Stand: 12.12.2022 09:39 Uhr | Lesedauer: 8 Minuten
Von Tim Röhn
Ressortleiter Schwerpunktrecherche
Peter Schirmacher gehört zu den renommiertesten Pathologen Deutschlands. Seit Beginn der Covid-19-Impfkampagne beschäftigt sich der 61-Jährige intensiv mit der Frage, inwiefern die Impfungen negative, nicht entdeckte Konsequenzen haben können. In diesem Zusammenhang forderte er immer wieder, mehr Obduktionen durchzuführen.
Schirmacher ist seit 18 Jahren Geschäftsführender Direktor des Pathologischen Instituts des Uniklikums Heidelberg, bis 2019 war er Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Pathologie (DGP). Er ist Leopoldina-Mitglied und sitzt im Vorstand von verschiedenen europäischen Fachorganisationen.
Mehrere Interview-Anfragen von WELT waren seit dem Sommer vergangenen Jahres abgelehnt worden. Nun erklärte sich Schirmacher zu einem längeren, schriftlich geführten Interview bereit - Grund ist die Veröffentlichung seiner Studie zu Folgen der Covid-Impfungen. Sein Ziel und das seiner Kollegen sei es, so schrieb er, "mit soliden Untersuchungsergebnissen zu einer sachlichen Diskussion und vorurteilsfreien Entscheidungsfindung beizutragen."
WELT: Sie haben Ende November im Magazin "Clinical Research in Cardiology" eine Studie zu möglichen Folgen der Covid-Schutzimpfungen veröffentlicht, die intensiv diskutiert wird. Was sind die wichtigsten Erkenntnisse?
Schirmacher: Unser Augenmerk lag auf der Untersuchung der Morphologie und Immunologie der Sars-CoV-2-Vakzine-induzierten Herzmuskelentzündung. Unsere Studie zeigt, dass es tödlich verlaufene Herzmuskelentzündungen als Folge der mRNA-Vakzinierung gegen SARS-CoV-2 geben kann und dass sie ein typisches, einheitliches Bild zeigen. Das sind wichtige Ergebnisse für das Erkennen und die sichere Diagnose dieser nicht vorhersehbaren Komplikation - auch beim Lebenden.
WELT: Sie hatten schon im vergangenen Jahr auf schwer verlaufende Herzmuskelentzündungen als mögliche Folge der Impfungen hingewiesen.
Schirmacher: Das stimmt, und mittlerweile wurden auch in über 50 geprüften klinischen Fachpublikationen insgesamt dreistellige Fallzahlen von schweren Myokarditisverläufen einschließlich Todesfällen berichtet und die Impf-induzierte Herzmuskelentzündung. Auch die Möglichkeit, dass man an ihr versterben kann, sind gesicherte Fakten.
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WELT: In wie viel Prozent der Fälle ist bei Menschen, die kurz nach ihrer Covid-Schutzimpfung gestorben sind, die Impfung Ihrer Einschätzung nach ursächlich für den Tod?
Schirmacher: Ich möchte ausdrücklich festhalten, dass wir ein ganz besonderes Kollektiv untersucht haben: Menschen, die in den ersten 14 Tagen nach der Impfung aus scheinbarer Gesundheit heraus unerwartet verstorben sind, das heißt, tot aufgefunden wurden. Dabei konnten wir bei 30 Prozent einen Zusammenhang zwischen Impfung und Versterben zeigen; bei 70 Prozent konnten wir keinen Zusammenhang, sondern andere Ursachen belegen. Ich möchte aber ausdrücklich betonen, dass unsere Untersuchung aufgrund der Besonderheiten des Kollektivs und der Einschlusskriterien keine Hochrechnung auf die Gesamtheit der Geimpften erlaubt und wir eine solche Projektion nie gemacht haben. Es ist allerdings nicht davon auszugehen, dass die Impfnebenwirkungen auf Baden-Württemberg beschränkt sind.
WELT: Was waren diese Besonderheiten des Kollektivs und die Einschlusskriterien?
Schirmacher: Wir haben überraschend tot aufgefundene Personen obduziert, bei denen eine Sars-CoV-2 Impfung nicht länger als zwei Wochen zurücklag und bei denen keine offensichtliche andere Todesart, wie Suizid, Unfall oder Straftat vorlag. Dies waren also weder in Behandlung stehenden Patienten noch Personen, bei denen vor dem Tod eine unerwünschte Impfwirkung festgestellt worden war. Derartig Verstorbene werden in aller Regel nicht obduziert. Wir konnten dies nur dank unseres Programms und der unverzichtbaren Mithilfe vieler Ämter, Kollegen und Angehörigen bewerkstelligen. Dies bedingt ein sehr selektives Kollektiv, dessen Zusammensetzung sehr vielen Einflüssen unterliegt und daher nicht für Fallzahlüberlegungen geeignet ist.
