27.04.2015, 09:11 Uhr/
(Bild: Roland Schmid)
Im Vietnamkrieg haben die USA 72 Millionen Liter giftige Herbizide versprĂĽht. Darunter das dioxinhaltige Agent Orange. Wissenschaftler warnten schon damals vor diesem Stoff. Es wird Jahrhunderte dauern, bis sich die Natur erholt hat.
"Als Kind sah ich, wie Flugzeuge eine Art Nebel versprühten. Heute weiss ich, es war Agent Orange." Nguyen van Bong, hager und kränklich, erzählt von seinen frühen Kriegserlebnissen, die später für die Tragödie seines Lebens sorgen.
Wir sind im Dorf Tan Hiep, in der Provinz Quang Tri. Nguyen van Bong, geboren 1962, Tagelöhner, erzählt, wie rund um seinen Heimatort gekämpft wurde, wie er manchmal mithelfen musste, gefallene Amerikaner wegzutragen.
Sein Dorf war ein sogenanntes Wehrdorf. Die Regierungen der USA und Südvietnams umzäunten damals Tausende von Dörfern mit Bambuspalisaden. Die Wehrdörfer sollten die Südvietnamesen unter Kontrolle halten sowie vor nordvietnamesischen Angreifern beziehungsweise vor dem Einfluss der Befreiungsfront FNL schützen.
"Wir lebten mehr oder weniger eingeschlossen. Nachts gingen wir heimlich raus und holten im Fluss die Fische, die als Folge des Sprühnebels zu Hunderten tot auf der Oberfläche trieben. Zu Hause assen wir sie." So kam das Erbgut schädigende Dioxin TCDD in die Nahrungskette. Und so gelangte es in den Organismus von Nguyen van Bong.
Nguyen van Bong ist Vater von zwei schwer cerebral gelähmten Töchtern - die Folge der mit Agent Orange vergifteten Fische. Die zwei Kinder, beide über 30, liegen nebeneinander auf einer Pritsche. Ihre Sprache haben sie verloren. Die Mutter, Tran Thi Gai, sitzt neben ihnen auf den Holzbrettern. Schwach und kaum fähig zu sprechen. Die jahrzehntelange Pflege der Kinder hat ihr die Kräfte geraubt, sie herzkrank gemacht.
Im August 1961 versprühte die amerikanische Luftwaffe auf Geheiss von Präsident John F. Kennedy erstmals Pflanzenvernichtungsmittel über den Wäldern Südvietnams. Ziel war die Entlaubung von Wäldern, um dem Feind, der Befreiungsfront FNL, die Deckung zu rauben sowie die Zerstörung von Reisfeldern. Die Nahrungsgrundlagen des Gegners sollten vernichtet werden.
Das US-Militär setzte etwa ein Dutzend verschiedene Herbizide ein.
Laut Jan Pehrke, Vorstandsmitglied des Selbsthilfe-Netzwerks "Coordination gegen Bayer-Gefahren", produzierte das Unternehmen während des Krieges jährlich um die 700 bis 800 Tonnen Agent-Orange-Bestandteile, die via eine französische Firma an die USA verkauft wurden.
Auch ein anderes deutsches Unternehmen mischte mit.
Das in Agent Orange enthaltene Dioxin TCDD ist bereits 1956 vom Deutschen Wilhelm Sandermann entdeckt worden.
Trotz allen Warnungen - auch von namhaften amerikanischen Wissenschaftlern - wurde bis 1971 weiter gesprayt. US-Veteran Chuck Palazzo, der heute in Da Nang lebt und damals dabei war, erinnert sich: "Uns sagte man, die Flugzeuge versprühen ein Mittel gegen Moskitos. Anfänglich glaubten wir dies, da sehr viele von uns an Malaria und Dengue-Fieber erkrankt waren."
Dass Dioxin gefährlich ist, belegten zudem zahlreiche Krankheiten von Arbeitern bei verschiedenen Herstellern. So verursachte bereits 1953 ein Dioxin-Unfall bei der deutschen BASF bei 42 Arbeitern schwere Hauterkrankungen.
(Bild: Roland Schmid)
Insgesamt warf die US-Luftwaffe etwa 72 Millionen Liter Entlaubungsmittel über den Urwäldern und Reisfeldern Vietnams ab, darunter Agent Orange. Dabei hätte den Amerikanern selbst ohne Warnungen von aussen bereits nach den ersten Sprühflügen auffallen müssen, dass neben den Pflanzen auch Tiere und Menschen unter der Chemikalie leiden. In Teichen und Bächen verendeten unzählige Fische, wie Nguyen van Bong zu Beginn dieser Geschichte erzählte.
Dioxin wird für weit über hundert Krankheiten verantwortlich gemacht. Es schädigt das Erbgut und führt zu Missbildungen, etwa zu fehlenden Gliedern und Gaumenspalten. Über wie viele Generationen das Genom geschädigt werden kann, weiss man heute noch nicht.
Dioxin ist auch stark krebserregend, erzeugt Diabetes, Parkinson, psychische Schäden, Immunschwäche, die zum Tod auch bei relativ harmlosen Krankheiten führen kann. Schätzungsweise 4,5 Millionen Menschen kamen mit Agent Orange in Berührung. Vermutlich bis zu drei Millionen erkrankten in der einen oder anderen Form. Dazu kommen rund 200.000 Angehörige der US-Streitkräfte, die bei der Veteranenbehörde als Agent-Orange-Opfer registriert sind.
Der Chemiewaffeneinsatz verursachte irreparable Schäden in Ökosystemen Vietnams. Mehr als fünf Millionen Hektar Wald und eine halbe Million Hektar Ackerland wurden zerstört.
Es wird Jahrhunderte dauern, bis sich die Natur vom Gift erholt haben wird. Das Dioxin TCDD befindet sich teilweise bis heute im Nahrungskreislauf der vietnamesischen Bevölkerung. Der Regierung Vietnams fehlt das Geld für grossflächige Reinigungen.
Quelle: tageswoche vom 27.04.2015