Politik

Worauf sich SPD und Union verständigt haben

Mehr Geld für Bildung, Digitalisierung und Familien: SPD und Union haben sich auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Die wichtigsten Punkte im Überblick

Von Katharina Schuler und Lisa Caspari

Nach einer Marathonverhandlung steht der neue Koalitionsvertrag von Union und SPD. Er hat 13 Kapitel und 177 Seiten. Besonders strittig waren in der die ganze Nacht andauernden Verhandlung bis zuletzt SPD-Forderungen in der Gesundheits- und Arbeitsmarktpolitik.

Auch um die Verteilung der Ministerien wurde lange gerungen: Die SPD bekommt das Außen-, Finanz- sowie das Arbeits- und Sozialressort, die Union ein Innenministerium, das um einen Bereich für Heimat erweitert wird. Ob es wirklich zu einer Neuauflage des Bündnisses kommt, hängt nun allerdings noch von einem Votum der rund 460.000 SPD-Mitglieder ab. Was im Einzelnen beschlossen wurde:

Europa

Das erste Kapitel des Vertrags dreht sich um Europa. Union und SPD erklären sich bereit, zusätzliche Haushaltsmittel auszugeben, um langfristig einen europäischen Investivhaushalt zu schaffen, der zu wirtschaftlicher Stabilisierung und sozialer Konvergenz beitragen soll. SPD-Chef Martin Schulz feierte dies als "Ende des Spardiktats". So soll zum Beispiel die Jugendarbeitslosigkeit in Europa bekämpft werden. Außerdem will sich die große Koalition für eine gerechtere Besteuerung von Internetunternehmen wie Google, Apple, Facebook und Amazon in Europa einsetzen.

Steuern und Finanzen

Neue Schulden will die Bundesregierung auch in den kommenden Jahren nicht machen. Trotzdem sollen Steuern gesenkt werden: Ab 2021 soll der Solidaritätszuschlag abgebaut werden. Dafür sollen in einem ersten Schritt zehn Milliarden Euro bereitgestellt werden. 90 Prozent aller bisherigen Zahler sollen dann keinen Soli mehr zahlen müssen. Anders als zunächst geplant werden im Koalitionsvertrag allerdings keine konkreten Einkommensgrenzen genannt, ab denen der Soli weiterhin zu zahlen ist. Da Geringverdiener, die kaum Steuern bezahlen, davon nicht profitieren, sollen sie bei den Sozialabgaben entlastet werden. Das war der SPD besonders wichtig.

Die Ausgaben für all die neuen Vorhaben, die sicher umgesetzt werden sollen, summieren sich auf insgesamt 45,95 Milliarden Euro.

Gesundheit

Die Gesundheitspolitik war bis zum Schluss einer der Hauptstreitpunkte. Die SPD hatte sich im Wahlkampf für eine Bürgerversicherung eingesetzt, die Union lehnt das ab. Alternativ wollte die SPD die Ärztehonorare für privat und gesetzlich Versicherte angleichen. Auch das lehnte die Union ab. Nun soll stattdessen eine Kommission eingesetzt werden, die Vorschläge für eine Reform der Arzthonorare erarbeiten soll. In einer neuen großen Koalition solle ein "modernes Vergütungssystem" geschaffen werden, "das den Versorgungsbedarf der Bevölkerung und den Stand des medizinischen Fortschritts abbildet", heißt es im Koalitionsvertrag.

Die wissenschaftliche Kommission soll ihre Vorschläge den Angaben zufolge bis Ende 2019 vorlegen. Vereinbart wurde zudem ein "Sofortprogramm", um die Leistungen und den Zugang zur Versorgung für gesetzlich Versicherte zu verbessern. Außerdem soll die medizinische Versorgung auf dem Land gestärkt werden.

Bei der Krankenversicherung wird die paritätische Finanzierung wieder eingeführt. Das heißt: Arbeitgeber und Arbeitnehmer werden sich die Beiträge zur Krankenversicherung wieder teilen, bisher gab es einen Zusatzbeitrag, der nur von den Arbeitnehmern bezahlt werden musste.

Pflege

Mit einem Sofortprogramm sollen 8.000 zusätzliche Stellen in Pflegeheimen geschaffen werden. Die Bezahlung von Alten- und Krankenpflegern soll verbessert werden, indem Tarifverträge künftig leichter für allgemeinverbindlich erklärt werden können. Außerdem soll der Mindestlohn in der Pflege in Ost und West künftig gleich hoch sein. Er beträgt im Westen derzeit 10,55 Euro. Auch das war der SPD besonders wichtig.

