VVN-BdA "Umzingeln, Einmauern, Einwickeln"

Stand: 09.02.2022 | Lesedauer: 5 Minuten

Von

Ibrahim Naber,

Lennart Pfahler,

Marcel Leubecher

Ein Beitrag von Innenministerin Faeser für das "antifa"-Magazin sorgt für Diskussionen. Verfassungsschützer halten den dahinterstehenden Verein VVN-BdA für "linksextremistisch beeinflusst". Was das bedeutet - und warum der Beitrag kein Versehen war. Quelle: pa/ZUMAPRESS.com/Sachelle Babbar

Nancy Faeser schrieb auf ihrer Homepage einmal, es gebe in unserer Welt "keine Entscheidung, die nicht politisch" sei. Ihre Entscheidung, im Juli 2021 einen Artikel im "antifa"-Magazin zu veröffentlichen, war so gesehen ein politisches Bekenntnis. Die SPD-Politikerin wusste, was sie erwartet.

Denn Monate zuvor hatte sie in Hessen eine Kleine Anfrage zum Schutz der Gemeinnützigkeit von Vereinen gegen Rechtsextremismus gestellt. Darin teilte ihr die Landesregierung über den Träger des Magazins mit: "Die ‚Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten' (VVN-BdA) gilt als eine der ältesten Organisationen im Themenfeld des Antifaschismus und wird vom Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Hessen als linksextremistisch beeinflusst bewertet."

Das Bekanntwerden von Faesers Beitrag für das Magazin des Vereins VVN-BdA hat in den vergangenen Tagen für Diskussionen gesorgt. Zuerst hatte die "Junge Freiheit" darüber berichtet, eine Wochenzeitung der Neuen Rechten.

Was folgte, war eine politische Diskussion. Kritiker wie CDU-Innenpolitiker Christoph de Vries warfen Faeser und der SPD vor, auf dem "linken Auge weitgehend blind" zu sein. Politiker der Regierungsparteien und Teile der linken Twitter-Gemeinde schossen mit scharfen Worten zurück. Faeser selbst, die den Verfassungsschutz in den vergangenen Jahren immer wieder kritisierte, bezeichnete die erhobenen Vorwürfe in einem Twitter-Statement als "durchschaubar."

Inhaltlich gibt es über den Text, den sie in dem Magazin veröffentlichte, keine Debatte. Faeser berichtet darin über "NSU 2.0-Drohbriefe" voller "rechtsradikaler Phantasien", die sie wie weitere Betroffene von einem anonymen Absender erhalten hat. Der mutmaßliche Verfasser wurde 2021 festgenommen. Faeser appelliert in dem Gastbeitrag daran, jeden Tag gegen "rechte Drohungen und rechte Gewalt aufzustehen."

Die Frage, die sich stellt, ist eine andere: Muss sich eine Bundesinnenministerin von einem Verein distanzieren, vor dem Verfassungsschützer warnen? Auf WELT-Anfrage, wie genau es zur Kooperation zwischen Faeser und VVN-BdA kam, wollte der Verein "keine Auskünfte erteilen".

Das Gleiche gilt für die Frage, ob Faeser Mitglied war oder ist. Das Bundesinnenministerium ließ eine Anfrage dazu unbeantwortet.

Ein Blick auf die VVN-BdA zeigt, dass die Organisation sich als das "legale Gesicht der Antifa" positioniert und sich für Aktionen gegen politische Gegner auch mit linksextremen Gruppierungen vernetzt. Gleichzeitig erhält der Verein aus der Mitte der Gesellschaft Unterstützung.

Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, verweist auf Verdienste im "Kampf gegen Rechtsextremismus". Über Jahrzehnte habe sich VVN-BdA für die Anerkennung und Entschädigung von NS-Opfern eingesetzt. Die Vereinigung wurde 1947 unter anderem von Verfolgten des Naziregimes gegründet und später erweitert. Heute unterhält der Verein bundesweit Dutzende lokale Ableger.

Das sagen die Verfassungsschützer

Unter Verfassungsschützern in den Ländern fällt die Bewertung unterschiedlich aus, wie eine WELT-Abfrage im vergangenen Jahr ergab. Bayern führt die VVN-BdA im Verfassungsschutzbericht als "größte linksextremistisch beeinflusste Organisation im Bereich des Antifaschismus" auf.

Eine Klage des Vereins gegen die Nennung im Jahresbericht blieb im Jahre 2014 erfolglos. Die Verfassungsschützer verweisen darauf, dass die VVN-BdA "anlassbezogen" mit "offen linksextremistischen Kräften" zusammenarbeite. Zudem dominiere innerhalb der Vereinigung ein "kommunistisch orientierter Antifaschismus".

