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Historiker über Deutschlands Geheimdienst "Beim BND waren Massenmörder, da gibt es nichts zu beschönigen" Eine Historikerkommission zur Geschichte des Bundesnachrichtendienstes ist im Streit entzweit. Hier spricht Forscher Wolfgang Krieger über das Zerwürfnis, über Altnazis beim Geheimdienst und die BND-Rolle beim Mauerbau.

Ein Interview von Klaus Wiegrefe

31.01.2021, 07.29 Uhr

Berliner Zentrale des Bundesnachrichtendienstes
Foto: Michael Kappeler/ dpa

Die sogenannte Unabhängige Historikerkommission (UHK), die seit 2011 für den Bundesnachrichtendienst (BND) dessen erste Jahrzehnte erforscht, ist zerstritten. Die Geschichtsprofessoren Jost Dülffer, 77, Klaus-Dietmar Henke, 73, und Rolf-Dieter Müller, 72, behaupten, ihr Kollege Wolfgang Krieger, 73, erfülle "nicht die wissenschaftlichen Standards". Sie erklären in einer "Vorbemerkung" in Kriegers neuem UHK-Band, sie könnten sich mit diesem "nicht voll identifizieren" - ein außergewöhnlicher Vorgang in der Wissenschaft.

Zur Person
Foto: teutopress / imago images
Geheimdienstexperte Wolfgang Krieger (Jahrgang 1947), ist emeritierter Professor für Neuere Geschichte an der Philipps-Universität Marburg und Mitglied der "Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes 1946-1968". Dieser Forschungsauftrag, vom BND mit 2,4 Millionen Euro finanziert, zählt derzeit zu den größten Geschichtsprojekten des Landes.

Kriegers Buch "Partnerdienste" handelt von den Beziehungen des BND zu den westlichen Diensten. Seine Kritiker führen aus, er habe Quellen und Literatur "nicht zureichend" ausgewertet, was Krieger zurückweist. Er spricht von "ideologischen Differenzen". Die anderen Professoren deuteten die Geschichte des BND zu einseitig negativ und zu wenig im internationalen Kontext. Der BND finanziert die UHK mit 2,4 Millionen Euro. Bislang sind elf Bände erschienen, weitere sollen folgen. Ursprünglich sollte das Projekt 2016 enden.

SPIEGEL: Herr Professor Krieger, in der vierköpfigen Historikerkommission zur Erforschung der BND-Geschichte distanzieren Ihre drei Professorenkollegen sich von Ihrer Arbeit und behaupten, Sie hätten für Ihr neues Buch Quellen und wissenschaftliche Literatur "nicht zureichend" ausgewertet. Was ist da los?

Krieger: Die Kritik weise ich zurück. Ich sage hier nichts zu internen Auseinandersetzungen. Nur so viel: Es gibt da ideologische Differenzen.

SPIEGEL: Was meinen Sie damit?

Krieger: Man kann unterschiedlich auf Geheimdienste schauen, das prägt dann auch die Geschichtsschreibung. Die eine Sichtweise ist primär juristisch-bürgerrechtlich: Ein Geheimdienst soll alles wissen und jede Krise vorhersagen, zugleich legt man ihm ein enges Korsett aus Vorschriften an. Und wenn dann ein Ereignis nicht rechtzeitig erkannt wird, ist vom großen Versagen die Rede. Die andere Sichtweise ist primär sicherheitspolitisch…

SPIEGEL: ...Sie meinen konservativ...

Krieger: …und leitet sich ab aus Artikel 51 der Uno-Charta, dem Recht der Staaten auf Selbstverteidigung. Danach sollen Auslandsgeheimdienste möglichst wenig eingeengt werden, damit sie ihren Auftrag erfüllen können, nämlich Informationen aus dem Ausland zu beschaffen. Erfolge werden da nicht an einem Idealzustand gemessen, sondern an den Leistungen, die möglich waren. Das bedeutet konkret: an den Leistungen anderer Nachrichtendienste. Ich gehöre dieser realistischen Schule an.

