zur Erinnerung
Fotos vom Wrack der "Costa Concordia" Im Bauch des Katastrophenschiffs

Chaotische Zustände an Bord: Erst spät war die Evakuierung eingeleitet worden - und dauerte dann fast sechs Stunden. Die Rettungsarbeiten erwiesen sich als schwierig, weil sich das Schiff stark zur Seite neigte und weiter bewegte. Es gab 32 Tote, darunter zwölf Deutsche.
Foto: Jonathan Danko Kielkowski

Am 13. Januar 2012 sank die "Costa Concordia", 32 Menschen starben. 2014 schwamm Jonathan Danko Kielkowski nachts zum Wrack. Er fotografierte im Innern des Schiffes, kurz bevor es demontiert wurde.

Von Katja Iken

und Solveig Grothe

13.01.2016, 13.24 Uhr

Zeugen der Katastrophe: Die Löwen über dem blau gekachelten Pool im Wrack der "Costa Concordia" waren fast unversehrt geblieben. In einer Nacht Ende August 2014 war der Fotograf Jonathan Danko Kielkowski zum Wrack der "Costa Concordia" geschwommen, das seit Kurzem im Hafen von Genua lag. Welcher Anblick sich ihm im Bauch des Katastrophenschiffes bot, zeigt er auf einestages.
Foto: Jonathan Danko Kielkowski

Kampfbereit erheben die Löwen ihre Tatzen, Wächtern gleich thronen sie über dem blau gekachelten Pool des Samsara-Spa. Doch niemand ist mehr da, um sich in der luxuriösen Wellness-Oase zu erholen. Rote Sicherheitsnetze decken das mit Staub überzogene Schwimmbad ab, die Uhr an der Wand blieb um 0.35 Uhr stehen. Die "Costa Concordia" ist zum Symbol menschlicher Unzulänglichkeit geworden.

4429 Menschen waren an Bord, als das Kreuzfahrtschiff am 13. Januar 2012 vor der italienischen Insel Giglio einen Felsen rammte und leck schlug. 32 Passagiere starben, darunter zwölf Deutsche.

Zweieinhalb Jahre nach der Katastrophe verschaffte sich Jonathan Danko Kielkowski Zutritt zum havarierten, dann aufgerichteten und in den Hafen von Genua geschleppten Luxusliner. Der Nürnberger Fotograf und 3-D-Künstler lichtete das Innere des Wracks ab - kurz bevor die Demontage begann.

Um Mitternacht Richtung Wrack geschwommen

Fotograf Jonathan Danko Kielkowski
Foto: David Rasche

Am 30. August 2014, einem Samstag, machte sich Kielkowski um Mitternacht auf zum Wrack - mit einem gelben Kinderschlauchboot, darin seine Kamera, ein Stativ und ein paar Kleidungsstücke, eine Flasche Wasser und ein Snack.

An den Füßen ein Paar Flossen, schob er das Schlauchboot langsam vor sich her. Rund 250 Meter trennten das Festland von der Außenmole im Hafen von Genua, wo das Wrack lag, nur über den Wasserweg erreichbar. Zwei Wochen zuvor hatte Kielkowski, 27, schon einmal versucht, zum verunglückten Kreuzfahrtschiff zu schwimmen. "Doch die Küstenpolizei hat mich herausgefischt und zurück an Land gebracht", sagt er.

Als Kielkowski abermals aufbrach, nun im Schutz der Nacht, wusste er: Dies war seine letzte Chance auf einen Blick ins Innere des Wracks. Denn im September 2014 würden die Aufräumarbeiten beginnen. Leise schwamm Kielkowski los und erreichte unentdeckt die Außenmole. Noch eine gute halbe Stunde Fußmarsch - und Kielkowski stand vor den Überresten des gigantischen Schiffs.

Sechs Stunden lang, bis zum Morgengrauen, harrte der Fotograf vor dem Koloss aus, er wollte das natürliche Licht für seine Arbeit nutzen. Dann packte er die Kamera aus und betrat das, was einmal das größte italienische Kreuzfahrtschiff gewesen war.