Auch die Verfassungsschützer in Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Baden-Württemberg stufen die Organisation als "linksextremistisch beeinflusst" ein, auch wenn die VVN-BdA hier nicht im Verfassungsschutzbericht auftaucht.

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Sachsen-Anhalt sieht in der Organisation ein Scharnier zwischen demokratischen und linksextremistischen Gruppen, darunter "autonomen und gewaltbereiten" Akteuren. Viele Gruppierungen aus dem nicht-extremistischen Spektrum hätten keine Kenntnis über diese Bezüge, weshalb die VVN-BdA auch im demokratischen Spektrum Unterstützer mobilisiere.

Niedersachsen beobachtet die VVN-BdA zwar nicht, verweist aber darauf, dass punktuell Bezüge zu linksextremistischen Gruppierungen, so auch der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP), festgestellt würden. Die Nähe zwischen dem Verein und der linksextremistisch eingestuften DKP, die sich als "marxistische Partei mit revolutionärer Zielsetzung" bezeichnet, ist in mehreren Ländern zu beobachten. So finden sich Grußbotschaften der VVN-BDA an die DKP und es gibt personelle Überschneidungen.

Ein Beispiel ist der Münsteraner Verleger Klaus Leger. Zum Jahrestag der Kapitulation der deutschen Wehrmacht am 8. Mai, der in vielen Ländern als Tag der Befreiung von Faschismus und Krieg gilt, hielt der DKP-Funktionär im vergangenen Jahr eine Rede in seiner Funktion als Vertreter der VVN-BdA. Darin forderte er freundschaftliche Beziehungen zu Russland und zitierte Oskar Lafontaine, der Mitglieder der Bundesregierung als "US-Vasallen" bezeichnet hatte.

Im Gegensatz zu den Antworten der Länder fällt die Einschätzung des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) auf eine aktuelle WELT-Anfrage kryptisch aus. Die Behörde möchte nicht verraten, ob sie VVN-BdA beobachtet oder nicht. Denn es "könnten Rückschlüsse auf den Aufklärungsbedarf, den Erkenntnisstand sowie die generelle Arbeitsweise" gezogen werden. Im Verfassungsschutzbericht erwähnt das BfV den Verein seit Jahren nicht mehr.

"Das legale Gesicht der Antifa"

Aufschlussreicher ist die Selbstdarstellung der VNN-BdA. Bundesgeschäftsführer Thomas Willms bezeichnet den Verein als "das legale Gesicht der Antifa". In dem Aufsatz aus dem Jahr 2020 heißt es, dass man die Funktion als Trägerverein für ein Bündnis gegen Rechtsextremismus einnehme.

In dem Bündnis Aufstehen gegen Rassismus"" haben sich VVN-BdA, lokale Antifa-Gruppen sowie die als linksextremistisch eingestufte Interventionistische Linke mit der SPD-Jugendorganisation Jusos, der Linkspartei und dem Zentralrat der Muslime zum "Kampf gegen die AfD" zusammengeschlossen, wie es auf der Homepage heißt.

Einerseits betont das Bündnis, auf friedlichen Protest zu setzen. Andererseits gibt es Ratschläge zum "Umzingeln, Einmauern und Einwickeln" von AfD-Wahlständen. Um zu verhindern, dass die AfD Parteiveranstaltungen in der eigenen Stadt abhalten könne, sei eine "Zusammenarbeit mit der lokalen Antifa oft lohnenswert".

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Die VVN-BdA-Bundesvorsitzende Cornelia Kerth formulierte in einem Podcast 2021 das Ziel, "den Nazismus mit seinen Wurzeln zu vernichten." Sie sprach dabei auch über die Zusammensetzung des Vereins. Unter den Mitgliedern befänden sich nicht nur viele Kommunisten, sondern auch Personen aus anderen Milieus. Darunter seien Mitglieder "aus dem Bereich der Grünen" und der "autonomen Antifa."

Grenzt sich VVN-BdA von Extremisten ab, wurden Mitglieder jemals ausgeschlossen? Die konkrete Frage lässt der Verein inhaltlich unbeantwortet. Eine Sprecherin teilt aber mit, dass man auch Mitglieder der Linkspartei, der SPD und der Grünen vereine. Hinzu kämen "Kommunist:innen oder junge Antifas sowie Menschen, die Antifaschismus schlicht als ‚Humanismus in Aktion' betrachten."

Die Debatte um Verbindungen zwischen SPD und VVN-BdA ist nicht neu. Bereits 1983 übte die Union im Bundestag Kritik an Juso-Forderungen, die Unvereinbarkeit zwischen der Mitgliedschaft in der VVN und der SPD aufzuheben. Einen entsprechenden Vorstoß hatte es zuvor auf dem Bundeskongress der Jusos gegeben. Damaliger Redner: der heutige Bundeskanzler Olaf Scholz.


Quelle: welt.de