Mauerfall 09.11.1989 - und was dann?
Mandy Tröger, 19.12.2021 - 02:37 Uhr
Das Funkhaus in Berlin-Oberschöneweide.
Berlin - Hier wurde DDR-Mediengeschichte geschrieben. Das Funkhaus in Berlin-Oberschöneweide ist ein auf den ersten Blick unscheinbarer Gebäudekomplex an der Nalepastraße. Am 31. Dezember 1951 startete hier der DDR-Rundfunk. Eine kurze Sendung aus dem Block A. Damals war das Funkhaus gerade erst im Entstehen. Bis 1990 blieb "die kleine Stadt in der Stadt" Hauptsitz des DDR-Rundfunks.
Genau 40 Jahre nach der ersten Sendung, am 31. Dezember 1991, wurde der DDR-Rundfunk mitsamt dem Haus abgewickelt. 15 Monate nach der deutschen Einheit übernahmen die neuen öffentlich-rechtlichen Landesrundfunkanstalten das Programm. Für nicht wenige der ehemaligen Mitarbeiter hieß das Arbeitslosigkeit. Andere wurden von westdeutschen Rundfunkanstalten und dem neu entstandenen MDR übernommen. Bei vielen von ihnen sitzen die Erinnerungen an diese Zeit tief. Ihre Geschichten sind bis heute kaum erzählt.'
15 Monate nach der deutschen Einheit übernahmen die neuen öffentlich-rechtlichen Landesrundfunkanstalten das Programm.
Elisabeth Heller war eine Mitarbeiterin, die damals nicht übernommen wurde. Die Pfarrerstochter und Musiklehrerin aus dem heutigen Thüringen war 1978 in der Musikredaktion von DDR I gelandet. Dort arbeitete sie bis zur Abwicklung 1991 als Musikredakteurin. Neben Abspiel- und Magazin-Sendungen gestaltete sie musikalisch-literarische Feuilletons und hatte eine eigene Sendereihe: "Mit Brummtopf, Baß und Fiedel", Folkmusik aus aller Welt. Heute sagt sie, diese Zeit sei voller Erfahrungen gewesen, die in der Öffentlichkeit kaum auftauchten. Der DDR-Rundfunk, die Übernahme, die Zeit danach. Die Menschen und ihre Konflikte. Das blieben Geschichten, die nur Betroffene kennen, über die sie aber kaum redeten. Dafür gebe es keinen Raum.
So macht sich Elisabeth Heller in Eigenregie auf die Spurensuche. Seit dem Jahr 2009 dokumentiert sie auf der Website "Zeitreisen-Nalepafunk.com" die Geschichte des Funkhauses, sammelt Dokumente und fördert Erstaunliches zutage. Die Website bietet Momentaufnahmen, Bilder und Erzählungen. Eine Art digitaler Thron für das DDR-Rundfunkhaus. In diesem Gebäude produzierten schließlich alle überregionalen Radiosender der DDR - der Deutschlandsender, der Berliner Rundfunk, Radio DDR I und Radio DDR II und später auch das Jugendradio DT64. Allein in den 70er-Jahren arbeiteten mehr als 3500 Menschen auf dem rund 135.000 Quadratmeter großen Gelände. Das Funkhaus beheimatete den weltgrößten Produktionskomplex und wurde dank seiner einzigartigen Akustik weltbekannt.
Elisabeth Heller will diese Geschichte und die ihrer Menschen vor dem Vergessen bewahren. Dafür erlernte die heute 72-Jährige das Erstellen von Websites. Sie legte sich die nötige Hard- und Software zu und arbeitet regelmäßig in Archiven. Manchmal fühle sie sich wie eine investigative Journalistin, erzählt sie. Alles unbezahlt, versteht sich. Dafür musste die begeisterte Zeitungsleserin ihre Abos abbestellen. Für diesen Luxus reichte kleine Rente dann nicht mehr.