"Das Innere war quasi unberührt"

Wasser im Schiff: Die "Costa Concordia" war am Abend des 13. Januar 2012 vor der italienischen Insel Giglio auf einen Felsen gefahren und gekentert. Der Luxusliner mit mehr als 4200 Menschen an Bord musste evakuiert werden.
Foto: Jonathan Danko Kielkowski

Blick in eine Kabine: Das letzte Opfer wurde erst im Oktober 2014 geborgen. Da war die "Costa Concordia" von ihrem Unglücksort bei Giglio bereits in ihren rund 350 Kilometer entfernten Heimathafen Genua geschleppt worden. Angestellte der Recyclingfirma, die das Wrack demontierten, entdeckten die sterblichen Überreste eines Mannes unter umgestürzten Möbeln in einer Kabine. Bei der Leiche handelte es sich laut Medienberichten um einen bis dahin vermissten indischen Kellner.
Foto: Jonathan Danko Kielkowski

Beklemmende Atmosphäre: "Ich habe die Panik der Menschen verspürt, die damals in Todesangst über die Gänge rannten", sagt der Fotograf, der das Schiff zweieinhalb Jahre nach der Katastrophe betrat. Begonnen hatte das Drama des 13. Januar 2012 kurz nach 21.30 Uhr. Mit einer Geschwindigkeit von 15 Knoten hielt die "Concordia" auf Giglio zu. Der Kapitän Francesco Schettino hatte den Kurs um ein paar Grad geändert, um vor der Insel eine sogenannte Verneigung zu fahren - also ganz nah an der Küste entlang, um einen Bekannten auf der Insel zu grüßen: Mario Palombo, Kapitän im Ruhestand, und viele Jahre bei der Costa-Reederei beschäftigt. Schettino hatte als Erster Offizier unter ihm gedient. Die beiden telefonierten, als es krachte.
Foto: Jonathan Danko Kielkowski

Verlassene Kommandobrücke: Ungefähr 50 Meter unterhalb der Brücke schlitzt ein Felsen die linke Flanke der "Concordia" auf rund 70 Metern auf. Wasser drang ein, das Schiff neigte sich zur Seite, erst langsam, dann immer stärker. Auf der Brücke meuterten gegen 22.30 Uhr die Offiziere. Noch immer war nicht mit der Evakuierung begonnen worden. Erst um 22.58 Uhr dröhnte ein Notsignal aus den Lautsprechern.
Foto: Jonathan Danko Kielkowski

Seine Fotos, nun im Bildband "Concordia" erschienen, lassen die Tragödien erahnen, die sich am Unglücksabend auf dem Schiff ereigneten. "Ich habe die Panik der Menschen verspürt, die damals in Todesangst über die Gänge rannten. Das war extrem beklemmend", sagt Kielkowski.

Auf dem Boden verteilt lagen kaputte Kinderwagen und Rollstühle, aufgeweichte Koffer, Taschen und Kleidungsstücke. Zwischen umgekippten Möbeln, fleckigen Matratzen und herabgefallenen Dachteilen entdeckte er die persönliche Habe der Passagiere im stinkenden, braunen Schlamm.

Am 27. Juli 2014, vier Wochen vor Kielkowskis Ankunft an Bord, war das Wrack nach der bislang teuersten Bergung der Geschichte im Hafen von Genua angekommen. "Das Innere war quasi unberührt", so der Fotograf.

Einzig Strom- und Lichtleitungen hatte das Abwrackunternehmen bereits legen lassen. Auch um die Suche nach dem letzten Opfer zu erleichtern, dem Inder Russel Rebello, der als Kellner auf dem Schiff gearbeitet hatte. Kielkowski wusste nicht, dass sich noch eine letzte Leiche im Wrack befand; erst im Oktober 2014 wurde sie von einem Bergungsteam entdeckt.

Voyeurismus oder Kampf gegen das Vergessen?

Kielkowski rechnete damit, binnen weniger Minuten entdeckt und verjagt zu werden. Doch an dem Sonntagmorgen bahnte der junge Fotograf sich ungestört seinen Weg durch den Schiffsbauch, watete durch Pfützen und stieg über Trümmerberge, in der Hand den Bordplan der "Costa Concordia".

