von Christiane Cichy, MDR-Wirtschaftsredaktion
Stand: 30. April 2022, 10:37 Uhr
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Seit nahezu elf Monaten kämpft der junge Mann um Anerkennung seines Impfschadens. Was ihn mit vielen Betroffenen eint: Kein Arzt war anfänglich bereit, seine massiven Beschwerden mit der Impfung in Zusammenhang zu bringen, obwohl diese unmittelbar nach der Impfung auftraten und er zuvor kerngesund war.
Erst in der Uniklinik Marburg, neun Monate nach seiner Impfung, bekam er endlich eine Erklärung für seine Beschwerden: Er hatte eine Autoimmunreaktion nach der Impfung erlitten. Hinzu kam eine Herzmuskelerkrankung als Folge der Impfung. Die Pumpleistung seines Herzens sei eingeschränkt.
Er sei kein Impfgegner und auch kein Coronaleugner, betont der junge Hochbauingenieur immer wieder. Doch er wolle mit seinem Fall auch für mehr Aufklärung in der Gesellschaft sorgen und auf die extrem schwierige Situation der Betroffenen aufmerksam machen.
Da er während seines Studiums ein Ehrenamt bei der Freiwilligen Feuerwehr hatte, ließ sich der 26-Jährige schon im Mai 2021 mit Biontech impfen, vor allem auch, um andere zu schützen. 20 Tage später bekam er extreme Kopfschmerzen, Schwindel, fühlte sich zunehmend schwächer. Dabei hatte er vor der Impfung aktiv Sport getrieben. Herzprobleme kannte er nicht. Nun kam er kaum noch die Treppe hoch, hatte Atemnot und starke Herzrhythmusstörungen.
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Thorben konsultierte zahlreiche Fachärzte, war sogar in verschiedenen Krankenhäusern.
Der junge Mann war so verzweifelt, dass er schließlich selbst recherchierte. Er fand vor allem englischsprachige Studien, die seine Symptome als eine Folge der Impfung beschreiben. Auf eigene Kosten ließ er deshalb eine MRT- Untersuchung des Herzens machen. Das Resultat: Sein Herz hat Funktionseinschränkungen, die die Folge einer Herzmuskelentzündung nach der Impfung seien.
Für den untersuchenden Kardiologen ist Thorben kein Einzelfall:
Einen Ärztemarathon hat auch die 15-jährige Lea hinter sich. Um sie zu schützen, möchte ihre Mutter nicht, dass der vollständige Name ihrer Tochter öffentlich wird, aber sie ist bereit, über ihre Erfahrungen zu reden. Genauso wie Thorben erlitt auch ihre Tochter nach der Impfung eine Herzmuskelentzündung: "Wir hatten vor der Impfung ein kerngesundes, lebensfrohes Kind, was mit beiden Beinen im Leben stand, top in der Schule war.
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Die Mutter gab nicht auf, bestand immer wieder auf einer MRT-Untersuchung des Herzens. Bis sie sich schließlich durchsetzte. Ihr Verdacht bestätigte sich: Lea hatte nach der Impfung eine Myokarditis, also eine Herzmuskelentzündung, erlitten. Doch bei der 15-Jährigen kamen noch Krampfanfälle dazu. Sie entwickelte eine Spastik in der linken Hand. Auch beide Beine und Füße knicken beim Stehen weg. Der körperliche Zustand des Mädchens ist derzeit so schlecht, dass sie einen Rollstuhl braucht und im Prinzip rund um die Uhr auf die Hilfe ihrer Mutter angewiesen ist. Laut Medizinischen Dienst hat Lea nun den Pflegegrad 3.
"Wir fühlen uns total allein gelassen, weil niemand etwas unternimmt. Das Schlimme ist, unsere Tochter wurde mit einem Erwachsenenimpfstoff von Biontech geimpft, die volle Dosis, zweimal. Und jetzt wird sie aber nicht wie ein Erwachsener behandelt, weil sie erst 15 ist, sagen die viele Kliniken, wir nehmen erst ab 18. Und da frage ich mich, wie kann das sein. Das ist für mich im Moment medizinisch unmöglich, eigentlich unterlassene Hilfeleistung", sagt die Mutter.