Rente

Union und SPD wollen das Rentenniveau – also das Verhältnis der Standardrente zum Durchschnittslohn – bis 2025 bei 48 Prozent stabilisieren. Nach bisherigen Prognosen ist mit einem Absinken allerdings ohnehin erst in den Jahren danach zu rechnen. Der Beitragssatz soll im selben Zeitraum nicht über 20 Prozent steigen.

Für Menschen mit mindestens 35 Beitragsjahren soll es eine Grundrente geben. Sie soll zehn Prozent über der Grundsicherung liegen. Auch das war SPD-Position.

Durchsetzen konnte sich die CSU mit ihrer Forderung, die Mütterrente weiter auszubauen: Frauen, die vor 1992 mindestens drei Kinder bekommen haben, sollen künftig bei der Rentenberechnung ein drittes Erziehungsjahr angerechnet bekommen. Bisher sind es zwei. Erwerbsgeminderte werden bei der Rente bessergestellt. Die gesetzliche Rentenversicherung wird für Selbständige geöffnet.

Arbeitsmarkt

Bis zuletzt stritten die Koalitionspartner über die Abschaffung von sachgrundlosen Befristungen. Deren Dauer soll nun gesetzlich auf 18 statt bisher 24 Monate begrenzt werden. Abhängig von der Unternehmensgröße solle zudem nur noch eine bestimmte Anzahl von Befristungen gestattet sein. Arbeitgeber mit mehr als 75 Beschäftigten dürften nur noch maximal 2,5 Prozent der Belegschaft sachgrundlos befristen.

Für Betriebe mit mehr als 45 Mitarbeitern soll es ein Recht auf befristete Teilzeit geben, allerdings mit Einschränkungen. Arbeitnehmer sollen finanziell entlastet werden – der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung soll um 0,3 Prozentpunkte sinken. Angestellte, die in Betrieben mit mehr als 200 Angestellten arbeiten, erhalten ein Rückkehrrecht aus Teil- in Vollzeit. In Betrieben zwischen 45 und 200 Mitarbeitern gilt das nur für einen pro 15 Beschäftigte.

Familien

Das Kindergeld wird um 25 Euro im Monat erhöht, die Kinderfreibeträge steigen entsprechend. Beides war Teil der Wahlprogramms der Union. Für besonders bedürftige Kinder wird der Kinderzuschlag erhöht. Das war eine Forderung der SPD.

Bildung

Rund elf Milliarden Euro sollen in den kommenden vier Jahren in Bildung und Forschung investiert werden. Schulen sollen eine bessere digitale Ausstattung bekommen und die Ganztagsbetreuung soll ausgebaut werden. Für Grundschulkinder soll es ab 2025 einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung geben. Damit der Bund die Länder dabei finanziell unterstützen kann, wird das bisher geltende Kooperationsverbot gelockert.

Bisher durfte der Bund Schulen nur in finanzschwachen Kommunen unterstützen, künftig soll das überall möglich sein. In Personal wird der Bund allerdings auch weiterhin nicht investieren dürfen. Die Ausgaben für Forschung sollen bis 2025 auf 3,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts steigen. Geplant ist auch eine Bafög-Reform mit einem Umfang von einer Milliarde Euro.

Wohnen und Bauen

In den kommenden vier Jahren sollen 1,5 Millionen Wohnungen zusätzlich gebaut werden. Dies soll einerseits über eine Förderung des sozialen Wohnungsbaus sowie über steuerliche Anreize für Bauherren erreicht werden. Durchgesetzt hat sich die Union mit ihrer Forderung nach einem Baukindergeld: Familien, die sich eine Immobilie kaufen, werden zehn Jahre lang mit 1.200 Euro pro Kind gefördert. Allerdings: Dies soll nur für Familien mit einem Einkommen bis 75.000 Euro gelten, wobei es pro Kind einen Freibetrag von 15.000 Euro geben soll. Dass der Zuschuss gedeckelt wird, war der SPD besonders wichtig.

Die Mietpreisbremse, ein Herzensprojekt der SPD, soll verbessert werden. Vermieter müssten demnach künftig die Vormiete einer Wohnung offenlegen, damit nachvollziehbar ist, ob die Mietsteigerung bei einer Neuvermietung nicht zu hoch ausfällt. Bei Modernisierungen soll der Eigentümer künftig nur noch acht statt elf Prozent der Kosten auf den Mieter umlegen dürfen. Sicherheit Die Sicherheitsbehörden sollen aufgestockt werden. Union und SPD planen mit 15.000 zusätzlichen Stellen (jeweils 7.500 im Bund und 7.500 in den Ländern). Die Befugnisse der Bundespolizei sollen gestärkt werden. Außerdem sollen 6.000 neue Stellen in der Justiz geschaffen werden. Mehr Personal, das war beiden Parteien besonders wichtig.