US-Akte: Reinhard Gehlen war als früherer Wehrmachtoffizier in US-Haft und baute in den Fünfzigerjahren den BND auf

SPIEGEL: Die bisherigen Veröffentlichungen der Kommission erwecken der Eindruck, der BND sei in den ersten Jahrzehnten eine ziemlich dilettantische Truppe gewesen und Chef Reinhard Gehlen ein Blender, der Öffentlichkeit und Politik darüber täuschte, dass er wenig zustande brachte. Trifft das denn nicht zu?

Krieger: Mir ist ein solches Urteil zu einseitig negativ. Bei der militärischen Aufklärung, also dem Ausspähen sowjetischer Streitkräfte in der DDR und darüber hinaus, machte der BND eine ziemlich gute Figur. Das sahen auch die westlichen Dienste so. Bei der politischen Einschätzung ragte der BND hingegen nicht heraus - wobei wir nicht wissen, was Amerikaner, Briten oder Franzosen auf dem Feld geleistet haben, weil sie ihre Akten größtenteils oder ganz unter Verschluss halten.

SPIEGEL: Es ist doch unbestritten, dass die westdeutschen Nachrichtendienstler in Pullach die großen Krisen des Kalten Krieges verschlafen haben. Gehlen hielt den Volksaufstand in der DDR vom 17. Juni 1953 ernsthaft für eine Inszenierung der Sowjets.

Krieger: Schon richtig. Allerdings weise ich darauf hin, dass die sowjetischen Geheimdienste den Aufstand auch nicht vorhergesagt haben, und die waren mit Sicherheit näher dran. Die Sowjets hätten den Aufstand sonst im Entstehen unterdrückt.

SPIEGEL: Nach Darstellungen eines Ihrer Historikerkollegen aus der Kommission wurde man in Pullach auch vom Mauerbau, der am 13. August 1961 begann, kalt erwischt.

"Eine Spitzenquelle bedeutet nicht zwangsläufig, dass ein Geheimdienst die Dinge richtig vorhersagt"

Krieger: Die endgültige Entscheidung zum Mauerbau traf der damalige Kremlchef Nikita Chruschtschow wenige Tage vor dem 13. August. Der BND konnte nicht wissen, was Herr Chruschtschow selbst noch nicht wusste. Immerhin wurden die Vorbereitungen an die Bundesregierung gemeldet. Man wusste zwar nicht, dass Chruschtschow eine Mauer bauen wollte, aber sah voraus, dass es zu einer Form der Abriegelung in Berlin kommen würde. Im Übrigen hätte es keinen Unterschied gemacht, wenn der BND den Beginn des Mauerbaus vorhergesagt hätte. Die Bundesregierung hätte in Berlin nicht eingreifen können, weil die Stadt unter alliierter Besatzung stand, und die Amerikaner wollten keinen Atomkrieg riskieren.

Mauerbau 1961: "Die Bundesregierung hätte in Berlin nicht eingreifen können"
Foto: dpa

SPIEGEL: Sie sind sehr gnädig im Urteil. Nach bisherigem Kenntnisstand hatte Pullach keine einzige Spitzenquelle in der DDR oder einem anderen Ostblockland.

Krieger: Ich vermute, dass im Fall der DDR noch Quellen auftauchen. Grundsätzlich haben Sie jedoch recht, der BND hatte niemanden im Politbüro in Moskau. Die Briten, Amerikaner, Franzosen allerdings auch nicht, weil die sowjetische Spionageabwehr so effizient war. Aber man sollte dieses Defizit nicht überbewerten. Nehmen Sie die Kubakrise 1962, ausgelöst von der Stationierung sowjetischer Atomraketen auf Kuba.

SPIEGEL: Die Amerikaner drohten mit einem Angriff. Die Welt stand am Rande eines Atomkrieges.