Aber der Einsatz lohne sich, meint Elisabeth Heller. Ihre Recherche sei auch Biografiearbeit, denn auch ihr Leben sei mit dem DDR-Rundfunk abgewickelt worden. Mit 42 Jahren war die damals alleinerziehende Mutter zu jung für die Rente, aber zu alt für einen neuen Beruf. An ihren ersten Besuch beim Arbeitsamt erinnert sie sich gut.
Die Stimmen ostdeutscher Reformer gingen unter.
Trotzdem, das Jahr 1989 war eine Befreiung. Der 9. November, ein Schaltdatum im DDR-Rundfunkhaus. Heiko Hilker, zentraler Mitstreiter im späteren Kampf um den Erhalt des Jugendradios DT64, erinnert sich: "Linientreue Chefredaktionen wurden ab- und neue Chefredakteure demokratisch an die Spitze gewählt." Es gab Redaktionsstatute und jüngere Redakteurinnen und Redakteure kamen mit Reformen in die Redaktionen. "Für Monate war Freiheit - gefühlt fast ohne Ende", erinnert sich auch Elisabeth Heller. Die "Schere im Kopf", die zur Normalität gehört hatte, verblasste. Es kamen Sendungen und Themen, die zuvor undenkbar waren. Dieses Zeitfenster aber war kurz.
Die Forschung nennt diesen Schock "Umbruchs- oder Transformationserfahrung" - ein Gefühl von Ohnmacht und Sprachlosigkeit, Überforderung und Desorientierung. Elisabeth Heller hatte psychische Zusammenbrüche, ohne es zu wissen. Sie verstummte. Viel sei weg- und aufgebrochen, sagt sie - wie der Freundeskreis, der größtenteils aus Kolleginnen und Kollegen bestand.
Studien zur Transformation des DDR-Rundfunks muss man allerdings suchen. Sylvia Dietl erforschte an der Universität Düsseldorf, wie zu Beginn der 90er-Jahre das westdeutsche Rundfunksystem auf Ostdeutschland übertragen wurde. Ein Fazit ihres bald erscheinenden Buches "Transformation und Neustrukturierung des DDR-Rundfunks im Prozess der Wiedervereinigung Deutschlands":
Heiko Hilker kommt zu einem ähnlichen Schluss.
Letztlich übernahm der MDR den Sender, benannte ihn in "Sputnik" um und verlegte ihn auf Satellit. Der Berliner Rundfunk wurde privatisiert und der Deutschlandsender Kultur wurde in Deutschlandradio integriert. h51>"Eine relevante ostdeutsche Stimme mit entsprechender Reichweite gab es nicht mehr", resümiert Hilker.
Laut Elisabeth Heller sitzt bei vielen ehemaligen Kollegen der Schmerz über diese Erfahrungen tief. Bis heute redeten sie kaum darüber, auf das Gelände des Funkhauses gingen alte Kolleginnen oder Kollegen kaum mehr. Nach all den Jahren, sagt sie, kommen dort noch immer die Enttäuschungen von damals hoch. Auch Heiko Hilker meint, das Trauma der Wende- und Nachwendezeit sei bis heute nicht aufgearbeitet. Man müsse die Geschichte des DDR-Rundfunks und dessen Transformation von verschiedenen Seiten erzählen.
So kommen auf Elisabeth Hellers Website Zeitzeugen zu Wort, die sonst keinen Raum finden. Sie selbst hat nach ihrer "Abwicklung" immer wieder als "Mädchen für alles" beim ORB und SFB (später RBB) gearbeitet. Zum Studententarif. Für eine volle Stelle hat es nie gereicht. Dennoch habe sie viel gelernt. Beim Vergleich zwischen ost- und westdeutschem Rundfunk merke man schnell: Schwarz-Weiß-Denken helfe nicht. Auch "mit Verdrängung kommt man nicht weit", meint sie. Verbitterung komme an anderen Stellen wieder hoch. Deshalb gehe nur Transparenz und Offenheit.
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Quelle: Berliner Zeitung