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Kampf gegen Gewalt Ohne euren MÀnnerhass wÀre die Welt noch schöner

Ein Essay von Ralf Neukirch

20.09.2024, 08.13 Uhr

Meine SPIEGEL-Kollegin ist wĂŒtend. Sie findet, solange es MĂ€nner gibt, gibt es keine sicheren Orte. Man könnte das Problem der Gewalt auch anders angehen. Die Frauen mĂŒssten sich nur darauf einlassen.

Jungen in der Schule (Symbolbild): Probleme wegdefiniert
Foto: Constantinis / Getty Images

Hass ist kein GefĂŒhl, mit dem man sich öffentlich brĂŒstet. Es sei denn, der Hass richtet sich gegen MĂ€nner. Die französische Feministin Pauline Harmange, die dem Thema einen Essay gewidmet hat, findet, dass MĂ€nnerhass "eine befreiende Form der Feindseligkeit" ist. Meine Kollegin Elisa von Hof hat es zurĂŒckhaltender formuliert. Sie wĂŒnscht sich eine Welt ohne MĂ€nner, das "könnte so schön sein".

Es gibt viele BeitrÀge dieser Art, es gibt Hashtags dazu, der MÀnnerhass ist mittlerweile ein eigenes journalistisches Genre. Argumentiert wird in diesen Texten selten. Es geht darum, Befindlichkeiten auszuleben. Deshalb funktionieren sie perfekt in der Welt der sozialen Netzwerke.

Das ist schade, denn es geht um ein wichtiges Thema: Gewalt, die von MĂ€nnern ausgeht. Niemand kann ernsthaft bezweifeln, dass das ein Problem ist. WorĂŒber man reden mĂŒsste, ist die Frage, woher diese Gewalt kommt und wie man sie eindĂ€mmt. Und auch darĂŒber, wer unter dieser Gewalt leidet. Ein Dialog wĂ€re sinnvoll. Das ist nur nicht so einfach.

Wer differenziert, gilt als Komplize

Wer als Mann darauf hinweist, dass die ganz ĂŒberwiegende Zahl der MĂ€nner nicht gewalttĂ€tig ist, gilt schon als Komplize. Auch dazu gibt's einen eigenen Hashtag: #NotAllMen. Fast jeder Mann nutze die Gelegenheit zur Gewalt, wenn er sie bekomme, schreibt die Kollegin. Wenn man die MĂ€nner in zwei Gruppen einteilt - die, die schon vergewaltigt haben, und die, die noch nicht dazu gekommen sind - dann wird's mit dem GesprĂ€ch natĂŒrlich schwierig.

"Klimakrise, Kriege, Despotie, und Diktatur", fast jedes Problem lasse sich auf eine gemeinsame Ursache zurĂŒckfĂŒhren, heißt es in dem Artikel: "MĂ€nner." FrĂŒher war mĂ€nnlich eine Geschlechtsbezeichnung, heute ist es eine Diagnose. Man fragt sich, wie die Therapie wohl aussehen könnte.

An dieser Stelle ein kleiner Transparenzhinweis: Ich habe drei Söhne. Das beeinflusst die Perspektive. Ein Kollege von der "Zeit" schrieb kĂŒrzlich, es sei höchstwahrscheinlich, dass jeder Mann einen anderen kenne, der schon mal gewalttĂ€tig gegenĂŒber einer Frau geworden sei. An den TĂŒrstehern des Diskurses komme ich jetzt wahrscheinlich nicht mehr vorbei, aber: Ich kenne in meinem Umfeld niemanden, bei dem das so ist.

Jeder Junge kennt einen Jungen, dem Gewalt angetan wurde

Ich wĂŒrde einen anderen Satz formulieren: Es ist höchstwahrscheinlich, dass jeder Junge einen anderen Jungen kennt, dem schon mal Gewalt angetan wurde. Dem gedroht wurde, damit er sein Handy rausrĂŒckt. Dem die Nase gebrochen wurde, weil er den Falschen blöd angeguckt hat. Der Sohn eines Bekannten wurde so ĂŒbel zusammengeschlagen, dass er womöglich nie wieder laufen kann.

Nicht nur Frauen erleben Gewalt. MÀnner sind TÀter, aber sie sind auch Opfer, und zwar hÀufiger als Frauen. Laut polizeilicher Kriminalstatistik sind 61 Prozent der registrierten Opfer von Körperverletzung MÀnner.

Dass im vergangenen Jahr 509 Frauen von ihren Partnern getötet wurden, ist schlimm. Insgesamt werden aber mehr MÀnner umgebracht als Frauen. Das scheint nur niemand problematisch zu finden. Und nicht nur MÀdchen, auch Jungen werden hÀufig sexuell missbraucht, rund ein Drittel der Opfer ist nach einem Bericht der UnabhÀngigen Beauftragten zu Fragen des sexuellen Missbrauchs mÀnnlich.