Hier und da hingen noch Fernseher und Gemälde an den Wänden; im Spa standen, völlig unversehrt, aufgereihte Laufbänder. Auch bis in die Kabine von Francesco Schettino drang Kielkowski vor: der Kapitän, der die knapp 300 Meter lange "Costa Concordia" viel zu nah an die gefährlich felsige Küste gesteuert hatte und sich dann von Bord seines kenternden Schiffs stahl. Und der nicht einmal dann zurückkehrte, als ihn die Hafenbehörde energisch und wiederholt dazu aufforderte.

Der Fotograf wird sich den Vorwurf des unverblümten Voyeurismus gefallen lassen müssen, des Katastrophentourismus. Anders als bei anderen Katastrophen sind die Wunden im Fall der "Costa Concordia" recht frisch: Die Angehörige der Opfer leben noch, die Menschen, die sich von Bord retten konnten, haben Unvorstellbares erlitten und kämpfen mit Traumata.

Kehrseite der Kreuzfahrt-Industrie offenlegen

Doch trieben Kielkowski, wie er sagt, ganz andere Gründe als Sensationslust: "Mit den Fotos wollte ich die sichtbaren Folgen des Unglücks dokumentieren, bevor sie entsorgt wurden, um in Vergessenheit zu geraten." Die Verantwortlichen bei der Reederei Costa Crociere versuchten, die Havarie und ihr eigenes Versagen möglichst rasch aus dem öffentlichen Bewusstsein zu drängen. Dem müsse man entgegenwirken, so Kielkowski - auch mit verstörenden Fotos.

Das Unternehmen einigte sich 2013 auf einen Vergleich mit der Justiz: Costa Crociere zahlte eine Strafe von einer Million Euro. Im Gegenzug wurden die Ermittlungen gegen die Reederei eingestellt. Vorgeworfen worden war ihr unter anderem, die Crew unzureichend geschult, Sicherheitsnormen verletzt und zu spät Alarm ausgelöst zu haben - neben der Beschäftigung eines unzuverlässigen Kapitäns. Bereits 2005 soll die Reederei ein Schiffsunglück vertuscht haben, wie Medien unter Berufung auf die Schilderung eines Bordfotografen berichteten.

Zudem, so erklärt Kielkowski, wolle er mit seinen Bildern die Kehrseite der Kreuzfahrtindustrie offenlegen. Das zeigen, was die Hochglanz-Broschüren nicht zeigen: "Es ist eben nicht ohne Risiko, Tausende von Menschen auf so ein Schiff zu pferchen", sagt er.

Deutsche Ermittlungen massiv behindert

Sieben Stunden lang durchforstete Kielkowski das Innere der "Costa Concordia", entkräftet und verdreckt lief er am Nachmittag in der Augusthitze die Außenmole zurück. Ein Fischer erbarmte sich, nahm den Fotografen ins Boot und fuhr ihn an Land.

Kielkowski rechnet mit juristischen Konsequenzen seiner Fotoaktion, Angst hat er davor nicht. Schließlich sei das Wrack weder umzäunt noch bewacht gewesen: "Niemand hat mich daran gehindert, es zu betreten." Rein rechtlich gesehen war es Hausfriedensbruch.

Die Deutsche Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung (BSU), wegen der zwölf deutschen Todesopfer zur Aufklärung des Falls verpflichtet, hatte bei der Aufklärung helfen sollen. Doch im Dezember 2015 stellten die Beamten zornig ihre Nachforschungen ein: Lange erhielten sie keinen Zutritt zum Wrack, konnten sich nie ungehindert umsehen. Die Staatsanwaltschaft habe über Monate die Ermittlungen erschwert, weitere Aktivitäten seien "offensichtlich sinnlos", so die Behörde.

Alle von Bord: Unter den Passagieren brach mit Ertönen des Notsignals Panik aus, so berichteten Zeugen später. Der Fotograf empfand das Schiffsinnere als Labyrinth. Es gab zahllose Flure, Treppen und Stege, die durch die verschiedenen Decks führten. Entgegen dem Ehrenkodex, wonach ein Kapitän als Letzter ein sinkendes Schiff verlässt, soll auch Kapitän Schettino die Flucht ergriffen haben. Er selbst bestritt das. Er habe geholfen, ein Rettungsboot ins Wasser zu lassen, sei dabei ausgerutscht und ins Boot geplumpst, so behauptete er. Der damals 52-jährige Kapitän ging auch dann nicht mehr an Bord, nachdem ihn die Hafenbehörde nachdrücklich per Telefon dazu aufgefordert hatte. Ein Gericht verurteilte ihn im Februar 2015 wegen mehrfacher fahrlässiger Tötung und des Zurücklassens Minderjähriger und Hilfsbedürftiger zu 16 Jahren Haft.
Foto: Jonathan Danko Kielkowski

"Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit": Die Raumausstattung der "Concordia" repräsentierte Europa. 13 Decks standen für 13 Länder, bezeichnet mit: Olanda, Svezia, Belgio, Grecia, Italia, Gran Bretagna, Irlanda, Portogallo, Francia, Germania, Spagna, Austria und Polonia. Wobei letzteres als Deck 14 galt, ein 13. gab es offiziell nicht. Die Aufnahme lässt unten links den Spruch "Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit" von Ludwig Hevesi erkennen, wie er in goldenen Lettern am Wiener Secessionsgebäude unterhalb der Kuppel zu lesen ist.
Foto: Jonathan Danko Kielkowski

Designerstühle in Piet-Mondrian-Manier: Das Schiff war noch ziemlich neu. Die 290 Meter lange und 36 Meter breite "Concordia" war erst im Sommer 2006 getauft worden und somit noch nicht einmal sechs Jahre lang mit Kreuzfahrtouristen über die Meere gefahren.
Foto: Jonathan Danko Kielkowski

Wandbild von Fernand Léger: Im Inneren war das Schiff mit zahlreichen Kunstwerken geschmückt, wie etwa einem des französischen Kubisten Fernand Léger. Rund 6000 Werke sollten aus dem wieder aufgerichteten Wrack geborgen werden.
Foto: Jonathan Danko Kielkowski

Kasino ruiniert: Im April 2012, drei Monate nach dem Unglück, vergab ein technisches Komitee aus Vertretern der Reederei, von Schiffbauunternehmen und weiteren Experten den Auftrag für die Bergung. Den Zuschlag bekamen eine Firma aus Florida sowie ein auf Unterwasserkonstruktionen spezialisiertes Unternehmen aus Ravenna. Die Bergung ist die bislang größte Aktion dieser Art in der Geschichte der Seefahrt - und wohl auch die teuerste.
Foto: Jonathan Danko Kielkowski

Tragödie: Im Zentrum der Schiffsruine entdeckte Fotograf Kielkowski den Theateraum mit Namen "Athen". Im September 2013 wurde die "Concordia" wieder aufgerichtet und zehn Monate später in den Hafen von Genua geschleppt. Die Überführung mit vier Schleppern und zehn Begleitschiffen dauert knapp vier Tage.
Foto: Jonathan Danko Kielkowski

Licht im Wrack: In Genua sollte die Demontage beginnen. Als Fotograf Kielkowski das Wrack Ende August 2014 betrat, circa vier Wochen nach Ankunft des Schiffs, fand er das Innere fast unberührt. Lediglich Stromleitungen waren bereits gelegt - und es brannte Licht.
Foto: Jonathan Danko Kielkowski

Sport an Bord: Der Fitnessraum wirkte, als sei er noch in Betrieb. Links aufgereiht stehen die Laufbänder. Sieben Stunden lang lief der Nürnberger Fotograf Jonathan Danko Kielkowski durch das riesige Schiff, um den Zustand im Inneren zweieinhalb Jahre nach der Katastrophe zu dokumentieren.
Foto: Jonathan Danko Kielkowski

Demontage: "Mit den Fotos wollte ich die sichtbaren Folgen des Unglücks dokumentieren, bevor sie entsorgt wurden, um in Vergessenheit zu geraten", sagte der Fotograf SPIEGEL ONLINE.
Foto: Jonathan Danko Kielkowski

In der Bar: Der Fotograf vermutet, die Verantwortlichen bei der Reederei Costa Crociere seien beseelt von dem Wunsch, die Havarie und das eigene Versagen möglichst rasch aus dem öffentlichen Bewusstsein zu drängen. Dem müsste man entgegenwirken, sagt Kielkowski.
Foto: Jonathan Danko Kielkowski


