Stephanie Lahrtz 13.10.2020, 06.00 Uhr
Auf Glas oder Edelstahl, aber auch glatten Kunststoffoberflächen kann das neue Coronavirus offenbar bis zu 28 Tage überleben und dabei infektiös bleiben. Das haben Wissenschafter vom Australian Center for Disease Preparedness soeben in der Fachzeitschrift "Virology Journal" dargelegt. Die Studie widerspricht damit allen vorhergehenden Untersuchungen zum Überleben von Sars-CoV-2 auf glatten Oberflächen. So galt bisher, dass der Erreger maximal fünf Tage überdauert, aber schon nach Stunden nur noch wenig infektiöses Material vorhanden ist.
Im australischen Labor überlebten die Viren abhängig von der vorhandenen Umgebungstemperatur. Bei 20 Grad und einer relativen Luftfeuchtigkeit von 50 Prozent überdauerten die Partikel fast einen Monat, bei 30 Grad immerhin noch bis zu sieben Tage. Bei 40 Grad hielten sie hingegen nur wenige Stunden auf den Oberflächen durch. Auf Baumwolle überlebten infektiöse Coronaviren generell etwas weniger lang: bis zu 14 Tage bei 20 Grad bzw. 3 Tage bei 30 Grad.
Für ihre Experimente tropften die Forscher eine Lösung mit infektiösen Sars-CoV-2 auf Glas, Edelstahl, Vinyl, Geldscheine oder Baumwollstoff. Die Proben ließen sie eine Stunde trocknen und bewahrten sie dann unterschiedlich lange unter gleichbleibenden Bedingungen auf. Zu definierten Zeitpunkten wuschen die Wissenschaftler einzelne der beträufelten Stücke ab und testeten, ob mit der Lösung Zellen infiziert werden konnten. Die Virusmenge in der Ausgangslösung entsprach laut den Forschern jener, die eine hochinfektiöse Person ausstößt.
Die Laborstudie entspricht auch insofern der realen Welt, als man sich vorstellen kann, dass ein Infizierter auf einen Touch-Screen, Geldschein, eine Bancomat-Tastatur oder Haltestange im Tram hustet oder niest. Das biologische Material trocknet dann ein und kann ohne gründliche Oberflächenreinigung lange haften bleiben. Anders als in der realen Welt wurden die Proben in der Laborstudie allerdings in völliger Dunkelheit aufbewahrt. Man weiß nämlich, dass UV-Licht die Coronaviren zersetzt.
Der Virologe Eike Steinmann von der Ruhr-Universität Bochum, dessen Team schon selber Überlebensstudien mit Sars-CoV-2 durchführte, hält die australische Analyse zwar für sauber durchgeführt. Es gebe aber keinen Grund, wegen der Ergebnisse in Panik zu verfallen. Denn erstens seien die ermittelten Virus-Überlebenszeiten ungewöhnlich hoch. Und zweitens sei im Alltag noch nie eine Übertragung von Sars-CoV-2 von einer kontaminierten Oberfläche auf eine Person nachgewiesen worden. Im Gegensatz zur Übertragung via virenhaltige Tröpfchen und Aerosole spielten solche Schmierinfektionen nach allen bisherigen Erkenntnissen keine große Rolle im derzeitigen Pandemiegeschehen, betont Steinmann. Allenfalls in Spitälern mit hochgradig ansteckenden Covid-19-Patienten könnten kontaminierte Oberflächen eine Infektionsquelle sein.
Damit es aber überhaupt zu einer Schmierinfektion kommt, muss die Person, an deren Händen nach dem Berühren einer Oberfläche Erreger kleben, diese irgendwie in Nase, Mund oder Augen bringen. Das kann zum Beispiel geschehen, wenn die Person mit den Fingern etwas isst, in der Nase bohrt oder sich die Augen reibt. Im Gegensatz zum Angehustet-Werden, gegen das man sich kaum wehren kann, lässt sich eine Schmierinfektion somit durch eine gute Händehygiene verhindern.
Quelle: NZZ vom 13.10.2020