Weltwährungsfonds Diese fünf Risiken bedrohen die Entwicklung der Weltwirtschaft


Jan Hildebrand,


Annett Meiritz,


Julian Olk

16.04.2024 - 15:03 Uhr

Der IWF hebt seine Prognose für das globale Wachstum leicht an. Dennoch droht eine lange, weltweite Schwächephase. Die Risiken nehmen zu. Besonders Deutschland bereitet Sorgen.

Hafen im ostchinesischen Qingdao: Die chinesische Wirtschaft ist eines der größten Risiken für die Weltwirtschaft.
Foto: Li Ziheng/Xinhua/dpa

Berlin, Washington. Eigentlich könnte die Chefin des Internationalen Währungsfons (IWF), Kristina Georgiewa, erleichtert sein. Sie hat pünktlich zur IWF-Frühjahrstagung am Dienstag die Prognose für das globale Wachstum leicht anheben können. Nach Einschätzung des IWF wird die Weltwirtschaft in diesem Jahr 3,2 Prozent wachsen - immerhin 0,3 Prozentpunkte mehr als noch im Herbst erwartet.

"Wir haben eine globale Rezession vermieden und auch eine Phase der Stagflation", lautet Georgiewas Botschaft beim IWF-Treffen, zu dem in dieser Woche zahlreiche Finanzminister und Notenbankchefs nach Washington reisen. Doch neben Erleichterung macht sich vor allem Enttäuschung breit. "Die ernüchternde Realität ist, dass die globale Wirtschaftstätigkeit im historischen Vergleich schwach ist", sagt Georgiewa.

Schon im vergangenen Jahr betrug das globale Wachstum 3,2 Prozent. Und nicht nur für das laufende, auch für das kommende Jahr rechnet der IWF wieder mit 3,2 Prozent Wachstum - was für globale Maßstäbe nicht sonderlich viel ist. Der historische Durchschnitt liegt bei 3,8 Prozent.

"Die Wachstumsaussichten sind mittelfristig unbefriedigend niedrig", sagt ein deutscher Regierungsvertreter. Das Wirtschaftswachstum sei "stabil, aber schwach", heißt es im neuen World Economic Outlook (WEO) des IWF. Dort listen die IWF-Experten eine Reihe von Risiken auf, die auf der Weltwirtschaft lasten.

1. Kriege und Konflikte

Der Angriff des Irans auf Israel wird ein Thema für die Finanzminister und Notenbankchefs in Washington sein. Von "schwierigen Zeiten" spricht der deutsche Regierungsbeamte. Die Sorge vor einem Flächenbrand im Nahen Osten, der auch verheerende Folgen für die Weltwirtschaft haben könnte, ist groß.

Ohnehin haben die geopolitischen Risiken in den vergangenen Jahren zugenommen und belasten die globale Konjunktur. Im WEO werden der Krieg in der Ukraine und der Konflikt in Gaza genannt. Sollte sich die Lage weiter zuspitzen, könnte das wieder zu steigender Inflation führen, fürchtet der IWF.

Israel/Iran
Die Kriegsangst eint die zerstrittene Weltgemein­schaft - zumindest kurzfristig

Hinzu kommt, dass die internationale Staatengemeinschaft durch die Konflikte zunehmend gespalten ist und eine Zusammenarbeit schwieriger wird. Beim Ukrainekrieg stehen sich die westlichen Industriestaaten (G7) und Russland gegenüber, das von China unterstützt wird. Der Gazakonflikt sorgt für eine weitere Spaltung. Es gebe ein "inzwischen völlig gestörtes Vertrauensverhältnis" zwischen den geopolitischen Blöcken, sagt ein Weltbank-Mitarbeiter.

2. Noch keine Entwarnung bei der Inflation

Auf den ersten Blick scheint die Preisentwicklung kein Risiko für die Weltwirtschaft mehr zu sein. "Die Inflation geht runter, ein Stück weit schneller als vorher gedacht", sagt IWF-Chefin Georgiewa. Lag die globale Inflationsrate 2022 noch bei 9,4 Prozent, soll sie nach der neuen Prognose des Währungsfonds Ende dieses Jahres auf 2,8 Prozent und im kommenden Jahr auf 2,4 Prozent sinken.

Entwarnung will der IWF aber dennoch nicht geben. "Die Inflationstendenzen sind zwar ermutigend, aber wir sind noch nicht am Ziel", heißt es im WEO. Sorge bereiten den IWF-Ökonomen die jüngsten Zahlen aus den USA. Dort stiegen die Verbraucherpreise stärker als erwartet.

Der Rückgang der Inflation ist unter anderem auf sinkende Energiepreise sowie günstiger gewordene Waren aus China zurückzuführen. "Aber die Dienstleistungsinflation bleibt hoch", schreiben die IWF-Experten. Deshalb müsse Priorität der Notenbanken bleiben, die Inflation auf das Zielniveau zu senken. Sollten die Leitzinsen dadurch noch nicht wie erwartet in den nächsten Monaten sinken, könnte das die Wirtschaft weiter belasten.

