Ostdeutsche wurden wie Besiegte behandelt
von Nils Werner
Stand: 05. Juli 2021, 17:56 Uhr
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Philip John Weston, Chefunterhändler von Großbritannien
War das angesichts der realen Machtverhältnisse unvermeidlich? Oder haben die Ostdeutschen am Verhandlungstisch - allesamt Neulinge im Geschäft - einfach Ihren Einsatz verpasst? Mit diesen bohrenden Fragen schlägt sich der ehemalige DDR-Außenminister Markus Meckel nun schon seit 30 Jahren herum. Dreh- und Angelpunkt dabei ist immer wieder das schwierige Verhältnis zu den maßgeblichen Politikern in Bonn.
Dabei fängt alles zunächst ganz vielversprechend an. "Gleich bei unserer ersten Begegnung bot mir Hans-Dietrich Genscher an, Beamte des Auswärtigen Amtes zur Unterstützung zu mir nach Ost-Berlin zu entsenden", erinnert sich Markus Meckel. "Ich war dafür dankbar - und vorsichtig zugleich. Einerseits brauchte ich dringend solche Hilfe, andererseits wollte ich jede direkte Einflussnahme vermeiden."
Markus Meckel steckt wie so viele seiner neuen DDR-Ministerkollegen in einem Dilemma. Ziemlich schnell braucht er, das "Greenhorn", wie er sich selbst im Rückblick nennt, zuverlässige, loyale Mitarbeiter. Menschen, die über außenpolitische Fachkompetenz, Sprachfähigkeiten und Verwaltungserfahrung verfügen. Zur Verfügung stehen ihm bei der Amtsübergabe nur die alten DDR-Kader, die in der Vergangenheit vor allem eins gezeigt haben: 100-prozentig SED-konforme Haltung.
Das Angebot aus Bonn - "Wir schicken Euch kompetente Leute, die mit anpacken" - kriegen zu dieser Zeit alle von Markus Meckels Ministerkollegen. Doch eine Direktive von Ministerpräsident Lothar de Maizière lautet: westdeutsche Berater ja, leitende Positionen werden jedoch nur ostdeutsch besetzt, um vorsorglich zu verhindern, dass man sich "von außen leiten lässt".
In der Bredouille rekrutiert Minister Meckel so Mitarbeiter aus kirchlichen Kreisen. Denn es sind die einzigen im DDR-Hoheitsgebiet, die zumindest ansatzweise über außenpolitische Kompetenz und ausreichende fremdsprachliche Fähigkeiten verfügen - ohne politisch belastet zu sein. Unter ihnen ist Hans Misselwitz, ein promovierter Biologe, der seine Stelle bei der Akademie der Wissenschaften verlor, als er 1980 den Einsatz als NVA-Reservist verweigerte, weil damals, nach der Gründung der Solidarnosc 1980 ein Einmarsch in Polen drohte.
Misselwitz wird Verhandlungsführer der DDR bei den Zwei-Plus-Vier-Gesprächen. Die DDR-Delegation will zwar die Einheit so schnell wie möglich, ist aber entschlossen zu widersprechen, wenn bestimmte Bedingungen dem Interesse der DDR-Bevölkerung widersprechen. Doch Misselwitz und Meckel ernten ab der allerersten Teilnahme an den Verhandlungen viel Gegenwind. Und das, obwohl ihnen Rückenwind versprochen wird.
Markus Meckel, damals Außenminister der DDR
Dass man in bestimmten Punkten konträre Ansichten hat, zeigt sich bereits zu Meckels Amtsbeginn. Denn als Ziel seiner ersten Auslandsreise legt der neue Außenminister der DDR für den 23. April Warschau fest, wo er die wichtigsten Repräsentanten des polnischen Staates - Ministerpräsident Tadeusz Mazowiecki wie auch Präsident Wojciech Jaruzelski trifft. Und das, noch bevor er - offiziell - in Bonn überhaupt seine "Aufwartung" macht.