13. Januar 2012 19 Uhr - Auslaufen
Die "Costa Concordia" verlässt den Hafen Civitavecchia in Richtung Savona. Für manche Passagiere ist es der Auftakt einer einwöchigen Mittelmeer-Kreuzfahrt, für andere die letzte Etappe ihres Urlaubs. An Bord sind mehr als 4200 Menschen, darunter etwa 1000 Besatzungsmitglieder.
Es ist ein angenehmer Abend, die See ist ruhig. Um kurz nach 19.30 Uhr steuert Kapitän Francesco Schettino das Schiff dicht an die Küste der Insel Giglio heran. Er habe einen ehemaligen Costa-Kapitän grüßen wollen, der ein Haus auf Giglio besitzt, wird Schettino später zu Protokoll geben. "Verneigung" wird das Manöver in der italienischen Seefahrt genannt - und das Grüßen von Küstenbewohnern mit der Sirene ist keine Seltenheit. Erst im August 2011 hatte die "Costa Concorida" Giglio ähnlich dicht passiert. Doch damals ging alles gut.
Bei Kapitän Schettino auf der Brücke soll sich neben Costa-Mitarbeiterin Domnica Cemortan aus der Republik Moldau auch ein Oberkellner befinden, der auf Giglio geboren ist. "Antonello, schau mal, wir liegen direkt vor deiner Insel", soll jemand gesagt haben. "Achtung, wir sind ja total nah an der Küste", hat der Mitarbeiter laut "Corriere della sera" angeblich geantwortet.
Foto: Str/ dpa

Instabile Seitenlage: Der Kreuzfahrtriese "Costa Concordia" kenterte am 13. Januar 2012 - nach einer verhängnisvollen Kette von Mängeln, Missverständnissen und Unterlassungen. Was in der Nacht und danach geschah: eine Chronik.
Foto: VINCENZO PINTO/ AFP

13. Januar 2012 22.12 Uhr - Blackout
Ein Beamter der Hafenkommandantur ruft auf der Brücke der "Costa Concordia" an und fragt, was los sei. Sein Gesprächspartner wiegelt ab: "Wir haben einen Stromausfall", sagt er. "Wir sind dabei, die Ursachen zu überprüfen." Man habe durch einen Verwandten eines Besatzungsmitglieds erfahren, dass den Passagieren "während des Abendessens Dinge auf den Kopf gefallen sind", sagt der Mitarbeiter der Hafenwache. Auf die Frage, ob die Passagiere angewiesen worden seien, ihre Schwimmwesten anzulegen, antwortet der Mann auf der "Costa Concordia" ebenfalls ausweichend: "Wir überprüfen, was es mit dem Stromausfall auf sich hat." Mehr sagt er nicht.
Ein Boot der Finanzpolizei nähert sich dem Unglücksort. Die "Costa Concordia" bekommt durch den Wassereinbruch immer mehr Schlagseite. Das Schiff wendet und fährt auf den Hafen der Insel zu.
Der Neigungswinkel des Schiffes liegt bereits bei 20 Grad. Alle in der Gegend verfügbaren Schiffe werden zum Unglücksort gerufen. Schettino weigert sich allerdings weiter, eine Evakuierung des Schiffes vorzubereiten. Auf der Brücke kommt es offenbar zu einer Meuterei der Offiziere. Roberto Bosio, ein Kapitän, der als Gast an Bord ist, gibt den ersten Räumungsbefehl.
Foto: REUTERS

13. Januar 2012 22.58 Uhr - Evakuierung
Das Evakuierungssignal ertönt. An Bord bricht Panik aus. Teilweise prügeln sich Passagiere um die Plätze in den Rettungsbooten. Menschen flüchten ins Meer, um an Land zu schwimmen. Augenzeugen berichten hinterher von chaotischen Zuständen während der Evakuierung. Einige Passagiere sollen in bereits überfüllte Rettungsboote gesprungen sein. Die Schräglage des Schiffes erschwert es zusätzlich, die Rettungsboote auf der Backbord-Seite ins Wasser zu lassen.
Auf Giglio eilen die Einwohner zum Hafen, sie bringen heiße Getränke und Decken für die Schiffbrüchigen. In den Rettungsbooten werden Tausende Passagiere in Sicherheit gebracht. Viele finden in der Kirche eine Notunterkunft. Schettino gibt an, noch seien rund 300 Menschen an Bord der "Costa Concordia". Vermutlich noch vor Mitternacht verlässt auch er das Schiff - und verstößt damit gegen den Ehrenkodex der Kapitäne. Er habe bei der Evakuierung geholfen und sei dann in ein Rettungsboot gestolpert, wird er später behaupten.
Der Hafenkommandant versucht laut der Zeitung "La Repubblica", den Kapitän an Bord zu erreichen. Niemand antwortet. Das Patrouillenboot fordert zusätzlich Hubschrauber an, um die letzten 70 bis 80 Passagiere zu retten, die noch an Bord sind.
Foto: HANDOUT/ REUTERS