3. USA: Wachstumstreiber mit Überhitzungsrisiko

Die USA sind derzeit der Wachstumstreiber der Weltwirtschaft. Für das laufende Jahr rechnet der IWF damit, dass die amerikanische Wirtschaft um 2,7 Prozent wächst - und damit 1,2 Prozentpunkte mehr als noch im Herbst prognostiziert. Und im kommenden Jahr soll das Plus laut Währungsfonds immerhin noch 1,9 Prozent betragen.

Global Risk
Wirtschaft wächst, Inflation sinkt: USA erleben widersprüchliches Wirtschaftswunder

Der Währungsfonds schreibt von einer "außergewöhnlichen Leistung der Vereinigten Staaten", die "eine wichtige treibende Kraft des globalen Wachstums" seien. Doch es folgt ein Aber: Die US-Wirtschaft hat das Risiko einer Überhitzung und damit vor allem einer wieder anziehenden Inflation.

Zudem geht der Aufschwung auch auf staatliche Impulse wie den Inflation Reduction Act zurück, mit dem die US-Regierung Investitionen in klimafreundliche Technologie durch Steuerrabatte fördert. Die staatlichen Programme sind kreditfinanziert. Die Verschuldung der USA steigt immer weiter.

Solaranlage im US-Bundesstaat Utah: Der Inflation Recuction Act führt zu mehr Investitionen in grüne Technologie.
Foto: AP

Der Währungsfonds hält die Schuldenpolitik für "nicht nachhaltig". Das berge auch Risiken für die Finanzstabilität der Weltwirtschaft, heißt es im WEO. Zumal die USA nicht allein sind. Auch viele andere Staaten haben ihre Verschuldung während der Coronapandemie und der Energiekrise kräftig erhöht. Der IWF mahnt die Staaten, dass es nun an der Zeit sei, die Defizite zu reduzieren und die staatlichen Finanzpolster zu vergrößern.

4. China: Sorge vor Handelskonflikten

Pünktlich zur IWF-Frühjahrstagung überrascht China mit positiven Konjunkturdaten: Die Wirtschaft ist im ersten Quartal des Jahres deutlich stärker als erwartet gewachsen. Das Bruttoinlandsprodukt legte im Vergleich zum Vorjahreszeitraum 5,3 Prozent zu, teilte das Statistikamt in Peking mit.

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Für das Gesamtjahr erwartet der IWF 4,6 Prozent Wachstum für China. Das Land kämpft noch immer mit der Immobilienkrise. Die Inlandsnachfrage werde noch einige Zeit schwach bleiben, wenn der Staat die Ursachen nicht mit energischen Maßnahmen angehe.

Wenn die Binnennachfrage aufgrund der Immobilienkrise gering bleibe, könnte Peking versuchen, das über steigende Exporte auszugleichen. Der IWF sieht aber das Risiko, dass sich dadurch "die Handelsspannungen in einem ohnehin schon angespannten geopolitischen Umfeld" verstärken.

Die Handelskonflikte zwischen Peking und Washington nehmen seit Jahren zu. Auch in der EU gibt es Forderungen, auf chinesische Billigexporte und Subventionen notfalls mit Zöllen zu reagieren.

5. Deutschland: Schlusslicht beim Wachstum

Der IWF rechnet damit, dass die deutsche Wirtschaft nur um 0,2 Prozent wächst. Das wären 0,7 Prozentpunkte weniger, als der Währungsfonds noch im Herbst erwartet hatte. Kein anderes großes Industrieland hat so ein schwaches Wachstum.

Der Grund für die Herabstufung sei eine Verschlechterung des Konsum- und Geschäftsklimas im ersten Quartal, sagte Alfred Kammer, Europadirektor des IWF, dem Handelsblatt. "Leider ist der deutsche Verbraucher eben nicht der amerikanische Verbraucher, der trotz Krisen optimistisch bleibt."

Für das kommende Jahr sieht der IWF eine leichte Besserung. Zwar korrigiert er auch hier die Prognose deutlich nach unten, rechnet aber immerhin noch mit 1,3 Prozent Wachstum. "Für die kommenden Jahre erwarten wir für Deutschland eine bescheidene, allmähliche Erholung", sagte Kammer.

Standortdebatte
Die wahren Gründe für Deutschlands Wirtschaftsschwäche - IWF mahnt zu Reformen in drei Bereichen

Allerdings sorgt sich der IWF wegen der strukturellen Probleme Deutschlands. Europadirektor Kammer lobt das Wachstumschancengesetz, mit welchem die Ampelkoalition die Wirtschaft um 3,2 Milliarden Euro entlasten und Investitionen fördern will. Er sagt aber "Sie reichen absolut nicht aus, um die strukturellen Probleme in Deutschland anzugehen."

Derzeit beraten Kanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) über ein Maßnahmenpaket gegen die Wirtschaftsschwäche. Aus Sicht des IWF drängt die Zeit. Kammer betont: "Reformen, die die Produktivität steigern, wie der Bürokratie-Abbau, gehen viel zu langsam voran, und bei der Digitalisierung ist Deutschland unter den EU-Ländern auf den hinteren Plätzen."

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