Coronavirus in Deutschland:

Woher die meisten Infizierten einreisen Mehr und mehr Menschen aus Deutschland stecken sich im Ausland an. Besonders groß ist das Risiko derzeit in den Balkanländern. Trotz negativer Schlagzeilen spielt Spanien eine vergleichsweise kleine Rolle.

Von Christian Endt

13. August 2020

Die meisten Infizierten reisen aus Kosovo ein, gefolgt von der Türkei, Serbien und Bulgarien: Corona-Test an der Rastanlage Bergen in Bayern.
(Foto: Sven Hoppe/dpa)

Die schwere Panne der bayerischen Staatsregierung bei der Weitergabe von mehr als 900 positiven Corona-Tests passiert in einer Zeit, in der die Lage ohnehin so angespannt ist wie seit Monaten nicht. Die Zahl der täglich gemeldeten Neuinfektionen steigt und liegt seit einigen Tagen auf einem Niveau, das seit Mai nicht mehr erreicht wurde, sowohl in Bayern als auch bundesweit. Anders als bei früheren Ausbrüchen gibt es keine klar eingrenzbaren Hotspots, sondern ein nahezu flächendeckendes Infektionsgeschehen. Weit mehr als die Hälfte der 401 Landkreise und kreisfreien Städte in Deutschland melden derzeit einen Anstieg der Fallzahlen.

Zugleich steigt der Anteil jener Corona-Fälle, die auf Ansteckungen im Ausland zurückgehen. Laut Robert-Koch-Institut (RKI) traf das in der vergangenen Woche auf 31 Prozent aller gemeldeten Infektionen zu; zwei Wochen vorher waren es nur elf Prozent gewesen. Dabei sind nur jene Fälle mitgezählt, bei denen die Ansteckung unmittelbar im Ausland erfolgte; nicht also diejenigen, die sich in Deutschland bei jemandem anstecken, der selbst vorher im Ausland infiziert wurde. Die meisten Infizierten reisen laut RKI aus Kosovo ein (mehr als 1000 Fälle in den vergangenen vier Wochen), gefolgt von der Türkei, Serbien und Bulgarien.

Das beliebte Urlaubsland Spanien spielt in dieser Statistik mit 107 eingeschleppten Fällen eine vergleichsweise kleine Rolle, auch wenn es wegen ausufernder Ballermann-Partys in den Schlagzeilen war und inzwischen die Schwelle von mehr als 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner in den vergangenen sieben Tagen überschritten hat. An diesem Grenzwert orientieren sich RKI und Auswärtiges Amt bei der Aussprache von coronabedingten Reisewarnungen; davon sind derzeit unter anderem Bosnien-Herzegowina, Montenegro, Luxemburg und die Türkei sowie Teile von Belgien, Bulgarien, Spanien und Rumänien betroffen.

Die Fachleute des RKI gehen in einem aktuellen Lagebericht explizit auf den starken Anstieg der Fälle aus dem Ausland ein. "Durch konsequente Prävention und frühzeitige Identifikation können Übertragungen und Folgefälle stark reduziert werden", heißt es in dem Bericht vom Dienstag dieser Woche. Dieser Forderung wäre die bayerische Staatsregierung mit ihren Teststationen an den Grenzen, den Flughäfen und Hauptbahnhöfen geradezu mustergültig nachgekommen - wenn das System denn funktioniert hätte.

Eine verspätete Übermittlung positiver Testergebnisse hat schwere Folgen

Die Verzögerung bei der Übermittlung positiver Testergebnisse hat schwere Folgen. Niemand kann genau sagen, wie viele vermeidbare Infektionsfälle sie nach sich ziehen; plausibel scheint eine drei- oder sogar vierstellige Zahl zu sein. Denn zahlreiche Studien zeigen, dass viele Ansteckungen geschehen, ohne dass der Überträger selbst Symptome zeigt. Mehreren Untersuchungen zufolge machen diese prä- und asymptomatischen Übertragungen mehr als die Hälfte aller Infektionen aus. Demnach gibt es eine kurze Zeitspanne von oft nur ein bis zwei Tagen, in der die Viruslast im Körper des Überträgers besonders groß ist - und dementsprechend das Ansteckungsrisiko besonders hoch. Für Rückkehrer aus Risikogebieten gilt eine Pflicht zur Quarantäne, für 14 Tage oder bis ein negatives Testergebnis vorliegt. Wenn die Tests vertrödelt werden, leidet womöglich die Disziplin der Betroffenen. Außerdem sind laut Ministerpräsident Markus Söder zahlreiche Rückkehrer aus Nichtrisikogebieten unter den positiv Getesteten. Für sie gilt die Quarantänepflicht nicht.

Der Umstand, dass die Viruslast binnen weniger Tage mitunter stark schwankt, erschwert allerdings auch zuverlässiges Testen. Wenn der Abstrich einige Tage vor oder nach der hochansteckenden Phase abgenommen wird, steigt die Gefahr eines fälschlicherweise negativen Ergebnisses. Daher ist in diesem Fall ein Folgetest im Abstand von einigen Tagen sinnvoll. Auch Fehler beim Durchführen des Rachenabstrichs können zu einem falsch-negativen Ergebnis führen - weshalb die nun von der Staatsregierung beauftragten Dienstleister händeringend nach qualifiziertem Personal für diese Aufgabe suchen. Andererseits sind auch falsch-positive Tests möglich. Zahlreiche Unwägbarkeiten also. Umso wichtiger, dass die Behörden zumindest die vorliegenden Testergebnisse konsequent und schnell an die Betroffenen weitergeben.


Quelle: SZ vom 13.08.2020