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WELT: Wird in Deutschland ausreichend im Blick auf mögliche Nebenwirkungen der mRNA-Impfungen geforscht?
Schirmacher: Nein. Unser Programm, das vom Land Baden-Württemberg gefördert wird und aus dem auch diese Publikation stammt, ist meines Wissens das einzige Programm, das mit Autopsien auch den Impffolgen nachgeht und dabei an allen wichtigen Punkten ansetzt - das aber auch nur für eine begrenzte Region und Komplikationsart. Leider hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung gerade ein anderes Registerprogramm (NATON) zusammengestrichen, das zwar nicht wie unser Programm alle Aspekte der Autopsie fördert, in dem man aber zumindest Fälle melden und damit auch die Forschung unterstützen könnte.
WELT: Warum wurde diese Entscheidung gefällt?
Schirmacher: Ich nehme an aus finanziellen Gründen, aber konkret weiß ich das nicht. Spezifische Sachgründe wurden uns nicht mitgeteilt.
WELT: Es gibt also auch zwei Jahre nach Beginn der Impfkampagne eine große Unwissenheit.
Schirmacher: Es gibt wichtige offene Fragen, die entweder durch umfassende Registrierung aller unerwünschten Wirkungen oder im Rahmen weiterführender Forschung im Sinne der Impfverbesserung, der Impfindikation und des Bevölkerungsschutzes geklärt werden sollten. Gibt es etwa genetische Faktoren oder bestimmte Vorerkrankungen - zum Beispiel Autoimmunerkrankungen -, die für schwere Impffolgen prädisponieren? Impffolgen sind Impfstoff-abhängig - aber welche Merkmale und Bestandteile der Vakzine bestimmen das? Spielen bestimmte Applikationsarten eine Rolle? Es gibt zum Beispiel Hypothesen, wonach eine unbeabsichtigte Gefäßinjektion für schwere Impfnebenwirkungen - wie eine Herzmuskelentzündung - eine Rolle spielen könnte. Untersuchungen wie unsere sind ein Anfang. Weitere Untersuchungen sind notwendig, um Impfungen und Impfindikationen, auch über SARS-CoV-2 hinaus, zu verbessern und die Bevölkerung möglichst gut zu schützen. Die Förderung der umfassenden Registrierung und auch der notwendigen Forschung liegt im wesentlich in der Entscheidung und dem Aufgabenbereich der Gesundheitspolitik, aber auch der Hersteller.
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WELT: Warum wird nicht mehr unternommen?
Schirmacher: Das müssten Sie die Verantwortlichen fragen. Die Gründe sind sicherlich verschieden, wie zum Beispiel begrenzte Mittel, andere Prioritäten und im einen oder anderen Fall vielleicht auch die Sorge vor unliebsamen Ergebnissen.
WELT: Es heißt stets, Myokarditiden nach mRNA-Impfung würden in der Regel mild verlaufen. Ist diese Behauptung haltbar?
Schirmacher: Das dürfte formal korrekt sein; zu dieser Frage kann ich aber keine pauschale Antwort geben. Was ist mild'? Ist eine Gesundung nach Krankenhausaufenthalt ein milder Verlauf? Wir wissen derzeit auch noch nicht, ob alle überstandenen Myokarditiden folgenlos ausheilen. Myokarditiden nach mRNA-Impfung können über alle Betroffenen hinweg ein breites Spektrum zeigen, das je nach Verlauf und Konstitution der Betroffenen von asymptomatisch, das heißt vom Betroffenen nicht bemerkt, über ein Herzstolpern', eine Leistungsminderung', eine Krankenhausbehandlung bis hin zur tödlichen Komplikation reicht. Und es ist sicher so, dass die Häufigkeit mit dem Schweregrad abnimmt. Zur Häufigkeit an sich gibt es aber keine belastbaren Daten, allenfalls Vermutungen. Auch unsere Untersuchung kann hierzu keinen Beitrag liefern.
WELT: Wenn es um möglicherweise unerkannte Impfnebenwirkungen geht, wiegeln die meisten etablierten Experten ab. Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) sieht keine Alarmsignale, die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt die Impfungen sogar für Kinder. Stets wird behauptet, schwerwiegende Nebenwirkungen nach mRNA-Impfung seien nun mal "sehr selten". Ist diese Behauptung haltbar?