Krieger: Das sowjetische Politbüro war dagegen, die Raketen auf Kuba zu stationieren. Chruschtschow hat es dennoch getan. Eine Quelle im Politbüro hätte vermutlich dem Westen berichtet, das Politbüro sei dagegen. Chruschtschows Alleingang hingegen wäre nicht prognostiziert worden. Eine Spitzenquelle bedeutet nicht zwangsläufig, dass ein Geheimdienst die Dinge richtig vorhersagt.

SPIEGEL: In Ihrem Buch berichten Sie von einer Sitzung 1958, bei der Geheimdienstler der drei Westalliierten und des BND ihre Erkenntnisse vergleichen. Zu Truppenbewegungen zwischen Polen und der DDR notiert der BND-Mann selbstkritisch: "Unser Erkenntnisstand liegt erheblich unter dem der anderen Partner."

Krieger: Das ist punktuell vorgekommen. Auch bei der nuklearen Aufklärung hatte der BND nicht viel mitzureden, weil die Deutschen keine Erfahrung mit Atomwaffen haben. Bei U-Booten und Raketen hingegen war der BND viel besser.

US-Raketentest in Cape Canaveral (1962): Die Welt am Abgrund
Foto: USAF

SPIEGEL: Wie passt in Ihr freundliches Urteil, dass 1961 ausgerechnet Heinz Felfe, Leiter des Bereichs "Gegenspionage Sowjetunion", verhaftet wurde? Der Mann, der den BND vor sowjetischen Spionen schützen sollte, war selbst einer. Felfe hat mindestens 200 westliche Agenten und V-Leute und rund 15.000 Dokumente verraten.

Krieger: Natürlich beeinträchtigt der Fall Felfe die Bilanz. Das war ein großes Versagen von Gehlen, er hat die Warnungen seiner Sicherheitsleute in den Wind geschlagen und Felfe gefördert. Zugleich muss man sehen: Die Fünfziger- und Sechzigerjahre waren das Zeitalter der großen Verratsfälle. Nehmen Sie die "Cambridge Five", fünf ehemalige Studenten der Universität Cambridge, die als Diplomaten, Geheimdienstler, Verwaltungsleute britische Geheimnisse an die Sowjets weitergaben. Felfe war kein Einzelfall im Westen. Auch deshalb haben die Amerikaner die Zusammenarbeit mit dem BND nach Felfes Enttarnung fortgesetzt.

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SPIEGEL: Wie beurteilen Sie denn als Anhänger der realistischen Schule die Inlandsaufklärung des BND in der Ära Gehlen? Das Ausspionieren von Politikern, Gewerkschaftern oder Journalisten war ein klarer Rechtsbruch.

Krieger: Ein schwieriges Kapitel. Pullach handelte teils auf Wunsch der Amerikaner, teils auf Drängen der Regierung Konrad Adenauer. Der Verfassungsschutz war noch schwach, zugleich die innere Bedrohung groß, sowohl durch kommunistische Agenten und deren Sympathisanten wie auch durch das riesige Reservoir an Altnazis. Diese Lücke hat Gehlen zu füllen versucht.

SPIEGEL: Die Gehlen-Truppe hat den späteren sozialdemokratischen Bundespräsidenten Gustav Heinemann ins Visier genommen, ebenso Justizminister Thomas Dehler (FDP). Sollen die etwa die Bundesrepublik bedroht haben?

Krieger: Ich will das nicht verteidigen. Erlauben Sie mir nur den Hinweis, bei vielen Personen ging es nicht um diese selbst, sondern um deren Bekanntschaften.

SPIEGEL: Beim Dienst geriet vor allem in Verdacht, wer in der Nazizeit zum Widerstand zählte, mit Widerständlern befreundet oder verwandt war. Kein Wunder, beim BND arbeiteten ehemalige Gestapo-Beamte, Mörder der Einsatzgruppen, Verantwortliche für Judendeportationen.

