FOCUS-Online-Autorin Karla Sophie Kröner
Montag, 21.12.2020, 20:42
Julianes Gesicht ist gezeichnet von tiefen Abdrücken der Schutzmaske, die sie täglich bis zu zehn Stunden tragen muss. Ihre Augen sind müde und die junge Frau sieht erschöpft aus. Die 23-Jährige ist Intensiv-Krankenschwester und seit einem guten Jahr mit ihrer Ausbildung fertig. Der Start in das Berufsleben hätte leichter sein können für sie. In einem sehr emotionalen Instagram-Post zeigt Juliane jetzt ihr Gesicht in einer Nahaufnahme - nach einem langen Tag auf der Station mit Striemen und Masken-Abdrücken im Gesicht.
Pandemie auf der Intensivstation: Julianes Leben besteht fast nur noch aus Arbeit Seit neun Monaten wütet die Corona-Pandemie in Deutschland. Die Situation in den Krankenhäusern ist für das medizinische Personal unglaublich kräftezehrend. Krankenschwestern, Pfleger und Ärzte kämpfen an vorderster Front gegen das Virus - und oft schwingt die Angst mit, sich trotz Schutzkleidung möglicherweise selbst zu infizieren.
Auch Juliane kennt diese Angst: "Klar macht man sich Sorgen", sagt sie im Gespräch mit FOCUS Online. Trotz der Schutzmaßnahmen wird ihr immer wieder bewusst, dass sie "direkt am Kern der Sache" ist. "Es muss nur eine Maske verrutschen und dann könnte man selbst auf der Corona-Station liegen oder Verwandte anstecken", sagt Juliane. Diese Furcht versucht die junge Krankenschwester so gut es geht auszublenden.
Julianes Leben hat sich verändert. "Durch Corona nimmt die Arbeit einen viel größeren Teil in meinem Leben ein", berichtet die Intensiv-Schwester. Freunde und Familie sieht sie so gut wie gar nicht mehr.
Auf dem Bild, das Juliane auf Instagram mit den Menschen teilt, sieht man, wie sehr die Arbeit sie in Corona-Zeiten auch körperlich mitnimmt. Tiefe Abdrücke der Masken zeichnen sich auf ihrem Gesicht ab. "Natürlich tun die Masken auch weh", sagt Juliane. "Wir wissen uns halt irgendwie zu helfen wissen und kleben uns deshalb Pflaster ins Gesicht, die eigentlich gegen Druckgeschwüre bei Patienten sind."
Und damit nicht genug: "Wenn man zwei Stunden am Stück in der Schutzkleidung steckt und dann womöglich in dieser Montur auch noch jemanden wiederbeleben muss, dann kann man einen danach durchwringen, man ist durchgeschwitzt von Scheitel bis Fuß", sagt die Intensiv-Schwester. Sie ist froh, dass es trotzdem ihr gesundheitlich halbwegs gut geht und sie die Strapazen aushalten kann.
Juliane hat sich lange überlegt, ob sie das Foto von sich und ihrem Corona-Alltag in der Klinik hochladen soll oder nicht. "Ich hatte erst Angst, das könnte so rüberkommen, als würde ich Aufmerksamkeit suchen", sagt Juliane. Doch ihre Mutter konnte sie schließlich überzeugen: "Sie hat mir gesagt, dass alle Menschen sehen sollen, wie es mir und meinen Kollegen als Krankenpfleger gerade ergeht."
Auch die alarmierende Corona-Lage hat Juliane letztendlich zu diesem Schritt bewogen: "Wenn es innerhalb von 24 Stunden fast 1000 Tote durch Covid-19 zu verzeichnen gibt, Querdenker mit Nazis Seite an Seite gegen Impfstoffe und 'Unterdrückung' demonstrieren", dann könne und wolle sie nicht schweigen, schreibt Juliane unter ihrem Post.
Ihre Erlebnisse auf der Intensivstation zeichnen die Intensiv-Schwester nicht nur körperlich. Die Geschichten und Schicksale ihrer Patienten knabbern auch an Julianes Psyche. Neben der Geschichte einer Uroma, die ihre neugeborenen Urenkel kennenlernen will, dies aber nicht darf, berichtet sie FOCUS Online von einem Fall, der sie bislang am meisten berührt hat.
Eine junge Patientin von Juliane, Anfang 30, war selbst im Gesundheitswesen tätig und hatte sich bei der Arbeit mit dem Coronavirus angesteckt. Dann lag sie selbst im Krankenhaus. Die Patientin litt besonders unter der Isolation und vermisste ihre Familie schrecklich. Doch die ließ sich etwas einfallen.
"Vor dem Fenster hat die ganze Familie ein riesiges Bild mit Straßenkreide auf den Boden vor der Klinik gemalt", berichtet Juliane. "Ich und meine Kolleginnen haben dann eine Verlängerung für den Sauerstoff gebaut und gingen mit ihr ans Fenster, so dass sie die Aktion auch sehen konnte. Sie hat unfassbar angefangen, zu weinen und war extrem gerührt. Wir hätten alle mitheulen können. Das war alles ein bisschen wie in einem Til Schweiger-Film", sagt die Intensiv-Schwester.
Doch so rührende Erlebnisse sie auch mitbekommt, auch viele traurige Situationen begleiten Julianes Arbeitsleben derzeit. Besonders ein Moment ist immer wieder schrecklich für sie: "Wenn man jemanden wiederbelebt und man schafft es nicht, gibt es immer diesen Moment, wo alle aufhören und wir wissen, die Person ist verstorben", sagt Juliane. "Dann schauen sich alle an und dieser Moment ist dann ein Trost für das Team. Aber jetzt sehen wir nur noch die Visiere und Hauben vor unseren Gesichtern, die Nähe ist einfach weg."
Als Heldin möchte Juliane trotzdem nicht bezeichnet werden, denn das sei ein missverständlicher Begriff, findet die 23-Jährige. "Helden muss man nicht bezahlen und man muss sich auch nicht bei ihnen bedanken. Sie helfen, weil sie dafür brennen." Juliane mache nur ihren Job, sagt sie. Sie wünscht sich etwas ganz anderes: "Ich will, dass die Leute einen Teil dazu beitragen, uns den Rücken freizuhalten", sagt die Intensiv-Schwester. "Kontakte vermeiden und ein bisschen Mitdenken" - das sei das Wichtigste.
Mit dem gleichen Appell beendet Juliane auch ihren Post. Sie fordert Solidarität: "Hier geht es nicht um mich, hier geht es um uns alle. Wir müssen das Ding hier irgendwie gemeinsam in den sicheren Hafen bringen, ob wir wollen oder nicht. Da spielt jeder einzelne eine gleich wichtige Rolle bei", schreibt Intensiv-Schwester Juliane. Und auch wenn sie keine Heldin sein möchte, beweist sie damit besonders "stilles" Helden-Potential.
Quelle: focus.de vom 21.12.2020