Wasserstoff-Züge "Hervorragende Alternative zum Diesel"? Von wegen

Veröffentlicht am 27.12.2022 | Lesedauer: 5 Minuten

Von Matthias Kamann
Politikredakteur

Wasserstoffbetriebene Züge könnten sehr gut die mit Dieselmotor ersetzen, propagieren Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) und andere Politiker. Der Antrieb hat aber im Schienenverkehr gewaltige wirtschaftliche Nachteile - und es gibt noch einen anderen Haken. Die Rekordfahrt machte staunen: Nicht weniger als 1175 Kilometer legte im September ein Wasserstoffzug der Firma Alstom bei einer Fahrt durch Deutschland mit einer einzigen Tankfüllung zurück. Mit dieser enormen Reichweite schien der Zug vom Typ Coradia iLint, der seit August regelmäßig die Regionalbahnlinie Buxtehude-Bremerhaven-Cuxhaven befährt, das Potenzial der Wasserstofftechnologie für den Schienenverkehr zu beweisen. Aber Fachleute und Gutachter ziehen dieses Potenzial in Zweifel.

Der Wasserstoff-Zug Mitreo Plus H, den die Deutsche Bahn gemeinsam mit Siemens Mobility entwickelt hat
Quelle: pa/Ulrich Baumga/Ulrich Baumgarten

Diese beginnen bei der Frage, ob jene Reichweite, die deutlich größer ist als die von batteriegetriebenen Zügen, in Deutschland überhaupt gebraucht wird. Denn nötig sind solche Züge nur auf Strecken, die keine Oberleitung für Elektroloks haben und deshalb bisher mit Dieselantrieb befahren werden. Aber nicht elektrifizierte Regionalzugstrecken, für die dieser Coradia iLint konzipiert ist, sind in Deutschland fast nirgendwo so lang, dass seine Reichweite gebraucht würde.

Wasserstoff-Zug fährt erfolgreich Langstrecke

Bis 2040 will die Deutsche Bahn klimaneutral fahren. Die vielen Dieselloks, die bisher noch eingesetzt werden, sollen dafür bald der Vergangenheit angehören. Einen neuen Rekord im Dauerbetrieb mit nur einer Tankfüllung setzte nun ein Wasserstoff-Zug.

Quelle: WELT/ Peter Haentjes

"Es kann sein", sagt der Eisenbahnberater Hans Leister von der Zukunftswerkstatt Schienenverkehr, "dass Wasserstoffzüge wegen ihrer großen Reichweite attraktiv für Länder sind, in denen es lange Strecken ohne elektrischen Fahrdraht gibt. Aber in Mitteleuropa und auch Deutschland mit dem doch großen Anteil elektrifizierter Strecken sehe ich für solche Züge keinen größeren Bedarf."

Denn fast alle Strecken für den Schienenregionalverkehr, um den es hierbei derzeit gehe, hätten Abschnitte mit Oberleitungen und seien dann nur jeweils auf einigen Dutzend Kilometern nicht elektrifiziert. "Sehr einfach und energieeffizient lassen sich diese Strecken daher mit Zügen nutzen, die sowohl einen Stromabnehmer als auch eine Batterie haben", sagt Leister im Gespräch mit WELT.

Diese ausgereifte Technik sieht so aus, dass Züge auf Streckenabschnitten mit Oberleitungen ganz normal elektrisch fahren und dabei zugleich die installierte Batterie aufladen. Diese dann treibt das Fahrzeug auf Abschnitten an, die keinen Fahrdraht haben. Solche Batterie-Hybrid-Züge erhielten kürzlich in einer Untersuchung für das baden-württembergische Verkehrsministerium unter Winfried Hermann (Grüne) durchweg den Vorzug gegenüber den Wasserstoff-Hybrid-Zügen, bei denen eine eingebaute Brennstoffzelle aus dem mitgeführten Wasserstoff den Strom für die antreibende Batterie liefert.

Blick auf das Bedienpanel für die Brennstoffzelle im Führerstand eines Wasserstoffzugs
Quelle: pa/dpa/Frank Rumpenhorst

Die Gutachter in Baden-Württemberg empfahlen für alle betrachteten Regionalstrecken entweder die klassische Elektrifizierung mit Oberleitungen oder - wo das zu aufwendig wäre - den Einsatz von Zügen, die mal mit Stromabnehmer und mal mit Batterie fahren. "Wasserstoff-Hybrid-Züge konnten sich auf keiner Strecke durchsetzen", heißt es in der Zusammenfassung der Studie.

Auch in der Praxis und in konkreten Planungen für den Ersatz bisheriger Dieselzüge spielt die Wasserstofftechnologie kaum eine Rolle. In den nächsten Jahren werden Züge mit Stromabnehmer-Batterie-Kombination auf bundesweit acht Regionalstrecken die bisherigen mit Diesel betriebenen Züge ersetzen.

Aber für Wasserstofftechnik gibt es neben Buxtehude-Bremerhaven-Cuxhaven nur ein hessisches Netz im Taunus sowie ab 2024 eine Strecke in Brandenburg.

