"Ohne alle Klügelei des Wortes"
Erschienen am 28.12.2019
Von Ulf Heise
Umstrittener Intellektueller: Vor 250 Jahren wurde der Politiker und Publizist Ernst Moritz Arndt geboren. Sein Wesen und Wirken polarisiert die Deutschen bis heute.
Wortmächtiger Politiker: Ernst Moritz Arndt in einer Lithografie aus den 1850er-Jahren.
Foto: Reproduktion: Wikipedia
Im Gegensatz zu vielen Gelehrten seiner Epoche verschwand Ernst Moritz Arndt nie aus dem Gedächtnis der Öffentlichkeit. 2001 benannte die Internationale Astronomische Union einen Asteroiden nach ihm, weil er als Politiker mit aller Energie für die Einheit Deutschlands kämpfte und 1848 als Abgeordneter in die legendäre Frankfurter Nationalversammlung einzog.
Die Gründung einer Organisation, die Biografie und Werk des bedeutenden Lyrikers und Demokraten erforscht, ist erst 27 Jahre her. Monumente zu Ehren des Akademikers finden sich in Bonn, wo er 1860 starb, und in Stralsund. Etliche Gymnasien sind nach ihm benannt. Dennoch tobt seit einiger Zeit heftiger Zank um den vielfach Begabten, der 1769 in Groß Schoritz auf der Insel Rügen als Sohn eines ehemaligen Leibeigenen das Licht der Welt erblickte. Die Universität Greifswald, an der er seine erste Professur als Philologe antrat, legte 2018 nach sehr unappetitlichen Debatten den Namen des Wissenschaftlers ab. Im Mai 2019 beschloss auch die evangelische Gemeinde in Berlin-Zehlendorf, sich vom bisherigen Schutzpatron ihrer Kirche zu trennen.
Diese Schritte rechtfertigte man mit dem Argument, dass sowohl die Hochschule, als auch das Gotteshaus während des Naziregimes auf Arndts Namen getauft wurden. Passend dazu rückte der "Zeit"-Journalist Benedikt Erenz den Dichter in die rechte Ecke, bezichtigte ihn als "völkischen Ideologen" sowie "nationalistischen Hassprediger" und "Antisemiten".
Diesem barschen Urteil mangelt es an Objektivität, denn es heißt, genauer zu differenzieren. Abneigung gegen Juden galt im 18. und 19. Jahrhundert europaweit als absolut salonfähig. Geschätzte Koryphäen wie der Pädagoge Johann Heinrich Pestalozzi und der Turnvater Friedrich Ludwig Jahn verhehlten ihren Antisemitismus nicht. Trotzdem verbannte man sie nicht in den Orkus.
In jüngster Zeit versuchte die AfD, Arndt vor ihren Karren zu spannen. Der mecklenburg-vorpommersche AfD-Landtagsabgeordnete Ralph Weber erklärte: "Niemand hat das Andenken von Ernst Moritz Arndt für sich gepachtet."
Die Ernst-Moritz-Arndt-Gesellschaft distanzierte sich postwendend von solchen Versuchen des ideologischen Missbrauchs: "Diese Vereinnahmung empört uns. Jeder Arndt Kenner weiß, wie untauglich es ist, den Romantiker und Freiheitsstreiter Arndt vor dem Hintergrund seines vielfältigen Werks - mir nichts, dir nichts - einseitig parteipolitisch zu vereinnahmen."
Verbale Attacken gegen die Franzosen, die man Arndt immer wieder ankreidet, speisten sich keineswegs aus chauvinistischem Geist, sondern aus seinen bitteren Erfahrungen mit dem von ihm gehassten Diktator Napoleon, vor dem er 1806 ins schwedische Exil fliehen musste. Dass er in hymnischen Versen gegen den selbstgekrönten Kaiser und dessen Untertanen polemisierte, erklärt sich aus dieser dramatischen Situation. Sein Zeitgenosse Theodor Körner bäumte sich in ähnlich martialischen Strophen gegen die französische Fremdherrschaft auf, ohne dass man ihm dafür ein Platzverbot in den Annalen der Geschichtsschreibung ausgesprochen hätte.
Arndt wuchs in einer Aera auf, in der es um die Verteidigung der deutschen Souveränität ging. Er offenbarte sich von Beginn seiner Karriere an als rebellischer Typ, der nicht davor zurückschreckte, Risiken einzugehen. So wurde er 1819 in Bonn wegen revolutionärer politischer Auffassungen all seiner Ämter enthoben und durfte keine Vorlesungen mehr halten. Beamte beschlagnahmten seine Manuskripte und eröffneten gegen ihn ein Gerichtsverfahren wegen "demagogischer Umtriebe", das allerdings im Sande verlief. In seinen Pamphleten bediente er sich einer Sprache, die laut Bibliograf Karl Heinz Schäfer "klar und ohne alle Klügelei des Wortes" war. Deshalb genoss er im Alter den Status eines Volkshelden.
Obwohl Arndt in seinen Texten oft kampfeslustig und aggressiv erscheint, befürwortete er keineswegs bewaffnete Auseinandersetzungen: "Denn der Krieg ist ein Übel, und die Gewalt ist das größte Übel." In seinen künstlerischen Arbeiten ("Was ist des Deutschen Vaterland? So nenne endlich mir das Land! - So weit die deutsche Zunge klingt und Gott im Himmel Lieder singt, das soll es sein!") drückt sich ein Patriotismus aus, der zu seinen Lebzeiten nichts Ungewöhnliches darstellte und dem man heute Respekt zollen sollte, ohne ihn uneingeschränkt zu teilen.
Vom nötigen Maß an Toleranz beim Umgang mit dem umstrittenen Intellektuellen zeugt eine Initiative der Greifswalder Bürgerschaft. In der Hansestadt erwägt man seit Juni den Bau einer Arndt-Gedenkstätte. Ein Findling, eine Eiche oder ein von einem Künstler und Schülern der Arndt-Schule gestaltetes Kunstobjekt stehen zur Debatte, als Ort ist der Platz vor dem Stadtarchiv vorgesehen. Doch die Realisierung lässt auf sich warten.
Quelle:
FP vom 28.12.2019