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aber jetzt wird es wirklich absurd!
Gastautor Richard Schröder
Samstag, 07.08.2021, 15:09
Wir alle gendern seit Jahrtausenden und das ist gut so.
Bei den Verwandtschaftsbezeichnungen ist die Sache besonders einfach, weil hier das grammatische Geschlecht (Genus) und das biologische Geschlecht (Sexus) immer identisch sind. Die weiblichen Formen sind dabei nicht von den männlichen abgeleitet (wie etwa bei Lehrer/Lehrerin), sondern haben einen eigenen Stamm.
Ansonsten aber sind Genus und Sexus gar nicht immer identisch. Das Deutsche kennt drei Geschlechter, Masculinum, Femininum, Neutrum, "keines von beiden".
Was die Gender-Debatte im Deutschen bestimmt, ist die Tatsache, dass uns ein viertes Genus fehlt. Es wäre das Genus Utrum oder Commune: nicht "keines von beiden", sondern "beide" umfassend, nämlich männliche und weibliche Menschen. Das gibt es in skandinavischen Sprachen. Und im Englischen hat man die drei Artikel zu einem abgeschliffen. Die Glücklichen. The student, das ist eine studierende Person beliebigen Geschlechts und the students sind mehrere davon. Wenn wir das auch hätten, wäre aus unseren Gender-Kriegen die Luft raus. Aber leider haben wir versäumt, "der, die, das" zu "de" zu schrumpfen.
Wir haben aber im Deutschen einen Ersatz für das vierte Geschlecht (Genus), das sogenannte Generische Masculinum. Der Streitpunkt im Gender-Kampf kann nun auch so formuliert werden: ob es im Deutschen ein Generisches Masculinum gibt oder nicht. Das Generische Masculinum ist grammatisch männlich, kann aber sowohl Männer als auch Frauen meinen. Die einen sagen: "'Afrikaner' ist ein generisches masculinum und bezeichnet alle Bewohner Afrikas unabhängig vom Geschlecht." Die anderen sagen: "'Afrikaner' bezeichnet nur afrikanische Männer. Man erkennt das an dem Artikel ‚der'. Deshalb muss es nun: ‚Afrikaner und Afrikanerinnen' heißen. Sonst sind die Frauen unsichtbar gemacht."
Aber wie steht es mit Wörtern wie "Arzt" oder "Lehrer"?
Bei dem Wort "Mensch" wird nach wie vor das Generische Masculinum akzeptiert und nicht gefordert, dass es "Menschen und Menschinnen" heißen müsse, woraus sich dann die "Menschen- und Menschinnenrechte" ergeben würden. Auch bei Arzt wird, je nach Kontext, das Generische Masculinum akzeptiert, aber wohl nur faktisch. Dagegen wird den Nomina Actionis auf -er, wie Lehrer, bestritten, dass sie auch generisch, also Frauen einbeziehend, gebraucht werden dürfen.
Lehrer ist nun nicht mehr nur eine Person, die lehrt, sondern des zudem männlichen Geschlechtes (Sexus) ist. Deshalb muss es nun immer "Lehrer und Lehrerinnen" heißen, wenn alle Lehrenden gemeint sind. Sprachlogisch ist das nicht korrekt. Denn das Wort Lehrerin ist ja von Lehrer abgeleitet und enthält die Endung -er, die angeblich nur Männer meint. Dann wäre ja die Lehr-er-in männlich und weiblich zugleich, was zweifellos nicht gemeint ist. Aber gegen den Brauch kommt keine sprachlogische Argumentation an. Wenn sich die Auffassung durchsetzt, dass der Lehrer immer ein Mann ist, dann hat sie sich eben durchgesetzt. Im Lateinischen gibt es bei den nomina actionis eine männliche und eine weibliche Form: vic-tor und vic-trix. Wenn wir das im Deutschen nachahmen, müsste die lehrende Frau Lehrin heißen.
"Die Lehrerin" erklärt sich historisch. Die Endung -in bezeichnet ursprünglich Zugehörigkeit.
In Sachsen hat sich ein Rest dieses alten -in erhalten, man sagt "de Müllern". Als sich diese Ordnung in kleinen Schritten auflöste, wurden auch Frauen berufstätig, zuerst Unverheiratete. Die Wortbildung auf -in änderte ihre Funktion hin zur weiblichen Berufsbezeichnung, möglicherweise zuerst für Lehrerin oder Kindergärtnerin, weil die zu den ältesten Frauenberufen mit Ausbildung gehörten. Parallel dazu wurde "Lehrer" exklusiv als männliche Lehrkraft verstanden, die Doppelnennung bürgerte sich ein. Da das als Frage der Anerkennung, der Gerechtigkeit und des Diskriminierungsverbots verstanden wird, sollten wir das grundsätzlich akzeptieren, aber nicht übertreiben.
Die Doppelbenennungen sollten wir auf hervorgehobene Fälle, namentlich bei der Anrede vor Versammlungen, beschränken und nicht vollständig konsequent durchführen. Wir können die Tatsache, dass unsere Sprache patriarchales Erbe mit sich führt, nicht vollständig aus der Welt schaffen. Wir können aber hier und jetzt durch die Tat beweisen, dass diese Reste für uns bedeutungslos sind und unserer Achtung der Frauen keinen Abbruch tun.
Nun sind seit einiger Zeit Bemühungen im Gange, doch noch das vierte Geschlecht im Deutschen einzuführen, nämlich durch das Gendersternchen, das als "Glottisschlag" gesprochen werden soll. Es ist der Knacklaut vor dem A, wenn wir "Abend" mit "habend" oder "labend" vergleichen. Dieser Knacklaut wird zwar im Deutschen nicht geschrieben, wohl aber gesprochen und zwar nach festen Regeln. Franzosen halten ihn für typisch deutsch und haben Probleme, ihn auszusprechen. Er wird gesprochen vor Vokalen am Anfang des Wortes bzw. des Wortstamms, wenn kein Konsonant vorhergeht - gegebenenfalls also auch nach Vorsilben (be*inhalten, nicht bein-halten), aber nie vor Nachsilben. In semitischen Sprachen dagegen kommen Knacklaute auch im Wortinneren vor, weil sie dort eigenständige Bedeutungsträger (Phoneme) sind, vgl. Kana*an.
Wer das Gendersternchen bei Lehrer*innen mit dem Knacklaut aussprechen möchte, verstößt gegen diese Regel.
Die meisten Sprachen unseres Globus kennen übrigens gar kein grammatisches Geschlecht (Genus). Demnach können dort Frauen gar nicht sprachlich diskriminiert werden, sollte man denken. In Europa kennt beispielsweise das Finnische und das Türkische kein genus. Die Stellung der Frauen unterscheidet sich aber in beiden Gesellschaften extrem. Sie ist offenkundig gar nicht direkt sprachlich bedingt.
Quelle: focus.de