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"Sozialer Unfrieden" Sprachwissenschaftler üben scharfe Kritik am Gendern bei ARD und ZDF

Stand: 31.07.2022 | Lesedauer: 5 Minuten

Von Matthias Ludwig

In öffentlich-rechtlichen Sendern machen sich "geschlechtergerechte Sprachformen" breit. Dagegen protestieren jetzt rund 70 Linguisten und Philologen. Diese Praxis sei ideologisch, missachte gültige Regeln und produziere "sozialen Unfrieden". Haben unterschrieben: Gisela Zifonun, Martin Neef, Claudia Guderian, Manfred Krifka
Quelle: Gisela Zifonun; János Krüger/TU Braunschweig; Daniel Reinhardt/picture alliance/dpa; Kerstin Vihman

In Sachen Gendersprache wird es für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zusehends ungemütlich. Erst im Dezember kritisierten Gremienmitglieder des ZDF-Fernsehrats die Gendersprechpause scharf und forderten von der Intendanz "eine Leitungsentscheidung" zum Thema. Bei einem immer größeren Teil der Gebührenzahler sorgt die Sprachpraxis für Unmut.

Der Bayerische Rundfunk stand vergangene Woche massiv in der Kritik, weil ein Video vom "Diversity Tag" der ARD bei vielen Zuschauern den Eindruck hinterließ, beim Sender arbeite man an der sprachlichen Umerziehung der Bevölkerung.

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Und nun sehen sich ARD und ZDF mit Kritik aus der Fachwelt konfrontiert: Rund 70 Sprachwissenschaftler und Philologen fordern in einem aktuellen Aufruf ein Ende des Genderns im ÖRR. Darunter: Mitglieder des Rates für deutsche Rechtschreibung, der Gesellschaft für deutsche Sprache, des PEN Deutschland, des Leibniz-Zentrums Allgemeine Sprachwissenschaft sowie eine ganze Reihe linguistische Schwergewichte.

Ausgangspunkt der Gender-Sprachpraxis sei "die Bewertung des generischen Maskulinums als diskriminierende Sprachform, die wir als Sprachwissenschaftler und Philologen zurückweisen", heißt es in dem Aufruf. Als "generisches Maskulinum" bezeichnet man Substantive wie Freunde, Bürger oder Lehrer, die geschlechtsneutral gebraucht werden können.

Die Sprachverwendung des ÖRR ist laut den Unterzeichnern "Vorbild und Maßstab für Millionen von Zuschauern, Zuhörern und Lesern". Daraus erwachse für die Sender die Verpflichtung, sich an geltenden Sprachnormen zu orientieren und "mit dem Kulturgut Sprache regelkonform, verantwortungsbewusst und ideologiefrei umzugehen", mahnen die Sprachexperten.

Die Wissenschaftler kritisieren die "Missachtung der amtlichen Rechtschreibregeln" bei den Öffentlich-Rechtlichen und eine "orthografische Freizügigkeit" durch Gendersterne und andere Binnenzeichen. Dies sei nicht mit dem Bildungsauftrag der Sender vereinbar. Die Kunstpause vor dem "innen" ("Glottisschlag") entspreche nicht der geltenden Aussprachenorm.

Das Deutsche ist keine "Männersprache"

Nach Ansicht der Unterzeichner befindet sich der Gebrauch gegenderter Formen im ÖRR auch "nicht im Einklang mit dem Prinzip der politischen Unparteilichkeit". Dazu seien die öffentlich-rechtlichen Anstalten durch den Medienstaatsvertrag verpflichtet. Die "gendergerechte Sprache" gründet auf der feministischen Linguistik der späten 1970er-Jahre. Deren Thesen (beispielsweise das Deutsche sei eine "Männersprache") weisen Sprachwissenschaftler bis heute als unwissenschaftlich und ideologisch zurück. Aktuell wird das Gendern nach Einschätzung der Aufrufunterzeichner "vorrangig von identitätspolitisch orientierten universitären Gruppierungen" vorangetrieben. Zu dieser "ideologisch begründeten Sprachform" müsse der ÖRR kritische Distanz wahren.

In ihrem Aufruf verweisen die Wissenschaftler auf Umfragen, nach denen mehr als drei Viertel der Bürger das Gendern in den Medien ablehnen. Überdies kritisieren die Experten eine "vielfach mit moralisierendem Gestus verbundene Verbreitung der Gendersprache durch die Medien". Dies sorge für "erheblichen sozialen Unfrieden".

