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Von Dr. Ronen Steinke
Rechtspolitischer Korrespondent
14. Februar 2023, 14:26 Uhr
(Foto: DB/dpa)
Vier Jahre lang hat der Erlanger Rechtsprofessor Christoph Safferling erforscht, wie prächtig ehemalige NSDAP-Mitglieder nach 1945 weiter Karriere machen konnten in der westdeutschen Justiz. Und wenn die Republik dies nun heute offen, selbstkritisch, gar demütig auch im Ausland zu zeigen bereit ist, dann muss man erstens sagen: Allerhöchste Zeit wird's. Und zweitens: Das ist auch sein, Christoph Safferlings, Verdienst. Auch gegen Widerstände, die es immer noch gibt in einer stolzen, manchmal zu stolzen juristischen Zunft.
Diesen selbstkritischen Geist wird Christoph Safferling, 51, bald auch in Nürnberg stärken können. Das Auswärtige Amt betreibt dort am historischen Ort des Nürnberger Prozesses gegen die Hauptkriegsverbrecher schon seit sieben Jahren eine "Akademie Nürnberger Prinzipien", gemeinsam mit dem Freistaat und der Stadt Nürnberg. Das ist ein Ort, an den Richter und Anwälte aus aller Welt kommen, um Fortbildungen zu absolvieren.
Bisher war dies allerdings auch ein Ort, von dem historisch manchmal etwas seltsame Töne ausgingen. Etwa, wenn der bisherige Leiter dieser Akademie, der Jurist Klaus Rackwitz, auf Bühnen stolz davon schwärmte, Deutschland sei "Geburtsort" des Völkerrechts. Fast so, als seien die Nürnberger Prozesse eine deutsche Erfindung gewesen und nicht etwa eine amerikanisch-britische, die von den zeitgenössischen deutschen Juristen noch lange mit Zähnen und Klauen bekämpft wurde.
Safferling steht da für einen anderen Ton. Dass die Aufgabe, die Akademie zu leiten, nun am Mittwoch an ihn übergeht, ist da ein Glück. Geboren in Unterfranken, ausgebildet in München, ordiniert in Marburg, hat sich Safferling einen ausgezeichneten Namen als Fachmann für das internationale Strafrecht gemacht. Mit Studierenden ist er regelmäßig in Den Haag, bei den internationalen Tribunalen und dem Weltstrafgericht.
(Foto: Friedrich Bungert)
Zugleich ist der Jurist ein hartnäckiger Bohrer in der deutschen Justizgeschichte. Auf seine Erforschung von NS-Kontinuitäten im Justizministerium, "Die Akte Rosenburg" (C.H. Beck, 2016), folgte vor zwei Jahren eine viel gelobte Aufarbeitung der NS-Seilschaften, die die Karlsruher Bundesanwaltschaft noch bis in die 1970er-Jahre hinein prägten, "Staatsschutz im Kalten Krieg" (dtv, 2021).
Am Ort der Nürnberger Prozesse, im historischen Saal 600, treffen sich schon bisher Staatsanwältinnen aus afrikanischen Ländern, Richter aus Lateinamerika. Gleichzeitig schickt die Akademie Nürnberger Prinzipien auch juristische Experten als Trainer in alle Welt, zuletzt etwa in den Irak. Stets geht es darum, wie man Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen gerichtsfest nachweisen kann.
Die "Nürnberger Prinzipien" sind dabei bis heute die Grundlage, so heißen die juristischen Grundsätze, die einst die Alliierten 1945 in Nürnberg prägten, um NS-Verbrecher auf die Anklagebank zu bringen, die von sich selbst sagten, sie hätten doch bloß Befehle befolgt oder sie hätten im Einklang mit den Gesetzen ihrer Zeit gehandelt. Juristisch ist das längst keine Ausrede mehr. Sondern es gilt: Es gibt Verbrechen, die bleiben immer verbrecherisch. Egal, was eine Diktatur in ihr Gesetzbuch schreibt.
Christoph Safferling will diese internationalen Begegnungen in Nürnberg künftig aber auch nutzen, um über die Rolle, das Selbstverständnis, die historische Verantwortung von Juristinnen und Juristen heute zu reflektieren. "Das Thema ist keines der Vergangenheit", sagt er. Schließlich hat auch Wladimir Putin, der russische Präsident, derzeit Juristen an seiner Seite, die vermeintliche Argumente für den Angriffskrieg auf die Ukraine drechseln und diese zum Beispiel bei den Vereinten Nationen vortragen.
Außerdem, so sagt Safferling, gebe es mit Blick auf die Zeit nach 1945 noch wichtige historische Entdeckungen zu machen. Das klingt erstaunlich, so lange danach. Aber es ist vielleicht auch symptomatisch für den Widerwillen, mit dem in Deutschland lange auf die einstige Justiz der Alliierten geblickt wurde. Die Nürnberger Nachfolgeprozesse - also jene kleineren Prozesse, die auf den Hauptkriegsverbrecherprozess folgten und sich gegen verschiedene Berufsgruppen wie Ärzte oder auch Juristen richteten - seien bislang wenig erforscht, sagt Safferling. Das will er ändern.
Quelle: Süddeutsche Zeitung