Binmore: "Fun and Games. A Text on Game Theory", D.C. Heath, Lexington 1992.
Robert Axelrod: "Die Evolution der Kooperation", Oldenbourg, München 1987.
Christian Rieck: "Spieltheorie, Eine Einführung". Rieck, Eschborn 2008.

© infos-sachsen / letzte Änderung: - 12.01.2023 - 18:25