Wider dem Vergessen
Messer-Angriff von Chemnitz
FOCUS-Online-Reporter Göran Schattauer
Mittwoch, 13.11.2019
Polizei/AdobeStock/iStock/Composing: Sascha Weingartz
Mutmaßlicher Messerstecher von Chemnitz: Der Iraker Farhad A. wird weltweit gesucht.
Knapp 15 Monate nach dem tödlichen Messerangriff von Chemnitz am 26. August 2018 fehlt von einem der beiden Beschuldigten jede Spur. Der gebürtige Iraker Farhad A. hatte sich kurz nach der Bluttat unter dubiosen Umständen aus Chemnitz abgesetzt.
"Seitdem ist Farhad A. nicht erreichbar. Gegen ihn wird international mit Haftbefehl gefahndet, bislang ohne Erfolg", konstatiert das Landgericht Chemnitz in seiner schriftlichen Begründung zum Urteil gegen den zweiten Beschuldigten Alaa S. vom 28. Oktober 2019. Wo sich Farhad A. derzeit aufhalte, sei den Behörden "nicht bekannt", heißt es in dem 45-seitigen Dokument, das FOCUS Online vorliegt.
Nach Überzeugung des Gerichts war Farhad A. an dem tödlichen Angriff auf Daniel H. beteiligt. Er soll - ebenso wie der bereits zu langer Haft verurteilte Syrer Alaa S. - auf das 35-jährige Opfer eingestochen haben. Während seiner Flucht vom Tatort habe Farhad A. mit einem Kumpel telefoniert und erzählt, dass er "mit einem Messer gestochen habe".
Zwei Tage später, in den Morgenstunden des 28. August 2018, verließ Farhad A. zusammen mit seinem Bruder und einem Kumpel Chemnitz unter konspirativen Umständen. Das Trio ließ sich in einer Art "Schwarztaxi" nach Leipzig bringen. Im Stadtteil Kleinzschocher verliert sich ihre Spur.
In den ersten Wochen nach der Tat gingen bei der Polizei 42 Hinweise aus dem gesamten Bundesgebiet zum möglichen Aufenthaltsort von Farhad A. ein, der laut Steckbrief "bewaffnet sein könnte".
Nach FOCUS-Online-Recherchen befand sich unter den Informanten auch ein V-Mann - eine Vertrauensperson - der Polizei, dem strikte Geheimhaltung zugesichert worden ist. Die Quelle teilte den Fahndern mit, Farhad A. und dessen Bruder seien "von einem Polen" aus Deutschland herausgebracht worden und hätten sich in den Irak abgesetzt. Es gibt aber auch Hinweise, nach denen der Beschuldigte in der Türkei sein könnte.
Während man im Kreis der Strafverfolger weiter über die Ausreise-Route von Farhad A. rätselt, lässt sich seine Einreise als "Flüchtling" relativ gut nachzeichnen.
Wie FOCUS Online aus Justizkreisen erfuhr, kam Farhad A. mit Hilfe eines Schleppers über die Türkei, Griechenland, Mazedonien und Serbien nach Deutschland. Kurz nach seiner Einreise am 11. Januar 2016 bat er um Asyl. Im Januar 2017 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) den Antrag ab und stellte klar: "Abschiebungsverbote liegen nicht vor."
Gegen den Bamf-Bescheid erhob Farhad A. im Februar 2017 Klage beim Verwaltungsgericht Chemnitz.
Während seiner zweieinhalb Jahre in Deutschland beging Farhad A., der über 14 Alias-Identitäten verfügte, etliche Straftaten: Körperverletzung, Drogenhandel, Diebstahl, Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung, Beleidigung, Bedrohung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Auch ein Fall von gefährlicher Körperverletzung findet sich in seiner Polizeiakte: Anfang 2017 soll Farhad A. einen Syrer mit einem Messer angegriffen und verletzt haben.
Nach Angaben seiner Kumpels führte der Iraker immer ein Messer bei sich, offenbar auch am Tag des Angriffs auf Daniel H. in Chemnitz.
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Im Video: Messerstich am Rücken - Augenzeuge schildert im Prozess die Ereignisse der Tatnacht
FOCUS Online/WochitIm Video: Messerstich am Rücken - Augenzeuge schildert im Prozess die Ereignisse der Tatnacht
Quelle: focus.de vom 13.11.2019