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Zahl der wegen "Dienstunfähigkeit" frühpensionierten Beamten steigt weiter

Von Ricarda Breyton
Politikredakteurin

Stand: 09.08.2020

Nachdem die hohe Zahl der Frühpensionierungen mit staatlichen Maßnahmen gesenkt werden konnte, nimmt sie nun wieder deutlich zu. Die Entwicklung wirft ein Schlaglicht auf ein Thema, das in den letzten Jahren in den Hintergrund gerückt war.

Das Ziel der Bundesregierung war klar: Die Zahl der Bundesbeamten, die wegen Dienstunfähigkeit vorzeitig in Pension gehen, muss weiter abnehmen. Im Mai 2016 verschickte das Bundesinnenministerium deswegen ein Rundschreiben an alle obersten Bundesbehörden.

Der Beamtenbund sieht "Überalterung und steigende Arbeitsbelastung" als Grund für die Frühpensionierung von Beamten

7,2 Prozent aller Beamten, Richter und Soldaten, die 2014 in Pension gingen, seien wegen Dienstunfähigkeit in Pension gegangen, heißt es darin. Ziel der Bundesregierung sei es, "diese Versorgungszugänge in der Bundesverwaltung zu reduzieren" - etwa durch Rehabilitationsmaßnahmen.

Inzwischen ist man von diesem Ziel weiter entfernt als zuvor. Die Zahl der Pensionierungen wegen Dienstunfähigkeit "im unmittelbaren Bundesbereich" sank nicht, sie stieg: Von den rund sieben Prozent im Jahr 2014 auf rund elf Prozent im Jahr 2015 und rund zwölf Prozent im Jahr 2017.

Auch im Jahr 2018 lag die Quote auf diesem Niveau. So steht es im siebten Versorgungsbericht der Bundesregierung, der im Frühjahr veröffentlicht wurde. Die Entwicklung wirft ein Schlaglicht auf ein Thema, das in den letzten Jahren in den Hintergrund gerückt war. In den 90ern und frühen 2000ern wurde heftig über die hohe Zahl von Frühpensionierungen bei Beamten diskutiert.

Bund und Länder ergriffen Maßnahmen, um die Quote deutlich zu reduzieren: Abschläge wurden eingeführt für jedes Jahr, das ein Beamter wegen Dienstunfähigkeit früher in Pension ging, außerdem Rehabilitationsmaßnahmen gestärkt.

Dramatischer Personalmangel im öffentlichen Dienst Der Deutsche Beamtenbund warnt vor einem dramatischen Fachkräftemangel im öffentlichen Dienst. "Wir steuern auf einen Systemkollaps zu, wenn nicht schnell gegengesteuert wird", warnt Ulrich Silberbach.
Quelle: WELT/ Christoph Hipp

Die Quote von rund sieben Prozent im Jahr 2014 ist ein Erfolg dieser Maßnahmen; auch in den Ländern wurde die Zahl der Frühpensionierungen deutlich gesenkt. Nun aber steigt sie in einigen Bereichen wieder an. Warum?

Ein Blick in die Statistik zeigt, wen es betrifft: Das Durchschnittsalter der Bundesbeamten beträgt knapp 54 Jahre, wenn sie wegen Dienstunfähigkeit in Ruhestand gehen. Beamte und Richter sind häufiger als Soldaten von Frühpensionierungen betroffen.

"Die beiden Hauptgründe sind sicher die Überalterung und die steigende Arbeitsbelastung im öffentlichen Dienst", sagt Ulrich Silberbach, Bundesvorsitzender des Deutschen Beamtenbundes dbb, der als Gewerkschaftsdachverband rund 1,3 Millionen Mitglieder vertritt.

Beim Bund sei inzwischen rund ein Drittel der Beschäftigten 55 Jahre oder älter. Das habe Auswirkungen auf die gesundheitliche Gesamtsituation. Außerdem nähmen Belastung und Stress seit Jahren zu.

"Immer weniger Beschäftigte müssen immer mehr Aufgaben erfüllen", sagt Silberbach. "Nicht erst seit der Migrations- oder der Corona-Krise geht der öffentliche Dienst auf dem Zahnfleisch."

Ärzte, die mit der Begutachtung von Beamten betraut sind, berichten von Polizisten oder Feuerwehrbeamten, die nach Jahrzehnten im Dienst psychisch aber auch physisch ausgebrannt seien. Eine Dienstunfähigkeit sei nicht vorgeschoben, sondern tatsächlich der Fall. Vorruhestand für missliebige Kollegen?

Es ist ein Problem, das auch Gisela Färber von der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer kennt. Die Finanzwissenschaftlerin verweist allerdings auch auf andere Faktoren.

"Für manche Behörden war es eine Zeit lang einfacher, missliebige Kollegen wegen Dienstunfähigkeit in den Vorruhestand zu versetzen, als die dahinter liegenden Probleme anzugehen", sagt sie.

Inzwischen sei zwar eine Menge getan worden; so werde etwa häufiger als früher nach einer anderen Verwendungsstelle gesucht. "Insgesamt ist die Zahl der Frühpensionierungen aber immer noch deutlich zu hoch", sagt Färber.

Durch Frühpensionierung gehen Fachkräfte verloren

Sie belasteten den Staat in mehrfacher Hinsicht: "Der durchschnittliche Beamte, der wegen Dienstunfähigkeit in Frühpension geht, kostet den Staat doppelt so viel wie ein Beamter, der bis zur Regelaltersgrenze arbeitet." Außerdem gingen durch die Frühpensionierungen dringend benötigte Fachkräfte verloren.

Färber fordert mehr Engagement der Behörden, um die Beamten im Dienst zu halten. "Es muss die ganze Palette dessen ausgeschöpft werden, was gutes Personalmanagement ausmacht. Es gibt im öffentlichen Dienst außerdem bislang nur wenige Beförderungsmöglichkeiten." Dies könne demotivierend sein.

Auf Anfrage kommentiert das Bundesinnenministerium die gestiegene Zahl der Frühpensionierungen zunächst zurückhaltend. Die Anzahl der Ruhestandseintritte aufgrund von Dienstunfähigkeit bewege sich "innerhalb einer gewissen Schwankungsbreite, die von unterschiedlichen Faktoren beeinflusst werde", sagt eine Sprecherin.

Ein Teil des Anstiegs sei auf eine Umstellung eines Abrechnungssystem zurückzuführen. Die Bundesregierung habe zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um durch gesunde Arbeitsbedingungen "die Leistungsfähigkeit der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes zu erhalten".

Ob das ausreicht, will der Bundesrechnungshof demnächst unter die Lupe nehmen. Auf Anfrage dieser Zeitung verweist eine Sprecherin auf das Rundschreiben des Innenministeriums aus 2016.

Man beabsichtige eine Prüfung zu der Frage, "ob die in dem Rundschreiben angesprochenen Maßnahmen hinreichende Wirkung entfalten oder ob weiteres Handeln erforderlich ist".


Quelle: welt.de vom 09.08.2020