FOCUS-online-Korrespondent Ulrich Reitz
Montag, 27.02.2023, 16:18
Es gibt nun zwei Enthüllungen, und die offenbaren dies: Im vertraulichen Gespräch drängt der Bundeskanzler den ukrainischen Präsidenten, mit Wladimir Putin zu verhandeln. Und deutsche Kampfpanzer hätte er von sich aus auch nicht geliefert, dazu bedurfte es der Hilfe der Amerikaner. Rückhaltlose Hilfe für die Ukraine sieht jedenfalls anders aus.
Die eine Enthüllung stammt vom Sicherheitsberater des US-Präsidenten Joe Biden. Jake Sullivan sagte im US-Fernsehen, die Deutschen seien nur bereit gewesen, Leopard-Panzer an die Ukraine zu liefern, falls die Amerikaner Abrams-Panzer lieferten. Biden habe dem schließlich zugestimmt - gegen den Rat seiner Militärs.
Diese Version findet die Bundesregierung - nun ja: suboptimal. Kunststück - sie untermauert die These, dass Olaf Scholz, anders als behauptet, nicht entschlossen führt, sondern sich vor allem entschlossen hinter dem Rücken der Amerikaner versteckt. Damit nicht genug: Die Bundesregierung hatte klar bestritten, dass es ein solches Junktim je gegeben habe. Denn es nährt den Verdacht, dass der Bundeskanzler den Amerikanern nicht vertraut, im Fall einer russischen "Eskalation" auf deutsches Gebiet sein Nato-Beistandsversprechen einzulösen. Deshalb trat nun ein Regierungssprecher in Aktion.
Wolfgang Büchner hat allerdings die Sullivan-Versionen nicht rundheraus dementiert, sondern sie in Watte gepackt. So etwas ist üblich, wenn eine Regierung sich selbst schützen will, ohne einen Verbündeten zu verletzen. Das klingt dann so: "Das waren gute, konstruktive Gespräche, bei denen man immer von beiden Seiten darauf geachtet hat, dass man zu einem gemeinsamen Vorgehen kommt." Die Entscheidung sei einvernehmlich gewesen zwischen Washington und Berlin.
Ja - was denn auch sonst? Dass am Ende eine solche Entscheidung einvernehmlich fällt, sagt nicht darüber aus, was am Anfang passierte. Und anfangs hat Scholz sich beharrlich geweigert, Leoparden in die Ukraine zu schicken, so wie er sich auch schon vorher weigerte, Marder-Schützenpanzer zu schicken. Es brauchte immer den Anstoß von außen.
Darüber berichtete die New York Times schon Ende Januar: Biden habe damit Scholz politisch Flankenschutz geben wollen. Es gibt mehrere weitere, solide Quellen dafür. Auf dem Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos traf sich der Kanzler mit amerikanischen Senatoren. Und die bestätigten hinterher das Junktim, von dem heute Scholz nichts mehr wissen will.
Nach seinem Gespräch mit Scholz sagte Chris Coons, der demokratische Senator aus Bidens Heimatstadt Delaware, dies: "Wenn es nötig ist, einige Abrams-Panzer zu liefern, um damit den Weg für Leopard-Panzer aus Deutschland, Polen und von anderen Verbündeten freizumachen, bin ich dafür." Wenn - dann: ein klassisches Junktim.
Nun ist Sullivan, der von dem Junktim sprach, im permanenten Kontakt mit seinem ukrainischen Kollegen Yermak, Selenskyj Amtschef. Selenskyj war also, davon kann man ausgehen, über den Deal - deutsche Leos gibt es nur, wenn auch US-Abrams kommen - informiert. Selenskyj traf sich kurz nach dem WEF mit dem republikanischen Senator Lindsey Graham, und der twitterte hernach: "An die Biden-Regierung: Schickt amerikanische Panzer, sodass andere eurem Beispiel folgen."
Und Grahams demokratischer Kollege Richard Blumenthal sagte dies: "Wir sollten die Abrams liefern, dann werden die Deutschen auch Leopard-Panzer hergeben, um den russischen Angriff zu stoppen." Biden machte dann demonstrativ den Weg für die Abrams frei, um als Anführer der West-Alliierten ein wuchtiges Signal für Selenskyj und gegen Putin zu senden.
Allerdings: Die Leoparden werden von jetzt an geliefert, die Abrams kommen frühestens erst Ende des Jahres an, wahrscheinlich erst im nächsten Jahr. Die US-Regierung begründet die Verzögerung damit, dass keine Abrams aus dem Bestand der eigenen Armee gesendet werden sollen.
Denn die verfügen über eine besondere Panzerung, deren Formel streng geheim ist - und auch bleiben soll. Die Abrams, die in die Ukraine geschickt werden sollen, werden eine andere Panzerung haben. Fraglich ist, ob die Abrams dann überhaupt noch gebraucht werden. Hier kommt die zweite Enthüllung ins Spiel, sie stammt aus dem Wall Street Journal. Demnach haben Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bei einem gemeinsamen Treffen in Paris Selenskyj zu Verhandlungen mit Russland gedrängt.
Laut dem US-Blatt sind Macrons Spitzenbeamte der Meinung, die Ukraine habe keine Chance, die Krim von den Russen zu befreien, und auch eine vollständige Befreiung des Donbass sei so gut wie unmöglich. Der Ukraine würden jetzt noch einmal westliche Waffen geliefert, aber bis zum Herbst müsse sie gezeigt haben, dass sie zu substanziellen Eroberungen in der Lage sei. Sonst solle verhandelt werden, was Putin aber bisher ebenso ausschließt wie Selenskyj.
Jedenfalls: Bis zum Herbst werden zwar Leopard-Panzer, aber keine Abrams-Panzer in der Ukraine sein. Was auch das Versprechen von Biden in ein fahles Licht rückt, der gesagt hatte, die USA würden der Ukraine immer helfen und liefern "whatever it takes, as long as it takes".
In diesem Zusammenhang ist eine britische Initiative wichtig. Der britische Premier Rishi Sunak schlägt vor, mittelfristig die Ukraine mit westlichen Waffen auszustatten, damit das Land, selbst wenn es militärisch neutral bleibt, Russland nach einem Friedensschluss glaubwürdig abschrecken kann. Scholz und Macron trügen den britischen Plan mit, über den im Juli von der Nato entschieden werden solle.
Eins jedenfalls ist damit auch klar: Die Behauptung, es werde gar nicht verhandelt, oder die Forderung, es müsse endlich der Diplomatie eine Chance gegeben werden, ist falsch. Es wird verhandelt, und zwar intensiv. Scholz und Macron reden mal mit Putin, mal mit Selenskyj. Biden verhandelt mit Selenskyj, und auch eine Etage tiefer, auf Ministerebene, gibt es intensive amerikanisch-ukrainische Konsultationen.
Fazit: Was der Westen will, wird allmählich klarer. Der Ukraine wird, entgegen den öffentlichen Treue- und Durchhalteparolen, signalisiert, dass die militärische Hilfe zeitlich limitiert ist. Von Selenskyj wird erwartet, dass er sich vom Kriegspräsidenten zum Friedenspräsidenten entwickelt, oder wie ihm Macron gesagt haben soll - zum "Staatsmann". Alles, was die Russen besetzt haben zu befreien, halten immer mehr Alliierte im Westen für illusionär. Die Ukraine soll zwar später moderne West-Waffen bekommen, aber nicht Nato-Mitglied werden können.
Es läuft also nicht schlecht für Putin.