Meckel reist mit einer Volkskammererklärung im Gepäck in Polen an: Zwei Wochen zuvor hat das ostdeutsche Parlament die Unverletzbarkeit der Oder-Neiße-Grenze zu Polen bekräftigt. Außerdem unterstützt Meckel ausdrücklich die Forderung, Polen an den Zwei-plus-Vier-Gesprächen zu beteiligen. Damit gerät er in heftiges Fahrwasser, denn Washington und Bonn hatten sich auf eine andere Strategie verständigt: Die Beteiligung weiterer Staaten an den Zwei-plus-Vier-Gesprächen lehnen beide Regierungen vehement ab.
Die Beweggründe dafür, hat Hans-Dietrich Genscher Markus Meckel bereits vor der Reise nach Polen zu erläutern versucht. Meckel erinnert sich: "Deutschland dürfe nicht wieder zum bloßen Objekt von Viermächtegesprächen werden. Vielmehr sei zu berücksichtigen, dass die Bundesrepublik nunmehr ein angesehener Partner unter den Demokratien des Westens sei. Und nicht zuletzt müsse ausgeschlossen werden, dass mehr als fünfzig ehemalige Kriegsgegner auf den Gedanken kommen könnten, bei der deutschen Vereinigung mitreden zu wollen und neue Reparationsforderungen zu stellen."
Die Argumentation leuchtet Meckel ein, wie er sich nach Jahren erinnert. Doch bei der Art und Weise, wie man zum großen gemeinsamen Ziel gelangt, liegen Meckel und Genscher quer. Die eigenständigen diplomatischen Bemühungen der DDR-Seite gehen dem Bundeskanzleramt gegen den Strich, das "Zwei-Plus-Vier" als Chefsache betrachtet, in der ostdeutsche Befindlichkeiten keinesfalls machtpolitische Weichenstellungen behindern dürfen.
Noch aber liegt da ein Ball im Spielfeld: Auf britischen Vorschlag sind seit dem Frühjahr 1990 trilaterale Gespräche zwischen den beiden deutschen Staaten und Polen anberaumt worden. Für Bonn ist das wohl eher eine symbolische Geste, Ost-Berlin will hier dagegen etwas Substantielles auf den Weg bringen - und knüpft eine Allianz mit Polen. Warschau will nämlich einen eigenen Vertragsentwurf diskutieren, die westdeutsche Seite möchte dagegen nur über den vorliegenden Entwurf der Resolution der beiden deutschen Parlamente sprechen. "Wir erklärten, dass wir grundsätzlich den polnischen Vertragsentwurf unterstützen würden, in dem auch Themen über die Grenzfrage hinaus angesprochen wurden", erinnert sich Meckel.
Doch damit gefährdet Polen einen Punkt, der für Bonn von zentraler Bedeutung ist: die künftige NATO-Mitgliedschaft Deutschlands.
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Dass in der Bundesrepublik bald Wahlen anstehen und Helmut Kohl auch im Hinblick auf die eigene Wählerschaft der Vertriebenen jedes Zugeständnis an Polen zu vermeiden sucht, ist der Suche nach einem Konsens nicht besonders zuträglich. Und verbunden mit radikalen Konsequenzen. Denn in der Folge koppelt Bonn die Ostberliner Diplomaten informationstechnisch radikal ab. Was man in Washington und Moskau bilateral verhandelt, ob es neue Zugeständnisse gibt - im Amtssitz von Markus Meckel weiß niemand etwas. Und das ist aus Bonner Sicht nur folgerichtig. Denn die Kluft hat sich zwischenzeitlich sogar noch mehr geweitet: "Unsere Position der Bundesrepublik Deutschland wurde nicht gerade dadurch erleichtert, dass die DDR hier mit uns an einem Strang zog", erinnert sich Dieter Kastrup, Verhandlungsführer des Auswärtiges Amtes.
Dieter Kastrup, Verhandlungsführer des Auswärtiges Amtes
Nach außen lassen weder Bonn noch Ost-Berlin etwas von diesen Grabenkämpfen dringen. Offiziell arbeitet man gemeinsam Hand in Hand. Doch im Kreis der "Zwei-plus-Vier" reiben sich einige Siegermächte verwundert die Augen über einen neuen Anwärter im Kreis. In punkto Machtdemonstration scheut die westdeutsche Seite selbst vor Zurschaustellungen der DDR-Seite nicht zurück.
Bertrand Dufourcq, Mitglied der französischen Delegation
Quelle: MDR Geschichte