Die Videoüberwachung auf öffentlichen Plätzen soll "verhältnismäßig" ausgebaut werden. Das gemeinsame Terrorabwehrzentrum soll gestärkt werden, ebenso das Bundesamt für Verfassungsschutz. Insgesamt wollen die Koalitionäre die IT-Strukturen und den Austausch von Daten zwischen den Bundesländern und auch europaweit verbessern.

Auch die in der vergangenen Legislaturperiode zwischen den Koalitionspartnern umstrittene Musterfeststellungsklage soll kommen. Mit ihr sollen Verbraucher in einer Art Sammelklage prüfen können, ob sie einen Rechtsanspruch auf etwas haben. Anders als bisher geplant soll die Klagebefugnis auf "festgelegte qualifizierte Einrichtungen" beschränkt werden. Migration Künftig soll die Zahl der jährlich neu nach Deutschland kommenden Flüchtlinge und ihrer Familienangehörigen auf 220.000 begrenzt werden. Die CSU sieht damit die von ihr geforderte Obergrenze umgesetzt, die SPD weist darauf hin, dass das individuelle Recht auf Asyl dadurch nicht infrage gestellt wird. Niemand werde abgewiesen, weil er der 220.001. ist. Deswegen handele es sich nicht um eine Obergrenze. Der Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte, also zum Beispiel Bürgerkriegsflüchtlinge, soll auf maximal 1.000 pro Monat begrenzt werden. Härtefälle können wie bisher zusätzlich berücksichtigt werden, allerdings konnte die SPD ihre Forderung nach "weitergehenden Härtefallregeln" nicht durchsetzen.

Außerdem wollen Union und SPD mit einem Einwanderungsgesetz den Zuzug von qualifizierten ausländischen Fachkräften fördern. Dieser soll sich orientieren am "Bedarf unserer Volkswirtschaft, Qualifikation, Alter, Sprache sowie Nachweis eines konkreten Arbeitsplatzes". Zu diesem Zweck sollen bestehende Regelungen zusammengefasst und, wo nötig, verbessert werden. In Bezirken mit hoher Arbeitslosigkeit sollen Landesregierungen an der Vorrangprüfung festhalten dürfen, wonach ein gleich qualifizierter deutscher Bewerber ein Vorgriffsrecht auf den offenen Arbeitsplatz hat. Digitales Künftig soll es überall schnelles Internet geben. Bis 2025 versprechen Union und SPD den flächendeckenden Ausbau mit Gigabit-Netzen. Ab dann soll es auch einen Rechtsanspruch auf schnelles Internet geben. Finanziert werden soll das über die Vergabe von UMTS- und 5G-Lizenzen. In allen Einrichtungen des Bundes und in Zügen und Bahnhöfen soll es kostenfreies WLAN geben. Auch die Verwaltung soll digitalisiert werden. Ab 2022 wird es demnach möglich sein, mit allen Ämtern online zu kommunizieren. Mit Zuschüssen für digitale Weiterbildung soll der Wandel in der Arbeitswelt abgefedert werden. Energie und Klima Die deutschen Klimaziele für 2020 haben Union und SPD aufgegeben. Um wenigstens die Ziele für 2030 einzuhalten, soll gesetzlich festgeschrieben werden, wie viel CO2 die unterschiedlichen Wirtschaftssektoren in den kommenden Jahren einsparen müssen. Der Anteil der erneuerbaren Energien soll bis 2030 auf 65 Prozent steigen. Der Ausstieg aus der Braunkohle soll mit einem 1,5 Milliarden schweren Fonds unterstützt werden, um den Strukturwandel in den betroffenen Regionen abzufedern.

Verteidigung und Entwicklungshilfe

Union und SPD haben sich darauf geeinigt, sowohl für Verteidigung als auch für Entwicklungshilfe mehr Geld auszugeben. Von 2018 bis 2021 sollen zusätzliche Haushaltsspielräume dazu genutzt werden, Verteidigungs- und Entwicklungshilfeausgaben zu erhöhen, und zwar im Verhältnis 1:1. So konnte offenbar die Zustimmung der SPD erreicht werden, weil Martin Schulz im Wahlkampf sich immer dagegen ausgesprochen hatte, den Verteidigungsetat zu erhöhen.

Das von der Union im Wahlkampf geforderte Ziel, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukt bis 2024 für Verteidigung auszugeben, wird im Koalitionsvertrag nicht erwähnt. Deutschland liegt trotz steigender Verteidigungsausgaben bei nur 1,2 Prozent. Waffenlieferungen an Staaten, die am Jemen-Krieg beteiligt sind, sollen gestoppt werden. Für bestehende Aufträge solle es jedoch "Vertrauensschutz" geben.


© infos-sachsen / letzte Änderung: - 21.06.2023 - 18:50