Wider dem Vergessen
FOCUS-Online-Reporter Göran Schattauer
Montag, 22.02.2021, 21:01
Wie FOCUS Online aus Justizkreisen erfuhr, startet am 3. März 2021 am Amtsgericht Leipzig eine Verhandlung, in der es um eine mutmaßliche Körperverletzung zu Lasten von Farhad A. geht (Az.: 216 Cs Js 48913/18). Angeklagt ist der Mitarbeiter eines Tanzclubs in Leipzig, der im Eingangsbereich die Gäste auswählt.
Die Tat soll sich am 17. Juni 2018 ereignet haben, rund zwei Monate vor dem tödlichen Messerangriff in Chemnitz, bei dem der 35-jährige Deutsche Daniel H. am 25. August gestorben war. Farhad A. soll einer der beiden Messerstecher gewesen sein. Kurz nach der Bluttat hatte er sich aus Deutschland abgesetzt. Bis heute blieb die internationale Fahndung nach ihm erfolglos. Der zweite Täter, ein Syrer, wurde bereits rechtskräftig zu neuneinhalb Jahren Haft verurteilt.
Bei dem aktuellen Verfahren am Amtsgericht Leipzig geht es nach FOCUS-Online-Informationen um einen Zwischenfall vor dem Leipziger Nachtclub "L1". Die Location im Zentrum der Stadt gilt als Party-Hotspot mit großem Dancefloor und eleganter Loungebar. Die 15-Liter-Flasche Champagner kostet hier 3300 Euro, der halbe Liter Gin 140 Euro. Die Namensähnlichkeit zum Münchner Nobel-Club "P1" kommt also nicht von ungefähr.
Am 17. Juni 2018 wollte der abgelehnte Asylbewerber und notorische Kriminelle Farhad A. den Club besuchen. Laut Staatsanwaltschaft kam es vor dem Lokal zu einer körperlichen Auseinandersetzung mit einem Mitarbeiter des "L1". Es handelt sich um den 38 Jahre alten Michael T., der nun als Beschuldigter gilt. Sein Verteidiger Frank Hannig aus Dresden wollte sich auf Nachfrage nicht zu dem Fall äußern.
Nach FOCUS-Online-Recherchen arbeitet Michael T. als sogenannter "Selekteur" vor dem Eingang des Clubs. Seine Aufgabe besteht darin, den Dresscode der Gäste - gewünscht werden "stylische, schicke, moderne" Klamotten - zu prüfen. Er entscheidet, wer reinkommt und wer nicht.
Mit Farhad A. gab es offensichtlich Probleme, die schnell eskalierten. Laut Staatsanwaltschaft soll Club-Mitarbeiter Michael T. den Iraker gegen 1.10 Uhr mehrfach mit der Hand oder der Faust ins Gesicht geschlagen haben. Mindestens einmal, so die Behauptung der Ermittler, trat der Beschuldigte auf den am Boden liegenden Farhad A. ein. Der angeblich Geschädigte habe leicht an der Lippe geblutet und Schmerzen an der rechten Schläfe gehabt, so die Staatsanwaltschaft.
Bereits im Januar 2019 erließ das Amtsgericht Leipzig einen Strafbefehl wegen Körperverletzung gegen Michael T. Die festgesetzte Geldstrafe: 2500 Euro (50 Tagessätze zu 50 Euro). Hinzu kommen die Kosten des Verfahrens. Weil der Beschuldigte Einspruch einlegte, kommt es nun Anfang März zur Hauptverhandlung. Der Prozess soll aufklären, was sich am Tatabend wirklich vor dem "L1" abgespielt hat. Gegenüber FOCUS Online bestreitet Michael T. die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft vehement. Der 38-Jährige sagt, er sei von Farhad A. beleidigt, bedroht und angespuckt worden.
"Der Mann hatte kurze Hosen an, einen Rucksack und eine Bierflasche in der Hand", erzählt Michael T. "In so einem Aufzug kommt bei uns keiner rein." Dies habe er dem sichtlich angetrunkenen Mann in einer Mischung aus Deutsch, Englisch und Zeichensprache klargemacht.
"Er kam mir ganz nah und spuckte mir aus etwa 20 Zentimetern ins Gesicht", berichtet der "L1"-Mitarbeiter. "Daraufhin habe ich meinen Arm ausgestreckt und ihn weggedrückt. Dann hat er mich wieder angespuckt, insgesamt drei Mal". Wieder und wieder habe der Alkoholisierte ihn provoziert: "Bist Du Mann, oder was?"
Michael T. schildert die entscheidende Szene: "Ich habe ihn gepackt und auf den Boden gedrückt." Bei dem Gerangel habe ihm sein Kontrahent "das Jackett zerfetzt und die Knöpfe abgerissen". Im Schwitzkasten habe er den renitenten Besucher aus dem Eingangsbereich des Clubs gezerrt.
Im Gespräch mit FOCUS Online versichert der Beschuldigte Michael T., zu keiner Zeit habe er dem Gast einen Faustschlag ins Gesicht verpasst oder den bereits am Boden Liegenden getreten, so wie es die Staatsanwaltschaft ihm vorwirft. Dass die Sache ein juristisches Nachspiel haben könnte, sei ihm damals nicht ansatzweise in den Sinn gekommen, erzählt der Beschuldigte.
Als "Selekteur" sei es eigentlich nicht sein Job gewesen, den Störenfried aus dem Eingangsbereich des Clubs zu bringen, sondern die Aufgabe der Security-Leute, sagt Michael T. Doch die hätten ihn trotz mehrfacher Aufforderung nicht unterstützt, was offenbar daran liege, dass zwischen ihm und den Türstehern ein angespanntes Verhältnis bestehe. "Einer von denen hat später wohl bei der Polizei behauptet, ich hätte zugeschlagen", erzählt Michael T. "Doch das stimmt nicht."
Für den Prozess am Leipziger Amtsgericht sind mehrere Zeugen geladen, die das Geschehen vom 17. Juni 2018 aus ihrer Sicht schildern sollen. Man darf gespannt sein, was sie nach mehr als zweieinhalb Jahren noch wissen - oder glauben zu wissen. Das angebliche Opfer Farhad A. ist auf der Flucht und wird logischerweise nicht vor Gericht aussagen.
Hilfreich für die Aufklärung könnte eine Videoaufzeichnung vom Streit zwischen Farhad A. und Michael T. sein. Nach FOCUS-Online-Informationen hatte eine Überwachungskamera im Eingangsbereich des Clubs die Szenen gefilmt. Doch die Aufnahmen, die von der Polizei seinerzeit nicht sichergestellt wurden, existieren heute nicht mehr.
Farhad A. war Anfang Januar 2016 über die Türkei, Griechenland, Mazedonien und Serbien nach Deutschland gekommen und hatte vergeblich Asyl beantragt. Während seiner zweieinhalb Jahre in Deutschland beging der Iraker, der
Quelle: focus vom 22.02.2021