Schirmacher: Dies ist der falsche Ansatz. Was ist schwerwiegend? Wenn Sie ins Krankenhaus müssen, wenn Sie dauerhaft geschädigt sind oder wenn Sie sterben? Und was ist die Bezugsgröße für sehr selten? Grundsätzlich meine ich, dass wenn eine schwere Nebenwirkung vermeidbar (gewesen) wäre, schon ein Fall zu viel ist. Wenn ein 40-jähriger Gesunder stirbt, bedeutet dies statistisch den Verlust von fast 50 Lebensjahren. Um statistisch betrachtet 50 Lebensjahre zu retten, müssen viele Menschen geimpft werden. Nur als hypothetisches Rechenbeispiel: Wenn nur eine Person von 10.000 Geimpften eine schwere Nebenwirkung erfahren würde, was ja selten wäre, würden wir bei 75 Millionen Geimpften immerhin von 7500 Betroffenen reden. Da schwere unerwünschte Wirkungen neben dem Herz zum Beispiel auch Leber, Niere und die Muskulatur betreffen können und nicht umfassend erfasst werden und in den meisten Fällen nicht genau nachuntersucht werden, lassen sich hier keine klaren Aussagen treffen.
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WELT: Es müsste mehr passieren?
Schirmacher: Ja. Die umfassende Erfassung und Nachverfolgung schwerer Impffolgen ist eine ärztliche, aber auch gesamtgesellschaftliche Aufgabe - zur Vertrauensbildung für eine wichtige und segensreiche medizinische Maßnahme, wie es die Impfung als solche ist, und gerade im Sinne der Betroffenen. Schwere Impfkomplikationen müssen angemessen diagnostiziert und behandelt werden. Nach Infektionsschutzgesetz sind sie auf Antrag für Betroffene oder Nachkommen auch entschädigungsfähig.
WELT: Halten Sie die aktuell gültigen Empfehlungen der Stiko angesichts der Erkenntnisse aus Ihrer Studie für angemessen?
Schirmacher: Impfempfehlungen müssen die erwünschten Wirkungen - Selbst- und Fremdschutz gegen Infektion bzw. Erkrankung -, die Schutzwürdigkeit - Schwere und Verbreitung der Infektion - sowie die unerwünschten Wirkungen der Impfung - Erkrankung, Tod - umfassend berücksichtigen und bewerten. Auch logistische Fragen, etwa die Verfügbarkeit der Vakzine, und die Betroffenheit verschiedener Bevölkerungsgruppen - Alter, Geschlecht, Gefährdungsgrad - müssen differenziert bedacht werden.
WELT: Das ist keine klare Antwort auf meine Frage. Halten Sie sich bewusst bedeckt? Falls ja, warum?
Schirmacher: Ich denke schon, dass meine Antwort klar ist. Wir können aufgrund unserer Untersuchungen kompetent zu einem wichtigen Aspekt beitragen, aber ich maße mir nicht an, kompetent alle genannten Aspekte beurteilen zu können. Aus diesem Grund ist die Stiko auch eine Kommission, die verschiedenes Fachwissen zusammenführen muss. Persönlich bin ich der Meinung, dass die gegenwärtige Corona-Impfempfehlung zu weit gefasst ist und eine Zielgruppe ähnlich wie bei Influenza angemessener wäre.
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WELT: Sie sprachen in der Vergangenheit von dem Versuch, sich mit dem PEI über das Phänomen Impfschäden auszutauschen. Wie ist diesbezüglich der Stand?
Schirmacher: Es war kein Versuch, sondern wir haben uns tatsächlich über den ganzen Zeitraum mit dem Paul-Ehrlich-Institut ausgetauscht. Unsere Fälle sind alle gemeldet und meines Wissens auch vom PEI als unerwünschte Impffolgen akzeptiert und registriert; bei einzelnen Fällen wissen wir auch von laufenden und abgeschlossenen Entschädigungsverfahren. Das PEI hat unser Projekt aufgrund der Einzigartigkeit und Qualität unserer Daten offiziell als Leuchtturmprojekt bezeichnet. Die Behörde tut sicher ihr Bestes, ist aber auf die Meldungen, Dokumentation und Datenqualität von außen angewiesen. Deshalb ist es wichtig, dass die Fälle gemeldet werden. Das PEI hat nur begrenzte Ressourcen, etwa um fragliche Fälle zu klären. Es kann keine eigenständigen, weiterführenden Untersuchungen anstellen.