Von
Oliver Imhof
und
Fedir Petrov
31.03.2025, 19.11 Uhr
Foto: Ukrainian Presidentia / ZUMA Wire / IMAGO
Die USA waren im Ukrainekrieg tiefer in operative Entscheidungen, Zielkoordinierung und Geheimdienstarbeit eingebunden als bisher bekannt. Eine umfangreiche Recherche der "New York Times" zeigt, wie amerikanische und ukrainische Offiziere seit dem russischen Überfall 2022 Seite an Seite Angriffe planten, präzise Koordinaten austauschten und selbst Angriffe auf russisches Gebiet vorbereiteten - über die öffentlich bekannte Unterstützung hinaus.
Nur Wochen nach dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 reisten zwei ukrainische Generäle im Frühjahr 2022 in Zivil nach Wiesbaden, auf den US-Stützpunkt, eskortiert wurden sie dabei offenbar von britischen Kommandos.
Dort wurde dann eine Allianz besiegelt, die dazu führte, dass amerikanische Generäle mit ukrainischen Offizieren Zielkoordinaten auswählten, Drohnenangriffe planten und den Frontverlauf mitbestimmten.
Die "New York Times" enthüllt eine Reihe von Details:
- Die Amerikaner informierten die Ukrainer demnach im April 2022 über die Position des russischen Kriegsschiffes "Moskwa". Allerdings wussten sie offenbar nicht, dass ihre Verbündeten Raketen besaßen, die in der Lage waren, das Schiff zu treffen. Die Ukrainer versenkten es zum Ärger Washingtons ohne Absprache.
- Die Ukraine wollte schon 2022 eine Offensive in Saporischschja starten, nahm jedoch davon Abstand, als entsprechende Simulationen misslangen.
- Die Amerikaner hörten nach der ukrainischen Offensive in Charkiw 2022 ein Gespräch von Sergej Surowikin ab, dem russischen Oberbefehlshaber in der Ukraine. Er soll demnach damit gedroht haben, taktische Atomwaffen einzusetzen, falls die Front einbricht.
Im ersten Kriegswinter herrschte aufseiten der Ukrainer Optimismus. Sie hatten gerade Cherson und große Teile der Oblast Charkiw zurückerobert. Zeitweise drohte ein Kollaps der gesamten russischen Front. Manche Ukrainer wähnten sich schon bald auf der Krim, ein schnelles Kriegsende schien in Sicht.
Was folgte, waren laut "New York Times" zähe Entscheidungen, Fehleinschätzungen, Hybris - und wohl auch ein wenig Pech. In den Fokus rückt dabei eine Rivalität, die den Kriegsverlauf nachhaltig geprägt hat: jene zwischen Walerij Saluschny, dem ehemaligen Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte und aktuellen Botschafter in Großbritannien, und Oleksandr Syrsky, seinem Nachfolger.
Das Ziel einer ukrainischen Gegenoffensive galt lange Zeit als offensichtlich: Kyjiws Truppen sollten die Brücke zur Krim kappen. Die Russen hätten die Halbinsel dann nur noch schwer versorgen können. Der Verlust hätte den Kreml möglicherweise von einem Friedensabkommen überzeugen können, so das Kalkül, oder sogar zu einem Umsturz in Moskau geführt.
Die westlichen Verbündeten lieferten damals massenhaft Material für den Angriff. Mehr als 1000 Panzerfahrzeuge schafften sie in die Ukraine, wenn auch mit Verspätung.
Laut "New York Times" wollten General Saluschny und die Amerikaner zunächst die Großstadt Melitopol im Süden zurückerobern, eine wichtige Station auf dem Weg Richtung Krim. General Syrsky hingegen bevorzugte einen Angriff nahe der gerade verloren gegangenen Großstadt Bachmut im Donbass, die eher symbolischen denn strategischen Wert hatte. Von dort wollte er weiter in die Stadt Luhansk marschieren.
Das Verhältnis zwischen Saluschny und Syrsky war bereits zuvor angespannt, die beiden sahen sich als Rivalen. Nun kämpften sie um Ressourcen für die geplante Offensive. Syrsky setzte sich am Ende durch, und Munition und Truppen wurden zweigeteilt.
Was folgte, ist Geschichte: Die Ukrainer blieben in Minenfeldern hängen oder wurden von russischen Helikoptern gestoppt. Ihre Gebietsgewinne waren minimal, sie bezahlten mit hohen Verlusten bei Personal und Ausrüstung. Präsident Wolodymyr Selenskyj entließ trotzdem Saluschny, weil er diesem offenbar politische Ambitionen unterstellte. Er ersetzte ihn durch Syrsky.
Ein Bericht der britischen Denkfabrik Royal United Services Institute (Rusi) sah damals mehrere Gründe für das Scheitern der Offensive: Mangel an Soldaten und Gerät, zu kurze Ausbildungszeit der Truppen sowie ihre falsche Aufteilung und Informationslecks. Die Russen hatten damals durch undichte Stellen bei Ukrainern und Amerikanern schon vor der Offensive von den Angriffsplänen erfahren.
Im Nachhinein stellt sich die Frage, ob die Ukrainer überhaupt je die Chance auf einen Durchbruch hatten. Laut dem Militärexperten Franz-Stefan Gady wurden im Vorfeld der Offensive zwei wichtige Faktoren unterschätzt: Das Schlachtfeld stand unter fast permanenter Drohnenüberwachung, was größere Bewegungen und Truppenansammlungen erschwerte. Und unzureichend ausgebildete Einheiten mit wenig Erfahrung sollten gegen gut ausgebaute russische Stellungen antreten. Die Ukrainer hatten zuvor bei der monatelangen Verteidigung Bachmuts einige ihrer besten Kräfte verloren. Die Folgen der gescheiterten Gegenoffensive spüren die Ukrainer bis heute.