Stand: 19.09.2023, 16:50 Uhr | Lesedauer: 5 Minuten
Von Nicolas Walter
Quelle: Martin U. K. Lengemann/WELT
Eine Spurensuche.
Vogelgezwitscher, Blätterrascheln, ansonsten Stille. Einmal pro Stunde das Motorgeräusch eines Busses. Junge Männer steigen ein, eine Familie mit Kinderwagen klettert raus. Der Bus fährt ab, die Familie läuft zu ihrer Unterkunft mit der Adresse am Fuchsbau 10. Ausgerechnet von diesem ruhigen Ort geht eine politische Diskussion aus, die die Bürger der Region beschäftigt.
Es ist eine schwierige Konstellation, die sich am Fuchsbau anbahnt. Die Asylunterkunft in der brandenburgischen Gemeinde Bad Saarow, genauer gesagt im Ortsteil Petersdorf, bietet rund 300 Migranten Platz. Knapp 180 Menschen aus 17 Nationen sind dort derzeit untergebracht. Und es gibt Pläne, die Unterkunft um bis zu weitere 250 Plätze zu erweitern - wie Frank Steffen (SPD), Landrat des zuständigen Landkreises Oder-Spree WELT bestätigt. Damit würden in dem etwa 460 Einwohner zählenden Petersdorf bei voller Auslastung mehr Migranten als Einheimische leben.
Eine Konstellation, die angesichts steigender Migrationszahlen bald auch anderen kleineren Gemeinden und Kommunen in Deutschland bevorstehen könnte. Doch kann das überhaupt funktionieren?
Die Unterkunft am Fuchsbau liegt abgeschieden: Rund 900 Meter sind es von der Landstraße, die die beiden brandenburgischen Orte Bad Saarow und Fürstenwalde miteinander verbindet, bis zu dem ehemaligen Kasernengelände mitten im Wald. Die Buslinie 414 wurde eigens für das Asylheim um die Haltestelle am Fuchsbau erweitert.
Negative Erfahrungen habe er mit den Migranten bisher nicht gemacht, erzählt Rafael, der seinen Nachnamen nicht nennen möchte. Er kam nach eigenen Worten 1985 aus Polen nach Bad Saarow und arbeitet dort seitdem als Busfahrer.
Quelle: picture alliance/dpa/Bernd Settnik
Quelle: Martin U. K. Lengemann/WELT
Er sagt, trotzdem herrsche bei den Fahrern Sorge, dass es zu Zwischenfällen kommen könne.
"Wir hatten anfangs befürchtet, dass es Probleme geben könnte, aber es ist alles ruhig geblieben", berichtet ein Mitarbeiter der benachbarten Sommerrodelbahn von den Anfängen der Asylunterkunft. Die Migranten verhielten sich unauffällig. "Essen, trinken und ihren Spaß haben", ergänzt eine Kollegin. Von der neuen Bushaltestelle habe auch ihr Betrieb profitiert.
Von der geplanten Erweiterung des Heims wussten die beiden dagegen bisher noch nichts. Die Frau zieht die Augenbrauen nach oben, der Blick des Mannes wird skeptisch. "Solange alles normal bleibt, wäre eine Erweiterung in Ordnung. Aber es kann uns schließlich keiner garantieren, dass das so bleiben wird", sagt er. Ihre Namen wollen die beiden nicht der Öffentlichkeit preisgeben.
Lesen Sie auch
Migrationskrise
Deutschland am Limit
So starke Berührungspunkte mit den Migranten, wie es die Sommerrodelbahn hat, gibt es bei den umliegenden Gewerbetreibenden nicht. "Man lebt im Grunde nebeneinander her", sagt eine ältere Frau, die auf dem Schotterparkplatz vor dem Heim auf dem Weg zu ihrem Auto ist. Negatives hätten sie und ihre Kolleginnen zumindest bisher nicht erlebt. Das bestätigt auch eine Gruppe Mitarbeiter einer Bildungseinrichtung, die gerade Mittagspause macht und es sich vor dem Gebäude in der Sonne gemütlich gemacht hat.