Die Erfahrung der Betroffenen, dass viele Ärzte die Symptome nach Impfung nicht ernst nehmen, bestätigt uns gegenüber auch der Hamburger Kardiologe Dr. Henning Steen:
Auch andere Ärzte und Wissenschaftlicher sehen mittlerweile dringend Handlungsbedarf. Derzeit gebe es definitiv zu wenig Anlaufstellen für Menschen mit schwerwiegenden und langhaltenden Impfnebenwirkungen, findet Prof. Harald Matthes von der Charite. Er ist Leiter der sogenannten ImpfSurv Studie an der Charite. Mehr als 39.000 Menschen wurden etwa ein Jahr lang nach der Impfung begleitet und nach ihren Symptomen befragt. Darunter seien auch Patienten mit schwerwiegenden Nebenwirkungen gewesen, die eine monatelange Odyssee hinter sich hatten, ohne dass ihnen ursächlich geholfen werden konnte. "Wir brauchen mehr spezialisierte Kliniken, die sich dieser Patienten annehmen und auch zu den Ursachen und zu Therapieansätzen forschen", so Prof. Harald Matthes.
Die Universitätsklinik Marburg gehört zu den wenigen, die nicht nur eine Spezialambulanz für Patienten mit Long Covid sondern auch für solche mit Nebenwirkungen nach der Corona-Impfung anbietet. Wer sich an die Sprechstunde der Marburger Spezialambulanz wenden möchte, erreicht diese per Mail unter post-covid-impfung.mr@uk-gm.de
Video Corona-Schutzimpfung - Prof. Harald Matthes über Impfkomplikationen
Seit Ende Dezember letzten Jahres forschen der Kardiologe Professor Bernhard Schiffer und sein Team nach den Ursachen. Sie wollen herausfinden, warum das Immunsystem bei einigen Menschen nach der Impfung quasi "falsch abbiegt". Sie bekommen bis zu 200 Anfragen am Tag.
Auf unsere Anfrage, ob es Bestrebungen gebe, nach zielgerichteten Therapien für Menschen mit Impfnebenwirkungen zu forschen, erhalten wir vom zuständigen Bundesgesundheitsministerium keine konkrete Antwort.
Video Impfkomplikationen: Warum sich Betroffene alleingelassen fühlen
Der 26-jährige Thorben hat sein Schicksal schließlich selbst in die Hand genommen. Wie andere Betroffene, ließ er sein Blut auf sogenannte Autoantikörper testen. Das sind Antikörper, die sich nicht gegen Krankheitserreger, sondern gegen den eigenen Körper richten. Diese könnten eine entscheidende Rolle bei der Erforschung der Ursachen spielen, wie die UMSCHAU schon einmal berichtete. Solche Autoantikörper werden häufig auch bei Long-Covid-Patienten festgestellt, die zum Teil unter ähnlichen Beschwerden leiden wie die Menschen mit Impfnebenwirkungen. Dazu zählen Gelenkschmerzen, Muskelkrämpfe, Taubheitsgefühle, aber auch Müdigkeit, Schwäche, Nervenschmerzen und Herzrhythmusstörungen.
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Da der Befund positiv war, unterzog sich der 26-jährige Thorben, auf Anraten seiner Ärzte, mehreren Blutwäschen. Die sollen helfen, die Autoantikörper aus seinem Blut zu entfernen. Die Kosten von mehr als 12.000 Euro musste er selbst tragen, weil die Therapie für seine Impfreaktion noch zu wenig erforscht sei. Ohne die finanzielle Unterstützung seiner Eltern, erklärt Thorben, hätte er das Geld nicht aufbringen können:
Seit der Behandlung hat sich der gesundheitliche Zustand des jungen Mannes verbessert. Seine Herzleistung hat sich nun, nach fast einem Jahr, wieder normalisiert. Er fühlt sich jedoch längst noch nicht so leistungsfähig und fit, wie vor der Impfung. Leas Mutter sucht immer noch nach einer zielgerichteten Therapie für ihre Tochter, so dass sie eines Tages endlich wieder laufen kann.
Quelle: MDR Wirtschaftsredaktion