28.01.2016, 13.17 Uhr
Als das Space Shuttle "Challenger" am 28. Januar 1986 genau 73 Sekunden nach dem Start explodierte, als die Bilder des Unglücks anschließend im Fernsehen gezeigt wurden, blieben meine Gedanken aus irgendeinem Grund ausgerechnet an diesen beiden Feststoffraketen hängen, die aus dem Feuerball unkontrolliert weiter in den Himmel schossen. Wie gierige weiße Finger griffen sie ins unendliche Blau über Florida - bis Nasa-Manager sie ferngesteuert sprengten.
Dass ein Defekt an einer dieser Feststoffraketen Schuld an alldem war, Schuld am Tod von sieben Menschen, habe ich erst später begriffen.
Als Erwachsener hat mich dann ein anderer Aspekt der Katastrophe beschäftigt, den ich mit noch viel mehr Verzögerung verstanden habe. Wobei, verstanden ist das falsche Wort. Denn verstehen kann man das nicht, wenigstens ich nicht.
Die Astronauten der "Challenger", Kommandant Dick Scobee, Pilot Michael Smith und all die anderen an Bord, Judith Resnik, Ellison Onizuka, Ronald McNair, Gregory Jarvis und die Lehrerin Christa McAuliffe, sie haben die Explosion ihrer Raumfähre nämlich zunächst überlebt. So war das tatsächlich. Experten haben klar belegt, dass die Mannschaftsräume sozusagen als Block vom Zentrum der Explosion weggeschleudert wurden, bis in 20 Kilometer Höhe. Als ich das erstmals begriffen habe, war ich schockiert, bin es bis heute.
Es ist viel darüber spekuliert worden, ob die Crew die unendlich langen 2 Minuten und 45 Sekunden bis zum tödlichen Aufschlag im Atlantik bei Bewusstsein erlebt hat. Drei Crew-Mitglieder hatten, wie man später herausfand, zumindest eine Notversorgung mit Atemluft aktiviert.
Das ist aber für mich nicht der entscheidende Punkt. Entscheidend scheint mir vielmehr: Die Besatzungsmitglieder hatten in keinem Fall eine Chance zu überleben. Das System Space Shuttle sah keine Rettungseinrichtungen für die Crew vor. Solche Probleme durfte es einfach nicht geben - also brauchte man auch keine Lösungen dafür. Punkt.
Der konkrete Grund für die Explosion der "Challenger" ist einfach zu benennen: Der defekte Dichtungsring zwischen zwei Segmenten einer Feststoffrakete hatte eine tödliche Kettenreaktion in Gang gesetzt. Die Liste der abstrakten Gründe ist weit komplizierter: Kostendruck, politische Erwägungen bei der Auftragsvergabe, Schlamperei in der Umsetzung gehören dazu. Eine "Wird schon klappen"-Mentalität bei der Nasa. Nein, eher ein "Es muss halt klappen".
Foto: ANNE CUSACK/ AFP
Das Space Shuttle war keine Idealkonstruktion, das wussten alle, die damit zu tun hatten. Es war ein Projekt mit Geburtsfehlern, für die es Gründe gab. Ein Projekt, bei dem manche wissentlich zu viel versprochen hatten, um es überhaupt möglich zu machen. Ein Projekt, das zum Erfolg verdammt war. Ein Projekt, bei dem, trotz allem, auch irgendwie der Alltag eingekehrt war.
Das darf man nicht vergessen, wenn man heute, 30 Jahre nach dem "Challenger"-Unglück über die Raumfahrt redet. Denn das Konzept der Wiederverwendbarkeit, der attraktivste Punkt des Space Shuttles, feiert gerade seine Wiederauferstehung. Nach fast zwei Jahrzehnten der Routine mit der Internationalen Raumstation mit nur wenigen Innovationen ist die Szene in Bewegung.
Es sind vor allem private Unternehmen, die sich Kostenvorteile zunutze machen wollen, die sich beim Recycling von Raumfahrzeugteilen ergeben:
- SpaceX arbeitet daran, die ersten Stufen seiner "Falcon"-Rakete wieder auf der Erde landen zu lassen und hat dabei - bei allen Problemen, die im Detail noch auftreten - schon einen ziemlich beeindruckenden Erfolg vorzuweisen. Schon bald wird es kein exotisches Ereignis, sondern der Normalfall sein, dass die teuren Raketenstufen nicht mehr nutzlos ins Meer fallen, sondern wieder verwendet werden können. Man wird sich vermutlich sogar eines Tages fragen, warum man es je anders gemacht hat.
- Währenddessen ist man bei Blue Origin sogar noch einen Schritt weiter. Eine Rakete des für suborbitale Flüge gedachten "New Shepard"-Systems, das einmal Touristen an den unteren Rand des Alls fliegen soll, ist nicht nur erfolgreich wieder gelandet - sie ist anschließend auch noch einmal gestartet.
- Und bei der Firma Sierra Nevada wiederum bauen sie am "Dream Chaser", der wie ein kleiner Cousin des Shuttles aussieht. Er soll - unbemannt - Fracht zur ISS bringen und mit den Proben wissenschaftlicher Experimente wieder auf der Erde landen. Gerade hat das Unternehmen einen milliardenschweren Nasa-Vertrag dazu an Land gezogen. Auch in Deutschland und Europa interessiert man sich für die Raumfähre, die eines Tages womöglich sogar hier landen könnte.
Die Zukunft, so sagte es der damalige US-Präsident Ronald Reagan in einer Rede wenige Stunden nach dem Absturz der "Challenger", gehöre nicht den Verzagten. Sie gehöre den Mutigen.
Denn Ehrlichkeit muss die Basis der neuen Raumfahrtprojekte sein. Aus dem "Challenger"-Desaster hat die US-Raumfahrt nicht genug gelernt. Die Raumfähre "Columbia" ist am 1. Februar 2003 auch deswegen abgestürzt, weil bei der Nasa nach dem ersten Absturz einer Raumfähre der Ungeist zurückkehrte. Wird schon irgendwie klappen? Nein, wird es nicht!
Es gibt in der Raumfahrt keine Routine. Es wird lange keine Routine geben. Raumfahrt ist aufwendig. Raumfahrt ist teuer. Und Raumfahrt ist oft genug auch gefährlich, wird es auch bleiben. Diese Wahrheiten muss man aussprechen. Genauso wie man ehrliche Kostenkalkulationen braucht. Dinge, die zu gut klingen, um wahr zu sein, sind es oft nicht.
Auch neue Projekte werden mit den Schwierigkeiten zu kämpfen haben, die zur "Challenger"-Katastrophe führten. Kostendruck, politisches Geschacher, menschliche Fehler wird es immer wieder geben. Genau wie es auch wieder Unglücke in der Raumfahrt geben wird. Nur hoffentlich nicht mehr solche, die so offenkundig zu verhindern gewesen wären. Wie der Absturz der "Challenger".
Daran gemahnen auch die katastrophalen Bilder vom 28. Januar 1986, daran gemahnen die sieben Schicksale der Frauen und Männer an Bord.
Zusammengefasst: Ein kaputter Dichtungsring - das war der offizielle Grund für die Explosion der Raumfähre "Challenger" vor genau 30 Jahren. Aber dahinter steckte in Wahrheit weit mehr. Kostendruck, politische Erwägungen bei der Auftragsvergabe, Schlamperei in der täglichen Arbeit bei Nasa und Zulieferern - und der Wunsch, Dinge passend zu machen. Auch wenn sie einfach nicht passten. Verantwortliche in neuen Raumfahrtprojekten müssen aufpassen, dass sich solche Fehler nicht wiederholen.