Der Germanist und Buchautor Fabian Payr ("Von Menschen und Mensch*innen", Springer-Verlag) ist Initiator des Aufrufs. "Die Sender des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sind sprachprägend", sagt er WELT. "Sie sind, was einst Luthers Bibel war: ein Modell für ein einheitliches Deutsch." Es könne daher nicht angehen, dass in den Anstalten beim Sprachgebrauch Laissez-faire herrsche.

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Der ÖRR pflegt beim Gendern keine einheitliche Linie. Während der RBB-Jugendsender Fritz in den Nachrichten nach eigenen Angaben mit Kunstsprechpause gendert, verwenden im Deutschlandfunk nur manche Journalisten diese Sprechweise, andere nutzen praktisch ausschließlich das generische Maskulinum. Das ZDF möchte laut seiner Zuschauerredaktion "möglichst diskriminierungsfrei kommunizieren", worunter man offenbar den Gebrauch von Gendersternen versteht. Es gebe aber keine Vorgaben für die "Moderator*innen" und "Korrespondent*innen", heißt es aus Mainz.

Bei der "Tagesschau" herrscht die gleiche Beliebigkeit: Während die Zuschauer in einer Ausgabe der Sendung mit einer Häufung von Beidnennungen und Partizipienformen wie "Mitarbeitende" beglückt werden sollen, fällt die nächste Ausgabe praktisch genderfrei aus. Ein Unding für die Sprachexperten.

Aufrufinitiator Payr wünscht sich verbindliche Regelungen in den Sendeanstalten. Es müsse Hausrichtlinien geben, ähnlich den Genderleitfäden von Universitäten, "nur eben mit Ausrichtung an dem Sprachgebrauch, den die Medienkonsumenten ganz offensichtlich bevorzugen".

Scharfe Kritik üben die Sprachexperten auch an der Berichterstattung der Sender zum Thema Gendersprache. Die Beiträge seien unausgewogen, vielfach tendenziös und würden "im Wesentlichen der Legitimation der eigenen Genderpraxis" dienen, urteilen sie. Nach Einschätzung der Unterzeichner überwiegt in den Angeboten von ARD und ZDF eine positive Darstellung des Genderns. Kritiker würden nicht selten als reaktionär, unflexibel und frauenfeindlich geschildert. "Werden ‚Experten' konsultiert, so stammen diese vorrangig aus dem Lager der Befürworter."

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Explizit erwähnen die Wissenschaftler sogenannte Assoziationsstudien, über die in ÖRR-Beiträgen immer wieder berichtet wird: Diese Tests würden anstelle von sprachsystematischen und sprachlogischen Betrachtungsweisen zunehmend herangezogen, "um Veränderungen des Sprachgebrauchs zu legitimieren". Doch die Studien liefern - anders als behauptet - laut den Wissenschaftlern "keinen belastbaren Beleg dafür, dass generische Maskulina mental vorrangig ‚Bilder von Männern' erzeugen".

Zur Unterscheidung eines generischen von einem spezifischen Maskulinum sei die Kontextbindung entscheidend. Doch die werde in den Tests "in wissenschaftlich unzulässiger Weise ausgeblendet". WELT hat über die psycholinguistischen Tests und die wissenschaftliche Kritik daran ausführlich berichtet.

Der Sprachwissenschaftler Martin Neef zählt zu den Unterzeichnern des Linguistenaufrufs und ist Kritiker der viel zitierten Studien. Über den ÖRR ärgere er sich massiv, sagt Neef zu WELT. "Gendern heißt für viele, ein Zeichen zu setzen. Dabei wird nur selten wirklich über Sprache nachgedacht." Personenbezeichnungen mit der Endung "-in" oder "-innen" meinen sprachstrukturell nur Frauen - egal, ob ein Sternchen davorstehe oder nicht, erläutert Neef. "Mit solchen Wortformen werden weder Männer noch Diverse angesprochen", so der Sprachwissenschaftler.

Für Neef steht fest: "Das Deutsche hat mit dem generischen Maskulinum eine gewachsene geschlechtsneutrale Form, die von Zuschauern und Zuhörern genutzt wird. Dazu sollten die Öffentlich-Rechtlichen wieder zurückkehren."


Quelle: Linguistik

welt.de

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