Veröffentlicht am 24.10.2021 | Lesedauer: 5 Minuten
Von Thomas Schmoll
Quelle: Amin Akhtar
"Eine alte Straße, die so schön und bei Touristen beliebt war, die ganz viel Flair hatte, ist jetzt " Kerstin Fischer hält inne, den Tränen nahe. " nichts mehr", beendet sie schließlich den Satz. "Dabei war sie mal so schön." Alte Stammkunden kämen und fragten entgeistert: "Was ist das denn jetzt hier?" Die Berlinerin, die seit fünf Jahren in der Bergmannstraße in Kreuzberg den Secondhand-Modeladen "Allet Schick" führt, gibt die Antwort: "Wir sind ein Testlabor."
Quelle: Amin Akhtar
Fischer ist längst nicht die einzige Gewerbetreibende, die so redet. Andere Einzelhändler und Restaurantbetreiber wähnen sich ebenfalls als unfreiwillig Mitwirkende eines mehrjährigen Feldversuchs. Seit Jahren betrachten die Grünen die Bergmannstraße als Tummelplatz zur Umsetzung ihrer Vorstellungen einer "Verkehrswende". Hunderttausende Euro Steuergelder sind in das Projekt geflossen.
Mal ließ Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) Felsbrocken niederlegen, dann grüne Punkte auf den Asphalt pinseln oder Poller und "Parklets" hinbauen. Die Sitzgelegenheiten, die gerne von Betrunkenen und Obdachlosen genutzt wurden, verschwanden nach geraumer Zeit genauso wieder wie die Findlinge, Poller und grünen Kreise.
Dafür wurde vergangenen Sommer das Tempolimit von 20 auf zehn km/h reduziert, ein drei Meter breiter Radweg angelegt, ein Abschnitt für Autos zur Einbahnstraße erklärt, und es wurden Blechkübel mit Pflanzen aufgestellt.
Quelle: Amin Akhtar
Die Trasse "soll künftig klimaresilient gestaltet werden", wie das von den Grünen beherrschte Rathaus Friedrichshain-Kreuzberg unter Leitung von Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann bekannt gab. "Durch Begrünung und Wasserelemente (Trinkbrunnen, Wasserspiele) wird durch Verdunstungskühle und Schatten die Temperatur der Straße abgesenkt und somit die Aufenthaltsqualität verbessert." Als Kosten der endgültigen "Neuaufteilung des Straßenraums" ab 2022 sind elf Millionen Euro vorgesehen.
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Immer wieder betonte Herrmann die "umfangreiche" Bürgerbeteiligung. "Die Wünsche und Anforderungen" von Anwohnern und Geschäftstreibenden seien "zentraler Bestandteil der Neuorganisation" der Straße. Modeladen-Betreiberin Fischer sieht das anders: "Es gab gar nichts. Die verkünden was, um sich zu profilieren."
Dago Engler, Großhändler für Lederwaren, der seit mehr als vier Jahrzehnten ein Geschäft in der Bergmannstraße hat, lacht nur höhnisch, wenn man ihn nach der Bürgerbeteiligung befragt. "Das interessiert diese Leute doch gar nicht, was wir Ladenbetreiber wollen."
Quelle: Amin Akhtar
Er lebe nicht im Gefühl, "einen Beitrag zur Rettung der Welt" zu leisten, sagt Engler. Er verstehe ja, dass man den Verkehr von Benzinautos eindämmen wolle. "Dann sollen sie eben Parkplätze für E-Autos schaffen und nur die reinlassen." Doch Innovation sei für Herrmann und Schmidt ein Fremdwort. Dabei seien die Auswirkungen auf das Geschäft extrem. "Mein Umsatz ist um 70 Prozent eingebrochen", berichtet er. "Kaum jemand betritt den Laden. Denn hier ist niemand mehr."
Großkunden, die 30 oder 40 Quadratmeter Leder kauften, erklärten ihm, sie kämen nicht länger in die Bergmannstraße, weil sie nicht wie früher vor dem Laden parken könnten. "Leder ist ja schwer." Nach seinen Worten wäre er längst pleite, wenn er den Großhandel - "wir beliefern ganz Europa" - nicht hätte. "In guten Zeiten habe ich die beste Entscheidung meines Lebens getroffen und das Haus gekauft." Andere hätten weniger Glück und zahlten für nicht mal 100 Quadratmeter 6000 Euro Gewerbemiete. "Es gibt immer wieder Geschäftsaufgaben."
