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FOCUS-Online-Gastautor Hassan Geuad
Hassan Geuad: "Ich kann einfach nicht begreifen, warum es Millionen Muslime in Deutschland hinnehmen, dass unsere Religion von Fanatikern missbraucht wird, dass im Namen Allahs gemordet und gefoltert wird, Frauen unterdrückt und Kleinkinder zu Dschihadisten ausgebildet werden."
Neulich hat Generalbundesanwalt Peter Frank, der oberste Ankläger Deutschlands, mehr vor dem Rechtsextremismus als Unheil für unsere Demokratie gewarnt. In einem Interview mit der "FAZ" sagte er jedoch auch, "dass die Bedrohungslage durch den islamistischen Terrorismus unverändert hoch ist. Rein quantitativ ist die Mehrzahl unserer Verfahren immer noch diesem Phänomenbereich zuzurechnen."
Ich finde beide ätzend und eine Gefahr, auch für mich persönlich - denn ich werde sowohl von Rechtsextremisten als auch Islamisten bedroht. Erstere verachten oder hassen mich, weil ich gläubiger Muslim bin und man mir ansieht, dass ich nicht in Bayern oder NRW geboren bin, wo ich seit der Flucht meiner Eltern aus dem Irak sehr gerne lebte und lebe. Islamisten verachten oder hassen mich, weil ich nicht wie sie in die Welt hinausschreie, dass nur diejenigen gerettet seien, die an Allah glaubten und Muslime seien. Ich meine: Jede und jeder soll an den Gott glauben, an den sie oder er glauben möchte.
Generalbundesanwalt Frank sagte der "FAZ" auch noch einen Satz, den ich glatt so unterschreibe: "Wir dürfen uns nicht der Illusion hingeben, dass mit der Zerschlagung des IS und dem Verlust seiner territorialen Herrschaft im Irak und in Syrien die Gefahr des islamistischen Terrorismus untergegangen ist." Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass der grausame Geist der Mörder des Islamischen Staates weiter unter uns ist: auf er ganzen Welt - und leider auch in Deutschland. Ich erinnere nur an das Attentat von Wien, bei dem im November ein Islamist vier Menschen umgebracht und 23 weitere teils schwer verletzt hat. Oder an die Ermordung des Lehrers Samuel Paty im Oktober nahe Paris, weil dieser es wagte, mit Schülern im Unterricht über Mohammed-Karikaturen zu diskutieren.
Ein Aufschrei ging durch Europa. Aber die Muslime in Deutschland? Sie schwiegen wie immer. Und genau das regt mich seit zig Jahren auf. Das ist der Grund, warum ich "12thMemoRise" gegründet und mein Buch geschrieben habe, in dem ich erzähle, wie schwer es ist, Glaubensbrüder und -schwestern davon zu überzeugen, dass auch wir Muslime nicht länger schweigen dürfen. Ich kann einfach nicht begreifen, warum es Millionen Muslime in Deutschland hinnehmen, dass unsere Religion von Fanatikern missbraucht wird, dass im Namen Allahs gemordet und gefoltert wird, Frauen unterdrückt und Kleinkinder zu Dschihadisten ausgebildet werden. In mir widerstrebt alles dagegen, zumal nirgendwo im Koran steht, dass Allah die Tötung angeblich "Ungläubiger" befiehlt.
Ich habe oft das Gefühl, mit meinen Mitstreitern von "12thMemoRise" allein zu sein. Was wir irgendwie auch sind. Zwar gibt es einige wenige Wissenschaftler wie den Psychologen Ahmad Mansour und den Politologen Hamed Abdel-Samad, die mit ihrer Islam-Kritik an die Öffentlichkeit gehen. Aber keine "einfachen Leute" wie ich und meine Freunde. Während der Rest der Republik leidenschaftlich darüber diskutiert, wie gefährlich der Islam ist und ob er zu Deutschlang gehört, schauen die Muslime weg, als ginge sie all das nichts an.
Warum ist das so? Sie trauen sich nicht.
Nicht nur nach der Buch-Veröffentlichung bekam Hassan Geuad Morddrohungen.
Der Gründer des salafistischen und - Gott sei Dank - inzwischen verbotenen "Lies"-Projektes, Ibrahim Abou Nagie, attackierte "12thMemoRise" in einer an uns adressierten Videobotschaft. Als wüsste er, was wir denken und fühlen, sprach er uns ab, Muslime zu sein. Das machte uns erst recht zur Zielscheibe radikaler Kräfte. Selbst nach der Ausstrahlung des preisgekrönten ARD-Dokumentarfilms über meine Gruppe änderte sich nichts. Wir hatten keinen Zulauf aus der muslimischen Community. Haben die muslimischen Verbände bei uns angefragt, ob und wie sie uns unterstützen können? Nein. Sind die Hassbotschaften weniger geworden? Nein.
Nach den blutigen Anschlägen 2015 und 2016 in Frankreich wollten wir Massendemonstrationen organisieren. Die Verbände spielten auf Zeit oder lehnten ab. Wir bekamen zu hören: "Das sind unsere Brüder, gegen die wir nicht auf die Straße gehen dürfen." Ich kann das bis heute alles nicht glauben. Das Misstrauen uns gegenüber zeigte sich dadurch, dass wir aus den Verbänden gefragt wurden, wer hinter uns stecke und uns bezahle. Dort konnte sich niemand vorstellen, dass es Muslime gibt, die freiwillig und aus eigenem Antrieb für das Ansehen ihrer Religion kämpfen.
Bekommen haben wir nur jede Menge Hassbotschaften: "Möge Allah dich in die tiefste Hölle schicken." Oder: "Ich werde euch abschlachten." Oder: "Auf euch wird bald Jagd gemacht." Deutschland erschien mir und meinen Mitstreitern - Frauen verließen recht schnell die Gruppe - nicht mehr als das Land, das wir kannten und liebten. Und heute? Gibt es immerhin kleine Ansätze, einen liberalen Islam zu etablieren. Aber ich fürchte, das wird nicht reichen, die Reputation dieser wunderbaren Religion zu verbessern. Das Image ist schlecht - und ich kann es nach all den Morden und Schandtaten im Namen des Koran verstehen und nur sagen: Er wird von viel zu vielen Muslimen falsch ausgelegt und gelebt.
Immerhin hat der SPD-Politiker Kevin Kühnert endlich erkannt: "Wenn die politische Linke den Kampf gegen Islamismus nicht länger Rassisten überlassen will, muss sie sich endlich mit diesem blinden Fleck beschäftigen." Recht hat er. Aber nach meinem Erleben muss ich leider sagen: Die politische Linke hat es bisher nicht begriffen und überlässt das Feld der AfD - also genau der Partei, die mich am liebsten zum Teufel jagen würde. Armes Deutschland.
Quelle: focus.de
