Veröffentlicht am 19.10.2021 | Lesedauer: 4 Minuten
Von Marcel Leubecher
Politikredakteur
SPD, Grüne und FDP starten ihre Koalitionsverhandlungen am Donnerstag - und wenn sie die nächste Regierung bilden, steht schon jetzt fest: mehr Zuwanderung und schnellere Einbürgerung. WELT gibt den Überblick:
Im gemeinsamen Sondierungspapier, dessen Inhalte in den Koalitionsverhandlungen konkretisiert werden, bekennen sich die drei Parteien zum Ausbau sogenannter Spurwechsel für abgelehnte Asylbewerber in den Arbeitsmarkt - und damit zu legalem Daueraufenthalt. Im Papier heißt es dazu: "Wir wollen einen Spurwechsel ermöglichen und die Integrationsmöglichkeiten verbessern." Wer für den "eigenen Lebensunterhalt sorgen" könne, solle "schneller einen rechtssicheren Aufenthaltsstatus erhalten".
Wie viel schneller dies geschehen soll, wird sich zeigen. Jedenfalls erwecken die Parteien den Eindruck, dass es sich bei den "Spurwechseln" um eine Neuigkeit handele und abgelehnte Asylbewerber mit Job bisher meist abgeschoben würden oder ewig im Duldungsstatus blieben. Tatsächlich wurden die "Spurwechsel" schon mehrfach ausgeweitet. Erstmals gesetzlich geregelt wurden die "Spurwechsel" 2005. Seither können die Ausländerbehörden abgelehnten Asylbewerbern nach 18 Monaten Duldung eine Aufenthaltserlaubnis erteilen.
Doch nach diesem bisher geltenden Gesetz "soll" die Aufenthaltserlaubnis bei guter Integration erteilt werden, wenn eine Abschiebung bereits für 18 Monate ausgesetzt ist und "mit einem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist". Diese "Soll"-Vorschrift war SPD und Grünen bald zu schwach, sie forderten einen einklagbaren Rechtsanspruch.
Diesen schuf Schwarz-Rot 2015 mit dem Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts. Dadurch bekommen kinderlose Geduldete acht und Familien sechs Jahre nach Einreise eine Aufenthaltserlaubnis, wenn sie nicht verurteilt wurden und ihr "Lebensunterhalt überwiegend durch Erwerbstätigkeit gesichert" ist. Unter 21-Jährige können schon nach vier Jahren einen Rechtsanspruch erhalten, etwa wenn sie eine Schule abschließen.
Spätestens nach vier, sechs oder acht Jahren besteht also schon der Rechtsanspruch auf einen "Spurwechsel". Doch auch für die Zeit davor wurde 2016 mit dem Integrationsgesetz die Chance zum Aufbau einer beruflichen Existenz für Geduldete erweitert. Ausreisepflichtige, die während ihres Asylverfahrens eine Ausbildung begonnen haben, dürfen ihre Lehre beenden. Anschließend besteht der Rechtsanspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis für zwei Jahre, um im erlernten Beruf zu arbeiten. Die Ampel-Verhandler wollen jetzt mehr.
Die drei Parteien wollen zudem darauf hinwirken, dass wieder staatliche Schiffe unter dem Dach einer EU-Mission Bootsmigranten im Mittelmeer aufgreifen und nach Italien bringen. Diese Missionen waren 2017 auf Druck Italiens heruntergefahren worden, damit sich weniger Migranten in seeuntauglichen Booten auf das Meer begeben. Die illegale Migration und die tödlichen Seeunglücke nahmen in der Folge deutlich ab.
Im rot-grün-gelben Sondierungspapier heißt es dazu nur vage, man wolle "mit den europäischen Partnern Anstrengungen unternehmen, das Sterben auf dem Mittelmeer" zu beenden. In den Wahlprogrammen der Parteien steht es explizit, etwa bei der FDP: "Frontex sollte auch die Seenotrettung übernehmen, um endlich das grausame Sterben auf dem Mittelmeer zu beenden. Hierbei handelt es sich um eine staatliche Aufgabe."
Laut Sondierungspapier will die Ampel auch "ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht schaffen". Konkreter heißt es im SPD-Wahlprogramm: "Unsere Gesellschaft des Respekts braucht ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht. Nachdem wir bereits dafür gesorgt haben, dass grundsätzlich alle in Deutschland geborenen Kinder mit der Geburt auch deutsche Staatsbürger*innen sind, werden wir auch die generelle Möglichkeit von Mehrstaatigkeit gesetzlich verankern. Wir wollen bestehende Hürden bei Einbürgerungen abschaffen und hierfür auch die geltende Regelaufenthaltsdauer von bisher acht Jahren verkürzen."
Zwar hat die SPD, anders als sie es schreibt, noch nicht dafür gesorgt, dass "grundsätzlich alle in Deutschland geborenen Kinder" deutsche Staatsbürger sind. Wenn ein amerikanisches Paar auf Deutschlandurlaub von einer Niederkunft überrascht wird, ist das Kind genauso wenig deutsch, wie wenn frisch zugewanderte Syrer hier ein Kind bekommen.
Allerdings hat die SPD in der rot-grünen Regierungszeit mit der großen Reform des Staatsbürgerschaftsrechts 2000 bewirkt, dass hier geborene Kinder von zwei Ausländern den deutschen Pass erhalten, falls ein Elternteil schon acht Jahre legal im Land lebt. Damals wurde das traditionelle Abstammungsprinzip um das in den angelsächsischen Ländern und Frankreich gebräuchliche Geburtsortprinzip erweitert. In der Reform wurde auch die Mindestaufenthaltsdauer für eine Einbürgerung von 15 Jahren auf in der Regel acht Jahre verkürzt.
Diese im internationalen Vergleich eher schnelle Vergabe der Staatsangehörigkeit ist SPD, Grünen und FDP zu streng. Das Grünen-Parteiprogramm plant "einen erleichterten Rechtsanspruch auf Einbürgerung" für alle "Menschen, die in Deutschland ihren Lebensmittelpunkt haben", und eine "Ausweitung des Geburtsrechts". So soll "die deutsche Staatsangehörigkeit durch Geburt im Inland erworben werden können, wenn ein Elternteil rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat". Die FDP fordert "einen vereinfachten Zugang zur deutschen Staatsangehörigkeit nach insgesamt vier Jahren".
Schon heute kann die Frist für einen Rechtsanspruch auf Einbürgerung nach bestandenem Integrationskurs auf sieben Jahre verkürzt werden, bei besonderem Engagement auf sechs. Neben diesen Anspruchseinbürgerungen sind sogenannte Ermessenseinbürgerungen für besondere Gruppen schon ab drei Jahren Aufenthaltsdauer möglich.
Laut Sondierungspapier wollen die drei Parteien auch "die Verfahren zur Familienzusammenführung" beschleunigen. SPD und Grüne fordern in ihren Programmen, die Regeln für den privilegierten Familiennachzug zu Flüchtlingen auf alle subsidiär Schutzberechtigten auszudehnen und den Geschwisternachzug zu unbegleiteten Minderjährigen auszuweiten.
Quelle: welt.de