zur Erinnerung

Wider dem Vergessen

In der Nacht vom 25.08.2018 zum 26.08.2018 wurde ein Mann in Chemnitz "abgeschlachtet".

"Aufgeheizte Atmosphäre"

Messerangriff von Chemnitz:

Opfer-Anwalt kritisiert politische Aufladung des Prozesses

FOCUS-Online-Reporter Göran Schattauer

Samstag, 26.10.2019

Der Rechtsanwalt Hagen Karisch hat ein Opfer des Messerangriffs von Chemnitz vertreten. Dimitri M. war bei dem Attentat im August 2018 schwer verletzt worden. Jetzt spricht Karisch erstmals über den hochdramatischen Fall und berichtet, welche Qualen sein Mandant durchstehen musste. Aufgezeichnet von Göran Schattauer.

dpa/AdobeStock/iStock/Composing: Sascha Weingartz Blumen und Kränze am Tatort in Chemnitz.

Es geschah am Morgen des 26. August 2018. Bei einem Messerangriff im sächsischen Chemnitz starb der 35-jährige Tischler Daniel H., zwei weitere Männer wurden verletzt. Einer von ihnen: Dimitri M., ein Lkw-Fahrer, der in Russland geboren wurde und seit vielen Jahren in Deutschland lebt. Der 38-Jährige kam mit lebensbedrohlichen Stichwunden ins Krankenhaus. Ich habe ihn später vor Gericht vertreten, wo er als Nebenkläger auftrat.

Fassungslos über menschenverachtendes Vorgehen der Täter

Schon bei unserem ersten Treffen spürte ich, wie sehr mein Mandant unter den Geschehnissen litt. Er sprach wenig und wollte die Sache möglichst schnell hinter sich lassen. Eines aber signalisierte er ganz deutlich: wie fassungslos ihn das brutale, menschenverachtende Vorgehen der Täter mache.

Bereits kurz nach der Tat kam es in Chemnitz zu teilweise gewalttätigen Demonstrationen rechter Gruppen. Die Stimmung in der Stadt war explosiv. Polizei und Staatsanwaltschaft standen unter massivem Erfolgsdruck. Als Opferanwalt kam es mir stets darauf an, die Ermittlungsergebnisse sachlich zu hinterfragen. In der aufgeheizten Atmosphäre hieß das vor allem, einen kühlen Kopf zu bewahren.

FOL Hagen Karisch, 54 Jahre alt, Fachanwalt fĂĽr Strafrecht aus Leipzig.
Anwalt: Musste Mandant vor Instrumentalisierung schĂĽtzen

Meine wichtigste Aufgabe sah ich zunächst darin, Dimitri M. konsequent abzuschirmen. Nach der Tat hatten einige Journalisten auf zum Teil sehr aggressive Weise versucht, Kontakt zu ihm aufzunehmen. Unsere Strategie - die absolute Verweigerung gegenüber Öffentlichkeit und Medien - war wichtig, damit niemand das Opfer in irgendeiner Weise beeinflussen oder instrumentalisieren konnte. Für mich ging es immer um die Aufklärung eines Verbrechens, nicht um Politik.

Die Verteidiger des Angeklagten und mittlerweile zu neuneinhalb Jahren Haft Verurteilten aus Syrien sahen das offenkundig anders. Gleich zu Beginn der Verhandlung beschworen sie eine politische Dimension des Verfahrens herauf und stellten einen fairen Prozess in Frage. Indirekt unterstellten sie der sächsischen Justiz Ausländerfeindlichkeit und Inkompetenz im Umgang mit derartigen Fällen. Das Gericht hat sich von den Störfeuern glücklicherweise nicht beeindrucken lassen und sämtliche Provokationen ins Leere laufen lassen.

AdobeStock/iStock/Composing: Sascha Weingartz
Ă–ffentliche Zweifel an Aussagen machten Opfer zu schaffen
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Mein Mandant musste gleich zu Beginn des Strafprozesses als Zeuge aussagen. Der Auftritt fiel ihm sehr schwer. Seine Erinnerungen an das Tatgeschehen waren zum Teil verblasst, er konnte die Angreifer nicht genau beschreiben, wofür ich angesichts der Dynamik des Geschehens und der chaotischen Szenen am Tatort vollstes Verständnis habe. Dass seine Angaben immer wieder kritisch hinterfragt und sogar angezweifelt wurden, hat ihm psychisch schwer zu schaffen gemacht.

Dimitri M. fragt sich, warum es gerade ihn traf. Er arbeitet hart, führt ein unauffälliges Familienleben, engagiert sich nicht politisch, fühlt sich in Deutschland wohl. Vom mittlerweile beendeten Prozess erhofft er sich einen Schlussstrich unter ein für ihn und seine Angehörigen erschreckendes und frustrierendes Kapitel. Sein größter Wunsch: Rückkehr in die Normalität.

(Der Beitrag erschien in leicht gekĂĽrzter Fassung im FOCUS-Spezialheft "Ihr Recht 2019")


Artikel aus Focus-online

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