FOCUS-Online-Reporter Göran Schattauer
Mittwoch, 02.12.2020, 12:17
Ein Foto, das Deutschland Mut macht: In einem Krankenhausbett sitzt aufrecht ein junger Mann im schwarzen T-Shirt. Er lächelt dankbar in die Kamera. An seiner Seite stehen drei Frauen und ein Mann, die um das Leben des Patienten gekämpft hatten. Der 18-jährige Thüringer war mit dem Coronavirus infiziert, lag tagelang auf der Intensivstation.
Die Klinikmitarbeiter am Bett des Mannes tragen Masken, Brillen, Hauben, Handschuhe und wasserdichte Schutzkittel. Sie ballen die Fäuste als wollten sie den Menschen draußen im Land sagen: Seht her, mit vereinten Kräften haben wir es geschafft. Wir haben das Virus erfolgreich bekämpft - der junge Mann hat das Schlimmste überstanden.
Eine Geste der Stärke, der Zuversicht, aber auch eine eindringliche Mahnung an alle Corona-Leugner.
Das Foto entstand vor wenigen Tagen auf der Covid-19-Station des Universitätsklinikums im thüringischen Jena. Etwa 200.000 Menschen haben es seither gesehen. Die Klinik postete es auf ihrer Facebook-Seite.
Doch das Bild von Station A 330 steht nicht für sich allein. Es gehört zu einem emotionalen Text, den die Ärzte und Schwestern ins Netz gestellt haben, um auf die dramatische Lage aufmerksam zu machen. Auf ihre eigene, auf die von uns allen.
Ihren Eintrag überschrieben sie mit: "Dringender Appell: Nehmt Corona ernst!". Er enthält "ein paar deutliche Worte an alle, die es noch nicht verstanden haben oder nicht verstehen wollen".
An die Adresse dieser Menschen gerichtet, schreiben die Mitarbeiter: "Ihr könnt unsere Maßnahmen wie das Besuchsverbot kritisieren, ihr könnt unser Klinikum nicht mögen - das müssen wir alles aushalten. Was aber nicht geht: Corona verharmlosen oder verleugnen."
Menschen, die das Virus kleinreden und Corona als ungefährliche Allerwelts-Krankheit darstellen, würden "absolut respektlos" handeln. Respektlos gegenüber Medizinern und Pflegern, die auf den Corona-Stationen "jeden Tag in voller Schutzmontur anstrengende Arbeit leisten". Respektlos aber auch gegenüber Patienten, "die an Covid-19 leiden und froh sind, dass sie behandelt werden".
Klinikdirektor Andreas Stallmach, der auch mit auf dem Facebook-Foto zu sehen ist und die Faust ballt, bekräftigt im Gespräch mit FOCUS Online die Kritik seiner Mitarbeiter: "Corona ist kein harmloser Schnupfen. An Corona kann man sterben", warnt der 60-jährige Professor.
Für Demonstranten, die sich über Abstandsregeln und Mundschutzpflicht hinwegsetzen und Corona als ein Hirngespinst von angeblichen Panikmachern abtun, hat Stallmach kein Verständnis: "Wenn jemand sagt, Covid-19 gibt es nicht, dann lade ich ihn herzlich zu uns auf die Intensivstation ein. Dort kann er sehen, wie schwer Menschen unter der Erkrankung leiden und wie manche von ihnen daran sterben."
Es mache ihn "traurig und fassungslos", wenn er manchmal nach einem langen Arbeitstag mit der Straßenbahn nach Hause fährt und in der Stadt Leute sieht, die dicht beieinanderstehen und keinen Mund-Nasen-Schutz tragen, so Stallmach zu FOCUS Online. "Dann möchte ich am liebsten hingehen und die Menschen ansprechen: Setzt doch bitte eine Maske auf, damit ihr nicht in 14 Tagen bei uns auf der Station liegt."
Beim Einkauf im Supermarkt hat der Klinik-Chef schon etliche Masken-Muffel angesprochen ("Ich bin immer sehr höflich") und damit sogar Erfolg gehabt. Mitunter schlagen ihm aber auch Gleichgültigkeit und sogar Aggressionen entgegen: "Quatsch mich nicht an, ich kann selber auf mich aufpassen!", bekommt er dann zu hören. Stallmach sagt: "Natürlich ist jeder für sich selbst verantwortlich. Aber in der momentanen Situation tragen wir auch Verantwortung für die Menschen um uns herum. Dass muss doch jedem klar sein."
Wie schnell sich die Lage zuspitzen kann, hätten die vergangenen Wochen gezeigt. "Wir waren überrascht und erschrocken, dass die Zahl der Patienten im Herbst so stark angestiegen ist", berichtet der Professor. "Hätte sich der Zulauf so ungebremst fortgesetzt, wären wir in ernsthafte Versorgungsengpässe gekommen."
Derzeit liegen mehr als 30 Corona-Erkrankte im Jenaer Uniklinikum, die meisten von ihnen auf der Intensivstation. Jeden Tag kommen drei bis vier neue Patienten hinzu, andere sind zum Glück wieder so stabil, dass sie nach Hause entlassen werden können.
Noch reichten die Betten auf der Covid-19-Station aus, noch könne man die Zahl der Intensivbetten bei Bedarf erhöhen, erklärt Andreas Stallmach. Doch niemals wolle er in die Lage kommen, dass zwei schwerstkranke Corona-Patienten eingeliefert werden, aber nur noch ein Intensivbett frei ist. "Das wäre eine sehr belastende, eine unmenschliche Situation für einen Arzt." Deshalb hofft Stallmach, dass "unsere Kapazitäten ausreichen". Dies gelinge jedoch nur, "wenn die Leute sich konsequent an die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus halten".
Allerdings dürfe man nicht nur auf die Zahl der vorhandenen Klinikbetten schauen, mahnt der Direktor. "Das viel größere Problem ist, dass wir nicht genug Pflegekräfte und Ärzte haben, die sich um die Patienten kümmern können. Im Intensivbereich und im Infektionsschutzbereich fehlt uns qualifiziertes Personal." Um dennoch auf die Corona-Lage vorbereitet zu sein, wurden Kollegen aus anderen Bereichen bereits im Frühjahr und Sommer geschult. Außerdem hat die Klinik alle Operationen verschoben, die nicht unbedingt notwendig sind.
Mit ihrem Appell auf Facebook haben die Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger aus Jena eine lebhafte Debatte im Netz ausgelöst. Ihr Beitrag erhielt mehr als 2600 Likes, wurde hundertfach geteilt und kommentiert.
Die allermeisten Leser drücken ihre Hochachtung vor der Leistung des Klinikteams aus. Ein Nutzer schreibt: "Danke für die tollen Worte. Hoffentlich kapieren jetzt endlich mal die ganzen Corona-Leugner, dass das Ganze kein Spaß ist. Fangt endlich an, Euch und andere zu schützen." Ein anderer Kommentator vermerkt: "Es ist egal, was diese kleine, dumme aber leider laute Minderheit sagt. Ihr seid unsere Helden, nicht erst seit Corona. Haltet durch!"
Quelle: focus.de vom 02.12.2020