Hermannus Pfeiffer
10.03.2023, 17:45 Uhr
Auch in der Bundesrepublik spiegelte die vom Statistischen Bundesamt (Destatis) ermittelte Sterbetafel 2015/2017 eine Trendumkehr bei der Lebenserwartung. Als Grundrauschen spielen verschiedenste Faktoren eine Rolle: etwa der steigende Konsum ungesunder Lebensmittel, zunehmende Feinstaubbelastungen durch das wachsende Verkehrsaufkommen oder Wetterbelastungen infolge heißer Sommer. Negative Auswirkungen auf die Gesundheit dürfte auch die Beschleunigung des Lebens, beruflich wie privat, durch neue Medien und Effizienzsteigerungen in der Wirtschaft haben. Zudem kostet die wachsende Spaltung der Gesellschaft Lebensjahre - Arme sterben früher.
Am 9. März 2020 starben daran die ersten beiden Bundesbürger, die sich im Inland infiziert hatten: zwei Rentner aus Nordrhein-Westfalen mit zahlreichen Vorerkrankungen. Pflegeheime wurden in der Folgezeit besonders hart getroffen. "Weltweit waren sie insbesondere im ersten Jahr Hotspots für Personen mit schweren und tödlichen Verläufen", heißt es im aktuellen Pflegereport der Krankenkasse Barmer. Deren Bewohner machten in vielen Ländern die Hälfte der Todesfälle mit Covid-19 aus, auch in Deutschland. Dabei war die Entwicklung von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich. "Länder mit einer geringeren Akzeptanz der Corona-Maßnahmen hatten auch höhere Covid-Anteile in der Bevölkerung", schreiben die Autoren des Barmer-Reports. Besonders hoch war der Anteil der Erkrankten in der Vollzeitpflege in Sachsen (10,3 %), Thüringen (9,7 %) und Bayern (6,3 %).
"Die direkten Auswirkungen von Covid-19 sind dramatisch", schreibt auch die Organisation der Industriestaaten, OECD, in ihrem aktuellen Gesundheitsbericht. Aber eben auch von Staat zu Staat verschieden. Während die Anzahl der bestätigten und vermuteten Corona-Todesfälle per einer Million Einwohner von Januar 2020 bis Anfang Oktober 2021 in Ungarn oder Brasilien fast 3000 beträgt, liegen Deutschland und Schweden - trotz lange unterschiedlicher Corona-Politiken - im Mittelfeld (etwa 1500). Japan, Indonesien oder Norwegen schneiden mit etwa 500 Toten vergleichsweise gut ab.
Dabei weist die OECD darauf hin, dass die Statistiken durch Test- und Reportunterschiede verzerrt sein dürften. Das gilt ebenfalls für die "kumulierte Übersterblichkeit". Die Zahl aller Todesfälle lag nach Ausbruch der Pandemie über lange Zeit durchschnittlich 16 Prozent über der erwarteten Zahl. Was offenbar nicht allein an direkten Folgen der Pandemie lag. So war die Übersterblichkeit in einigen Ländern wie Mexiko, Polen oder den USA weit höher als die Zahl der Corona-Toten.
Als Erklärung weist das Institut für Gesundheits- und Sozialforschung in Berlin unter anderem darauf hin, dass sich manche Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Krebs aus Angst vor Corona nicht im Krankenhaus behandeln ließen. Dabei war selbst im Jahr des Ausbruchs der Pandemie Covid-19 mit rund 439.000 Todesfällen lediglich die dritthäufigste Todesursache in der EU, meldete das EU-Statistikamt Eurostat in dieser Woche. Spätfolgen der Arzt-Abneigung und eine weitere Zunahme sogenannter Zivilisationskrankheiten wie Adipositas werden von Experten ins Feld geführt, um die nach dem Abklingen der Corona-Pandemie anhaltende Übersterblichkeit zu erklären.
Im Januar 2023 lag die Zahl der Sterbefälle in Deutschland nach einer Hochrechnung von Destatis um 13 Prozent über dem mittleren Wert der Jahre 2019 bis 2022 für diesen Monat, was auch mit der saisonalen Grippewelle zu tun haben dürfte. Im Zuge des Abklingens gingen die Sterbezahlen von Woche zu Woche zurück, um in Kalenderwoche acht wieder anzusteigen. Das Forschungsnetzwerk Euromomo beobachtet eine ähnliche Entwicklung der Übersterblichkeit in fast allen europäischen Ländern. Allerdings spielt sich die Statistik dabei selbst einen Streich: Da die demographische Entwicklung dazu führt, dass es immer mehr Ältere gibt, sterben 2023 im Trend mehr Menschen als in den vier Vergleichsjahren zuvor.
Wenn man sich die individuellen Überlebensperspektiven hierzulande anschaut, gibt es laut Destatis "ganz erhebliche" Abweichungen von den Durchschnittswerten etwa nach Lebensverhältnissen und Lebensführung, Beruf und gesundheitlicher Verfassung. Das galt während des Höhepunkts der Corona-Pandemie - und dies gilt auch danach.
Quelle: ND-aktuell