Es kÀme auch den Frauen zugute, wenn die Gesellschaft mehr Empathie mit mÀnnlichen Gewaltopfern hÀtte.

Es geht nicht um einen Wettbewerb, wem grĂ¶ĂŸeres Unrecht widerfĂ€hrt. Es geht um etwas anderes: Wer als Kind Gewalt erfahren hat, neigt eher dazu, als Erwachsener selbst gewalttĂ€tig zu werden. Wer als Junge sexuell missbraucht worden ist, wird mit grĂ¶ĂŸerer Wahrscheinlichkeit selbst zum TĂ€ter. Es kĂ€me auch den Frauen zugute, wenn die Gesellschaft mehr Empathie mit mĂ€nnlichen Gewaltopfern hĂ€tte.

Das wollen viele Feministinnen verhindern. Die Opferrolle beanspruchen sie exklusiv. "Ich will kein Mitleid fĂŒhlen", schreibt Elisa von Hof. "Die Benachteiligung der MĂ€nner ist sowieso nichts im Vergleich zu unserer. ... Niemand wirft Frauen Jobs in Metropolregionen hinterher. Niemand macht bereitwillig Platz in AufsichtsrĂ€ten."

Man könnte ein paar Fakten dagegensetzen: MĂ€nner sterben frĂŒher. MĂ€nner haben eine deutlich höhere Suizidrate. In den gefĂ€hrlichsten Berufen arbeiten fast ausschließlich MĂ€nner - und da sind die Soldaten nicht mitgezĂ€hlt.

Symbolbild Kindesmissbrauch: Ein Drittel der Opfer sind Jungen
Foto: Michael Weber / IMAGO

Es bringt nur nichts, Benachteiligungen gegeneinander aufzurechnen. Das macht die Frauenlobby auch nicht. Sie bestreitet schlicht, dass es Bereiche gibt, in denen MĂ€nner systematisch benachteiligt werden.

Das hat seine innere Logik. Aufmerksamkeit und öffentliches Geld sind begrenzte Ressourcen. Das Geld, das in eine Anlaufstelle fĂŒr missbrauchte Jungen geht, fehlt vielleicht fĂŒr ein Frauenhaus. Andererseits: Wenn der Staat sich mehr um missbrauchte Jungen kĂŒmmern wĂŒrde, wĂ€ren vielleicht auch weniger FrauenhĂ€user nötig.

Doch nichts darf vom Blick auf den Mann als TĂ€ter ablenken. Damit niemand auf die Idee kommt, auch MĂ€nnern mĂŒsse geholfen werden, bedienen sich feministische Aktivistinnen eines wirkungsvollen Kunstgriffs: Dort, wo Frauen betroffen sind, diagnostizieren sie strukturelle Benachteiligung. Geht's um die MĂ€nner, handelt es sich um individuelles Versagen.

Dass Frauen seltener in politischen Machtpositionen sind, liegt dann demzufolge nicht daran, dass sie sich seltener politisch engagieren, sondern dass sie systematisch aus Ämtern ferngehalten werden. Dass MĂ€nner frĂŒher sterben, erscheint dagegen als individuelles Problem. Sollen sie sich halt besser ernĂ€hren.

Besonders grotesk ist diese Haltung in einem Bereich, in dem die Benachteiligung von Jungen seit Langem dokumentiert ist, in der Bildungspolitik. Jungen machen seltener Abitur, und wenn, dann haben sie im Schnitt schlechtere Noten. Sie studieren seltener, sie verlassen die Schule hÀufiger als MÀdchen ohne Abschluss. Es ist ein Trend, der sich in vielen Bereichen abzeichnet.

Sind Jungen blöder? "Niemand schenkt MĂ€dchen bessere AbschlĂŒsse", schreibt die Kollegin. Doch, genau das.

Nicht nur ist der Unterricht eher auf die FĂ€higkeiten und die BedĂŒrfnisse von MĂ€dchen ausgerichtet. Es gibt zahlreiche Studien, die belegen, dass Jungen bei gleicher Leistung schlechtere Noten erhalten. MĂŒssen Lehrer Tests bewerten, ohne dass sie das Geschlecht der SchĂŒler kennen, erzielen Jungen bessere Ergebnisse.