Auch wenn sich die Menschen rund um den Fuchsbau positiv oder neutral über die Migranten äußern, stehen sie einer Erweiterung des Heims kritisch gegenüber. Woran liegt das?
Neben generellen Ängsten vor künftigen Problemen spielen dabei vermutlich auch Nachrichten von Radikalisierungsentwicklungen eine Rolle. Erst Mitte Juli stufte etwa der Brandenburger Verfassungsschutz den Verein Islamisches Zentrum Fürstenwalde als gesichert extremistisch ein. Petersdorf liegt, obwohl zu Bad Saarow gehörend, näher an Fürstenwalde. Der Verein sei der als Terrororganisation gelisteten Hamas sowie der Muslimbruderschaft zuzuordnen, hieß es in der Begründung des Verfassungsschutzes.
Quelle: Martin U. K. Lengemann/WELT
Fragt man Menschen rund um die vom Verein betriebene Al-Salam-Moschee, sagen viele, dass sie sich keine Sorgen wegen der Extremismus-Einstufung machten. Und doch sind vereinzelt Stimmen zu hören, die Verbindungen zwischen der Moschee und den Migranten in der Region ziehen. Ein Rentner, der im Auto gerade auf seine Frau wartet, sagt: "Muslimische Migranten sind eben oft sehr gläubig, und das ist auch vollkommen okay. Die Frage ist dann aber, ob Flüchtlingsheime und extremistische Moscheen geografisch so gut zusammenpassen."
Landrat Steffen macht deutlich, dass derartige Entscheidungen auf höherer Ebene getroffen werden müssten.
Lesen Sie auch
Migration
77 Prozent Asylanträge mehr als 2022 - rasanter Anstieg beschleunigt sich
Ein junger Mann, der gerade aus den Räumen einer Gartenbaufirma kommt, sagt: "Ich wollte auch nicht in einem Land leben, in dem Krieg herrscht. Aber es gibt so viele andere freie Gebäude. Stattdessen werden Gewerbetreibende rausgetrieben, das ist der falsche Ansatz. Klar macht man sich da Sorgen um die eigene Zukunft."
Landrat Steffen kann die Sorgen der Bürger verstehen, sagt aber auch, es sei nicht möglich, dass "Migranten überall mit offenen Armen empfangen werden". Er setze sich mit seinen Kollegen für die bestmögliche Lösung ein. Noch stecken die Erweiterungspläne der Unterkunft am Fuchsbau in den Anfängen, wie Steffen betont. Auffällig ist jedoch schon jetzt, wie groß die Befürchtungen bei Kommunalpolitikern der Region zu sein scheinen, öffentlich etwas Falsches zu sagen und Ängste in der Bevölkerung zu schüren.
Axel Hylla (Linke), Bürgermeister von Bad Saarow, möchte sich mit Verweis auf das frühe Stadium der Ausbaupläne nicht äußern. Fürstenwaldes Bürgermeister Matthias Rudolph von der Wählervereinigung Bündnis zeigt sich grundsätzlich gesprächsbereit - teilt jedoch mit, mindestens eine Woche Vorbereitungszeit zu benötigen. Die Leitung der Unterkunft selbst sowie das zuständige Amt für Ausländerangelegenheiten in Beeskow melden sich auf mehrfache WELT-Anfragen nicht zurück.
Petersdorfs Ortsvorsteher Thomas Schoppe (Freie Wählergemeinschaft Scharmützelsee) wunderte sich kürzlich in der "Märkischen Oderzeitung", dass der Ortsbeirat über die Planungen nicht informiert wurde. Um auf die Sorgen der Bürger in der Region einzugehen, bräuchte es möglicherweise jedoch genau das - eine offene Kommunikation.