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Frustration mache sich breit, weil nach den Corona-Einbußen jetzt die Laufkundschaft ausbleibe: Touristen, aber auch Berliner. "Wer kommt denn noch hierher, in eine Straße, die nicht mehr schön ist? Die Umsatzeinbußen gehen jeweils zur Hälfte auf Corona und den Quatsch des Baustadtrats zurück", sagt Engler.
Händler und Restaurantbesitzer trauern dem Jazz-Fest hinterher, das 25 Jahre lang in der Bergmannstraße stattfand, aber in die Nachbarschaft verlegt werden musste, weil "Parklets" und Fahrradständer den Platz für Buden nahmen. "In den drei Tagen des Jazz-Fests habe ich immer den besten Umsatz gemacht", berichtet Gabi Lück, Designerin und Inhaberin des Kleidungsshops "Bananas".
Auch sie redet offen über ihre Unzufriedenheit: "Verkehrsberuhigt und Rumexperimentieren sind zwei verschiedene Sachen", meint sie. "Bei mir ist die Frustgrenze erreicht, ich bin ziemlich enttäuscht."
Quelle: Amin Akhtar
Von Bürgerbeteiligung könne nicht die Rede sein. Vernünftige Vorschläge seien in Gänze missachtet worden. "Es sollte eine Begegnungszone werden. Herausgekommen ist eine weitgehend autofreie Zone." Aber auch die sei nur halb gar und alles andere als schön.
Lück hatte noch das Glück, dass direkt vor ihrem Laden eine Lieferzone war. Die ist nun weg - jetzt schaut die Modeschöpferin auf steril wirkende Pflanzenkübel. Lieferungen seien "schwierig". Gehört habe sie von einem Plan, die Zeiten für Wareneingänge von sieben bis neun Uhr morgens zu begrenzen. "Wir machen um elf Uhr auf. Ich werde niemanden hinstellen, der stundenlang auf eine Lieferung wartet."
Quelle: Amin Akhtar
Die Ladenbetreiberin nennt es "schade, dass man sich kein Beispiel an anderen Metropolen nahm, wo es geklappt hat". Sie verweist auf Kopenhagen - die Stadt, die weltweit als Modell für eine fahrradfreundliche Stadt gilt. Von schönen verkehrsberuhigten Zonen profitierten alle, sagt Lück.
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In der Bergmannstraße aber seien Leute am Werk, die "keine Ahnung" oder sich "keine Experten" gesucht hätten. Sie selbst würde sich ja auch kein Haus selbst bauen, sondern einen kundigen Architekten engagieren. "Im Testlabor" in der Bergmannstraße geschehe nur Stückwerk. "Es fehlt ein Gesamtberliner Konzept. Deshalb kommt nur Quatsch dabei raus."
Timur Husein, CDU-Fraktionschef im Bezirksparlament, findet es absurd, dass die Brunnenanlage am Marheinekeplatz an der Bergmannsfraße "seit August nicht mehr funktioniert, während ein paar Meter weiter Geld ohne Ende verpulvert" werde.
Quelle: Amin Akhtar
Die Grünen trieben "mit ihrer Politik der Weltverbesserung" die Spaltung der Gesellschaft voran: "Die Partei macht, was ihrer Ideologie entspricht, ohne die Anwohner mitzunehmen und zu überzeugen. Das polarisiert." Wähler der Grünen und Spitzenverdiener, die wie Herrmann im Kiez "in einer Eigentumswohnung" lebten, fänden das Projekt klasse. "Viele Mieter, die privat auf das Auto angewiesen sind, sind genervt - Händler zum Teil sogar verzweifelt."
Kerstin Fischer bestätigt das. Auf die Frage, ob sie Angst um ihre Existenz hat, sagt die Geschäftsfrau: "Klar. Ich weiß nicht, wie es hier weitergeht, was noch alles passiert."