Abschied ist ein leises Wort
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â 29. Dezember 2019 in Potsdam
( 83 Jahre )
Geheim war sein Leben mit, in und rund um die DDR-Staatssicherheit, ein Leben, dem sich zuerst der "Spiegel" Anfang der 90er-Jahre in einem Artikel mit dem unscheinbaren Halbsatz nĂ€herte, es gebe da noch einen Decknamen IM "SekretĂ€r", ĂŒber den bald womöglich auch noch jemand "stolpern" werde.
Quelle: dpa/Ralf Hirschberger
Mit Manfred Stolpe hatte die SPD ihren einzigen Landesvater in der ehemaligen DDR und zugleich ihren Fall Globke. Der Fall Stolpe war inhaltlich gĂ€nzlich anders gelagert als bei Konrad Adenauers Kanzleramtschef Hans Globke, der in seinem frĂŒheren Leben als Jurist die Nazi-Rassegesetze teilweise mit entworfen, teilweise zustimmend kommentiert hatte.
Von Manfred Stolpe und seinen sagenhaften FĂ€higkeiten hörte ich zum ersten Mal als Bausoldat, also als einer, der den Dienst an der Waffe in der DDR verweigerte. Einem anderen Bausoldaten war damals - 1983 - wegen permanenter AufmĂŒpfigkeit mit dem MilitĂ€rstaatsanwalt gedroht worden. Geh zu Stolpe, wurde ihm geraten. Der habe da einen Draht.
Stolpe, 1936 geboren in Stettin, Jurist, trug in den Achtzigerjahren den Titel KonsistorialprĂ€sident. Sein Arbeitszimmer befand sich in einem Plattenbau in der Neuen GrĂŒnstraĂe in Berlin-Mitte, seine eigentliche Arbeitsbeschreibung war Jurist der evangelischen Kirche. Sein Image: WundertĂ€ter, Sesam-öffne-dich der DDR-Haftanstalten.
Foto: MARCO-URBAN.DE
Ohne Zweifel hat Stolpe Menschen geholfen und ermutigt. Wer den Mann in seinem BĂŒro im Konsistorium besuchte, spĂŒrte, da war jemand, der um seinen Ruf wusste, ein Dialektiker der feinsten Worte, durchaus auch eitel. Ein Mann mit Eigenschaften, ein Optimist, dessen GesprĂ€chspartner gelegentlich darĂŒber klagten, er habe etwas Unnahbares.
Er nahm Zettel entgegen, auf denen Namen standen, er notierte etwas in seinen Kalender, er brummelte, und man verlieĂ erleichtert das Zimmer. Was er danach wohl tat? Mit Erich Honecker telefonieren? Oder mit Helmut Schmidt? Er raunte mitunter, er mĂŒsse ins "groĂe Haus", mehr sagte er nicht.
Stolpe wurde zum Chefdiplomaten, dessen Auftrag und Grenzen nie genau definiert worden waren. Manches GeschĂ€ft fiel schon vor dem Ende der DDR nicht unter die Rubriken NĂ€chstenliebe oder Existenzsicherung der Kirche. Letztere wĂ€re gewiss auch ohne den Import von Volvos fĂŒr die Bischöfe ausgekommen.
Die Frage nach seiner möglichen Verstrickung wurde zu einer symbolisch ĂŒberhöhten Auseinandersetzung. Stolpes ohnehin unterentwickeltes AufklĂ€rungsbedĂŒrfnis in eigener Sache schrumpfte weiter. Das empörte und stachelte seine Widersacher derart an, bis deren Urteilsvermögen zu einem Verurteilungswillen mutierte (wovon ich selbst nicht immer frei war).
Von vielen frĂŒheren DDR-BĂŒrgern wurde Stolpe zusammen mit Regine Hildebrandt als menschlicher Schutzschild gegen die Widrigkeiten des Westens gesehen. Kanzler Gerhard Schröder machte ihn zum Bundesminister, aber eher weniger wegen Stolpes Erfahrungen in Bau- und Verkehrsfragen, sondern mehr im Glauben an die Wirkung der Personalie auf die Ostdeutschen. Es war eine besondere Ironie der Geschichte, dass der SED-Kenner Stolpe nun deren Nachfolgepartei PDS im SPD-Auftrag eindĂ€mmen sollte.
Manfred Stolpe erkrankte an Krebs. Bis zuletzt schaltete er sich in politische Debatten ein, um die Zukunft der Stadt Potsdam oder um das VerhÀltnis Deutschlands zu Russland. Er war ein Mensch, der seinen WeggefÀhrten RÀtsel aufgab. Nun ist er im Alter von 83 Jahren gestorben. Einige Geheimnisse nimmt er mit ins Grab.