Ein Kommentar von Joachim Müller-Jung
Verantwortlicher Redakteur für das Ressort "Wissenschaft".
25.04.2024, 07:27 Lesezeit: 2 Min.
© TU Berlin/Hermann-Rietschel-Institut
Zu den verzeihenswürdigen Begebenheiten der frühen Pandemiephase gehört auch eine gewisse Orientierungslosigkeit aufseiten der Infektiologen und Virologen. Das Virus war neu und unerforscht, klar. Überraschen musste nur, wie lange einflussreiche Stellen wie die Weltgesundheitsorganisation WHO oder die US-Seuchenbehörde CDC sich an ein Ansteckungskonzept klammerten, das von der Evidenz schnell widerlegt war: Dass sich das Virus angeblich vor allem durch Tröpfchen beim Niesen oder Husten oder durch Kontakt mit infektiösen Oberflächen (Türklinken) und nicht, wie längst klar war, durch feinste Aerosole in der Luft über weite Strecken ausbreitet, blieb noch ein halbes Jahr nach Beginn der Corona-Welle eine exklusive Überzeugung vieler Offizieller.
Dieser fatale Konservativismus, der auch historische Gründe hat, führte zu Fehlschlüssen und -entscheidungen hinsichtlich der Schutzmaßnahmen. Mindestabstand, Masken, Luftfilter - viele der damaligen Debatten um den richtigen Gesundheitsschutz waren von einem ungesunden Begriffswirrwarr und Kämpfen um die Definitionshoheit kontaminiert.
Die WHO legt nun einen "Technikbericht" vor, der das Ausmaß dieses Deutungskonflikts sehr anschaulich macht. In einem "globalen Konsultationsprozess" stellten Dutzende Experten aus der ganzen Welt fest: Neben der Tröpfcheninfektion aus nächster Nähe spielt die "Übertragung durch die Luft" (airborne transmission) für Atemwegsviren die entscheidende und für Gegenmaßnahmen die wichtigere Rolle. Vier Jahre später.
Vier Jahre, die den Nebel lichten und dennoch nicht genutzt wurden, um zu klären, was die neue infektiologische Realität nun für die Zukunft bedeutet. Welche Mindeststandards an Schutzmaßnahmen werden empfohlen, woran sollen sich die Gesundheitsbehörden orientieren? Kommt später, so die WHO.
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Zu dem Vakuum passt, was am Wochenende bekannt wurde: Die politischen Gespräche über einen UN-Pandemievertrag sind festgefahren. Und auch das gehört zu den bitteren Post-Corona-Lektionen: Schnell lernen fällt immer noch schwer. Die nächste Pandemie wird aber nicht auf das Ende unseres Aufarbeitungstraumas warten.