Damit nun niemand auf die Idee kommt, daran etwas zu Ă€ndern, wird das Problem wegdefiniert. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft ist da sehr aktiv. Die Annahme, dass der Bildungserfolg von MĂ€dchen einen Bildungsverlust von Jungen bedeute, sei definitiv falsch, erklĂ€rte die Bildungsreferentin Kristin Behnke vor einiger Zeit in einem Vortrag auf einer GEW-Landesfrauenkonferenz. Nach dieser Logik könnte man auch sagen: Dass MĂ€nner mehr verdienen, heißt nicht, dass Frauen weniger verdienen.

Sobald offenkundig wird, dass Jungen oder MĂ€nner Nachteile erleiden, wird das Geschlecht zur entbehrlichen Kategorie.

Behnke geht noch weiter: "Die RealitÀt ist vielfÀltig und stellt sich nicht aufgeteilt in mÀnnlich und weiblich dar." Das ist der Klassiker. Sobald offenkundig wird, dass Jungen oder MÀnner Nachteile erleiden, wird das Geschlecht zur entbehrlichen Kategorie. Ist es andersherum, gilt das selbstredend nicht.

Demonstrantin fĂŒr Frauenrechte: Exklusiver Opferstatus
Foto: ODD ANDERSEN/ AFP

Jungen mĂŒssen in der Schule mehr leisten als MĂ€dchen. Ihr Leiden interessiert auch weniger. Eine Studie des Leibniz-Instituts fĂŒr Bildungsforschung und Bildungsinformation hat ergeben, dass Lehrerinnen und Lehrer eher eingreifen, wenn ein MĂ€dchen gemobbt wird. Jungs werden hĂ€ufiger mit ihren Problemen alleingelassen. Man geht offenbar eher davon aus, dass sie damit klarkommen.

Das GefĂŒhl der Hilflosigkeit kann Menschen, die gemobbt wurden, fĂŒr ein ganzes Leben prĂ€gen. Veraltete Rollenbilder schaden also nicht nur den MĂ€dchen.

Besonders schwer haben es Jungen mit Migrationshintergrund. Sie kĂ€mpfen mit dem Rassismus von rechts und der MĂ€nnerverachtung von links. Dass sie hĂ€ufiger als ihre MitschĂŒlerinnen und MitschĂŒler die Schule abbrechen und seltener Abitur machen, ist nur folgerichtig.

In anderen LĂ€ndern wird das Problem angegangen. Das norwegische Parlament hat im FrĂŒhjahr einen Bericht veröffentlicht, der die Politik auffordert, sich stĂ€rker um die Probleme von Jungen und MĂ€nnern zu kĂŒmmern. In den USA machte vor zwei Jahren das Buch "Of Men and Boys" von Richard V. Reeves, einem Forscher am Washingtoner Thinktank Brookings, Furore.

Reeves weist darauf hin, dass Jungen und MÀdchen in einem bestimmten Alter biologisch unterschiedlich schnell reifen. Er schlÀgt vor, Jungen spÀter als MÀdchen einzuschulen. In Norwegen soll ein flexibler Schulstart möglich sein.

Einseitige Sicht auf das Problem

Ob das sinnvoll ist, darĂŒber kann man diskutieren. DafĂŒr mĂŒsste man aber zunĂ€chst einmal das Problem anerkennen. Das verhindert in Deutschland ein administrativer Komplex, der die Behauptung, dass nur Frauen benachteiligt werden, institutionell absichert. Es gibt in den Behörden und Institutionen der LĂ€nder mehrere Hundert sogenannte Gleichstellungsbeauftragte. Dass das eine einseitige Sicht auf das Problem befördert, liegt nahe.

Jungen werden in der Schule abgehÀngt, sie finden in ihrer Not keine Hilfe, ihnen wird andauernd gespiegelt, dass sie im Vergleich zu MÀdchen defizitÀre Wesen sind - und dann bekommen sie von meiner Kollegin den Ratschlag: "Es wird Zeit, dass ihr endlich an euch arbeitet." Es braucht sich niemand zu wundern, dass viele junge MÀnner einem chauvinistischen und gewalttÀtigen Influencer wie Andrew Tate hinterherlaufen.

Zementierte VerhÀltnisse

MĂ€nner missbrauchen Macht, weil sie welche haben. Wenn Frauen mehr Macht bekommen, missbrauchen sie diese auch. Das zeigt die Praxis. Am besten wĂ€re es wohl, man suchte gemeinsam nach Lösungen. Das scheint nur nicht gewĂŒnscht zu sein.

Wem's guttut, der darf sich natĂŒrlich ĂŒber die MĂ€nner auslassen. Dann sollte nur klar sein, dass man damit die VerhĂ€ltnisse zementiert, statt sie zum Tanzen zu bringen.


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© infos-sachsen / letzte Änderung: - 20.03.2024 - 18:13