Krieger: Da waren Massenmörder, da gibt es nichts zu beschönigen. Man kann es sich nur dadurch erklären, dass solche Leute damals überall im Staatsapparat, der Wirtschaft oder den Universitäten zu finden waren.

SPIEGEL: Der BND beschäftigte Walther Rauff, den früheren Leiter der Truppe, die den Gaswagen entwickelt hatte, in dem Tausende Juden ermordet wurden. Oder Johannes Clemens, der 1944 am Massaker in den Ardeatinischen Höhlen bei Rom beteiligt war.

Spion Heinz Felfe: Moskaus Maulwurf beim BND

Krieger: Vor allem bei den Quellen des BND sah es fürchterlich aus. Allerdings haben die Briten, Franzosen, Amerikaner, auch die Sowjets, ebenfalls NS-Täter beschäftigt. Nehmen Sie den Sowjetspion Felfe: Der kam aus dem Reichssicherheitshauptamt, der Terrorzentrale des SS. Das macht es natürlich nicht besser.

SPIEGEL: In Ihrem Buch spielt das NS-Thema nur eine sehr kleine Rolle.

Krieger: Ich beschäftige mich mit dem Verhältnis zu den westlichen Geheimdiensten, da gab es diese Leute kaum. Sie müssen sich klarmachen: Der französische Geheimdienst wurde dominiert von Résistance-Kämpfern. Da konnte Gehlen nicht mit einem SS-Mann kommen. NS-Täter finden Sie vor allem bei der Ostaufklärung und der Spionageabwehr.

SPIEGEL: Der BND hat für Ihr Buch manche Information nicht zur Veröffentlichung freigegeben.

Krieger: Leider. Veröffentlichungen der Unabhängigen Historikerkommission werden vor Erscheinen vom Dienst unter Sicherheitsaspekten überprüft. Da geht es um Namen von Quellen, Persönlichkeitsrechte von BND-Mitarbeitern oder sogenannte schutzwürdige Belange der Bundesrepublik und auch alliierter Dienste.

SPIEGEL: Konnten Sie die Einwände des BND nachvollziehen?

Krieger: Es wurden auch Informationen beanstandet, die ganz oder teilweise in der Öffentlichkeit bekannt sind. Da hat der BND argumentiert, es möge ja sein, dass diese oder jene Information bei Wikipedia zu finden sei, aber man habe sie nie offiziell bestätigt.

"Ich schreibe ja nicht für den Aktenschrank"

SPIEGEL: Wie unabhängig sind Sie, wenn Sie unter solchen Bedingungen arbeiten?

Krieger: Das ist eine berechtigte Frage. Es ist klar: Der BND darf dem Historiker nicht im positiven Sinn vorschreiben, was dieser zu schreiben hat. Andererseits finde ich, wenn ich Namen streichen muss, die sowieso keiner kennt, und der Gesamtzusammenhang gewahrt bleibt, ist der Verlust für den Leser so klein, dass ich das hinnehmen kann. Aber über manche Grenzfälle darf ich wiederum nicht sprechen. Wegen der Geheimhaltung.

SPIEGEL: Schreiben Sie mit der Schere im Kopf und versuchen, Themen zu umgehen, bei denen Sie ein Veto des Dienstes befürchten?

Krieger: Es gibt Themen, von denen man weiß, es hat keinen Sinn. Etwa die bekannt engen Beziehungen des BND zum israelischen Mossad. Israel befindet sich seit Jahrzehnten im Kriegszustand. Da ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass große Teile eines Textes die Sicherheitsüberprüfung nicht überstehen würden. Das habe ich dann gelassen. Ich schreibe ja nicht für den Aktenschrank.

SPIEGEL: Herr Professor Krieger, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.


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© infos-sachsen / letzte Änderung: - 09.07.2024 - 18:47