14. Januar 2012 1.46 Uhr - Telefonat
Gregorio de Falco von der Hafenkommandantur in Livorno erreicht Schettino auf dem Handy. In einem dramatischen Telefonat fordert er den Kapitän auf, an Bord zurückzukehren. Sein wütender Befehl, "Vada a bordo, cazzo!", (auf deutsch etwa: "Kehren Sie an Bord zurück, verdammt noch mal!") verpufft: Schettino kehrt nicht zurück.
Foto: Rolf Niemeyer/ dpa

14. Januar 2012 3.05 Uhr - Erste Todesopfer
Es gibt erste Berichte über Todesopfer. "An Bord soll es fünf Verletzte und drei Tote geben", heißt es vom Patrouillenboot der Finanzpolizei. Knapp anderthalb Stunden später wird die Rettungsaktion vorläufig beendet. Schettino hat es da längst wohlbehalten an Land geschafft. Ein Taxifahrer erzählt, er habe den Kapitän am Morgen zu einem Hotel gebracht: "Er sah aus wie ein geprügelter Hund, frierend und verängstigt." Bei Tagesanbruch suchen die Rettungsmannschaften weiter nach Vermissten. Bis zum Mittag sind 4179 Gerettete an Land registriert. Auch in den folgenden Tagen hangeln sich Rettungstaucher immer wieder vorsichtig durch das Wrack - auf der Suche nach den Vermissten. Die Staatsanwaltschaft wirft Schettino fahrlässige Tötung, Havarie und das Verlassen der "Costa Concordia" während der Evakuierung vor.
Foto: FILIPPO MONTEFORTE/ AFP

17. September 2013 4 Uhr - Bergung
Erstmals nach 20 Monaten liegt die havarierte "Costa Concordia" wieder aufrecht vor der italienischen Insel Giglio. Die Bergungsaktion, bei der das Schiff zunächst gegen weiteres Abrutschen gesichert und dann in die Vertikale gezogen wurde, hatte am Morgen des Vortages begonnen.
Foto: AFP/CNES /Distribution Astrium Services

27. Juli 2014 - Im Hafen von Genua
Das Wrack hat den Hafen von Genua erreicht. Die Demontage des Schiffes soll voraussichtlich zwei Jahre dauern.
Foto: Luca Zennaro/ picture alliance / dpa

12. Februar 2015 - Urteil
Kapitän Francesco Schettino soll für 16 Jahre ins Gefängnis. Das Gericht im italienischen Grosseto macht den 54-Jährigen verantwortlich für den Tod von 32 Menschen und die Havarie des Kreuzfahrtschiffs. Im Strafmaß enthalten sind zehn Jahre für mehrfache fahrlässige Tötung, fünf Jahre für das fahrlässige Verursachen des Schiffbruchs, ein Jahr für das Zurücklassen Minderjähriger oder hilfsbedürftiger Personen sowie ein Monat dafür, dass er nicht Meldung erstattet hat. Schettino selbst zeigt sich "enttäuscht" von der Tatsache, dass er wegen vorzeitigen Verlassens des Schiffs verurteilt wurde. "Ich werde kämpfen, um zu beweisen, dass ich die 'Costa Concordia' nicht verlassen habe", sagt er. Im Prozess hatte er erklärt, er sei nicht willentlich von Bord gegangen, vielmehr habe ihn "die Schwerkraft" in ein Rettungsboot gezogen. Schettino will in Berufung gehen.
Foto: MAX ROSSI/ REUTERS


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© infos-sachsen / letzte Änderung: - 17.07.2023 - 09:04