Ein Wasserstoffzug vom Typ Coradia iLint vor dem Bahnhof Rotterbach (Thüringen)
Quelle: pa/dpa/Michael Reichel

Dennoch hat auch Siemens mittlerweile einen Wasserstoffzug präsentiert. Ebenso der dritte große europäische Hersteller Stadler. Der aber zielt damit vor allem auf den Markt in den USA, wo Oberleitungen im Unterschied zu Europa selten sind.

Fast überall wäre eine neue Infrastruktur nötig

Trotzdem werden Wasserstoffzüge in Deutschland mit großem Aufwand angepriesen: Zum Start in Niedersachsen reiste eigens Ministerpräsident Stefan Weil (SPD) an und bescheinigte dem Projekt "Vorbildcharakter". Als "eine hervorragende Alternative zum Diesel" bezeichnete Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) die Wasserstoffzüge bei deren Start im Taunus gegenüber Hit Radio FFH. Allein dieses Projekt, bei dem überschüssiger Wasserstoff aus der chemischen Industrie verwertet wird, kostet mehr als 500 Millionen Euro.

Frankfurt/Main, 14. November: Verkehrsminister Volker Wissing (FDP, l.) und Knut Ringat, Geschäftsführer des Rhein-Main-Verkehrsverbunds, an einer Zapfsäule für Wasserstoffzüge
Quelle: pa/dpa/Frank Rumpenhorst

Zwar gibt es in Hessen tatsächlich den Vorteil, dass lokal anfallender Wasserstoff genutzt werden kann. Aber fast überall sonst hat die neue Antriebstechnik für die Bahn den gravierenden wirtschaftlichen Nachteil, dass für sie eine ganz neue Energieinfrastruktur errichtet werden muss.

Zunächst nämlich muss der Wasserstoff dorthin transportiert werden, wo ihn die Züge tanken können. Und diese Tankanlagen müssen erst noch gebaut werden. Das ist teuer. Zudem zieht sich das Betanken der Züge in den Nachtstunden recht lange hin, was wiederum den Personalaufwand erhöht.

Frankfurt/Main, 9. August: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, l.) und Joachim Kreysing, Geschäftsführer von Infraserv Höchst, besichtigen eine Wasserstofftankstelle für Züge
Quelle: pa/dpa/Hannes P Albert

Dem hält eine Studie vom Verband der Elektrotechnik und dem Verein Deutscher Ingenieure unter Beteiligung von Alstom-Mitarbeitern die Aussicht auf spätere Effizienzgewinne entgegen. Denn solche Wasserstofftankstellen an Bahnanlagen könnten dereinst auch von Lkw genutzt werden, bei denen das Potenzial dieser Antriebstechnik groß ist. "Dies spricht dafür, H2-Tankstellen für Schienenfahrzeuge dort zu errichten, wo sie gleichzeitig auch dem Nutzfahrzeugsektor zugutekommen können", heißt es in der Studie.

Allerdings lässt sich fragen, warum der ohnehin schlechtergestellte Schienenverkehrssektor in aufwendige Vorleistung bei einer Technologie gehen soll, die dann für die Straße sehr viel wichtiger ist.

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Dies gilt umso mehr, als es auf der Schiene unter Klimaschutzgesichtspunkten ganz im Gegensatz zum Straßenverkehr kaum einen Anlass gibt, die Antriebstechnik überhaupt zu ändern. Denn bei Betrachtung nur der CO2-Emissionen durch die Fahrzeuge ergab eine Übersicht der Europäischen Umweltagentur für 2019, dass Lkw und Pkw für 71,7 Prozent des Treibhausgasausstoßes im Verkehrssektor der EU verantwortlich sind. Hingegen trugen Lokomotiven und Triebzüge mit Dieselantrieb nur 0,4 Prozent bei. Ist es wirklich so dringend, die zu ersetzen?

Zwar verschlechtert sich die Klimabilanz der Eisenbahn dadurch, dass ihr Strom noch längst nicht klimaneutral erzeugt wird. Aber daraus lässt sich kein Argument für Zugantriebe mit Wasserstoff machen. Denn für dessen Erzeugung wird ebenfalls Strom benötigt. Und wenn der nicht regenerativ produziert wird, bringt der Wasserstoffzug keinen Klimaschutzvorteil.

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Zumal Wasserstoffzüge den Strom schlecht nutzen: Weil die Umwandlungsverluste deutlich größer sind als beim Oberleitungsstrom, ist der Wirkungsgrad von Wasserstoffzügen bei der Gesamtbetrachtung nur etwa halb so groß wie der von reinen Elektroloks und auch von Zügen mit der Kombination aus Stromabnehmern und Batterien.

Warum werden Wasserstoffzüge trotzdem propagiert? "Ich kann mir das nicht anders als so erklären", sagt Bahnberater Leister, "dass die Wasserstofflobby den Eisenbahnbetrieb wegen seiner Staatsnähe als einen Bereich entdeckt hat, in dem bereitwillig Subventionen für die Etablierung einer Technologie gezahlt werden, die in vielen anderen Bereichen sicherlich sinnvoll ist, aber für den Schienenverkehr wenig bringt."


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