Von Katja Mitic
Redakteurin
Stand: 25.03.2023 | Lesedauer: 5 Minuten
Als die Nato während des Balkankrieges Gebiete 1994/5 in Serbien und später 1999 im Kosovo bombardierte, verwendete sie dabei auch mehr als 10.000 Geschosse mit abgereichertem Uran, sogenannte DU-Munition (depleted uranium). Ähnlich der, die Großbritannien der ukrainischen Armee nun im Kampf gegen die russische Armee zur Verfügung stellen will. Die Nato zerstörte damit wichtige Infrastruktur: Brücken, Straßen, aber auch Flughäfen, traf dabei aber auch Dörfer.
Der Anwalt Srdan Aleksic aus Ni vertritt seit Jahren Krebspatienten aus den damals bombardierten Gebieten. Er will, dass sie als späte Opfer von DU-Munition anerkannt werden und verklagt deshalb die Nato. Es ist ihm auch eine persönliche Mission: Aleksic wurde in einem der Dörfer im Süden Serbiens geboren, die von diesen Bomben getroffen wurde.
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Als WELT ihn telefonisch erreicht, hat er nur wenig Zeit, sagt er. Er bereitet sich gerade auf ein Treffen in Österreich vor, um dort über seine Fälle zu sprechen. Für ihn ist die Aussicht, dass DU-Munition in der Ukraine im Krieg gegen Russland, eingesetzt werden könnte, ein unvorstellbarer Vorgang.
WELT: Herr Aleksic, Sie bereiten gerade Sammelklagen gegen die Nato vor. In welcher Größenordnung?
Srdan Aleksic: Allein in der Sache der uran-abgereicherten Munition habe ich zurzeit 3500 Klienten, und jede Woche kommen weitere dazu. Die ersten Klagen haben wir 2021 beim Obersten Gericht in Serbien einreichen können - unter anderem für Angehörige eines Oberst der serbischen Armee, der sich während des Krieges mehr als 200 Tage in einem Zelt in der Sicherheitszone aufgehalten hatte. Er bekam Karzinome an den inneren Organen, doch die Krankenkasse bezahlte seine Medikamente nicht. Ich vertrete aber nicht nur Soldaten, sondern auch Polizisten oder Angestellte wie etwa von Flughäfen und Zivilisten, die weiterhin in den einst bombardierten Gebieten wohnen. Viele von ihnen sind sehr arm. Aber alle sind an sehr spezifischen Krebsarten erkrankt.
WELT: An welchen?
Aleksic: Es sind solche, die zumindest laut Forschung nicht auf natürliche Weise entstehen, denn die Betroffenen leiden nicht nur an einer einzigen speziellen Krebsart, sondern an zwei oder dreien gleichzeitig. Etwa Hautkrebs und Krebs des Lymphsystems oder des Gehirns oder Blutkrebs. Das ist sehr auffällig. Überhaupt ist seit der Bombardierung mit DU-Munition die Krebsrate stark angestiegen. eltweit belegen wir beim Lungenkrebs inzwischen den zweiten PlatzW: Das macht etwa 8000 Erkrankte aus (Anm. d. Redaktion: Stand der Neuerkrankungen für das Jahr 2020). Für mich heißt das: Das Uran aus der Munition muss einen großen Einfluss auf diese Entwicklung genommen haben. Ich schicke Ihnen ein Gutachten eines meiner Klienten - bei ihm wurde im Labor die 23-fache Belastung mit giftigen Schwermetallen nachgewiesen. Darin heißt es ganz klar: "Von besonderer Bedeutung sind das Vorhandensein und die Menge von Uran238 im Körper von Mr. Tadic."
Das Gutachten eines italienischen Spezialisten liegt der Redaktion inzwischen vor. Abgereichertes Uran ist ein Abfallprodukt, das bei der Anreicherung von Uran für den Einsatz in Atomkraftwerken oder bei der Herstellung von Atomwaffen entsteht. Es ist nur etwa 60 Prozent so radioaktiv wie natürlich vorkommendes Uran, eignet sich aber aufgrund seiner Eigenschaften zur Verwendung in panzerbrechender Munition. Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) bezeichnet abgereichertes Uran als "chemisch und radiologisch toxisches Schwermetall".
WELT: Was erhoffen Sie sich durch Ihre Klagen?
Aleksic: Wir fordern Schadensersatz für jeden Krebskranken, mindestens 100.000 Euro. Der serbische Staat muss seinen Staatsbürgern helfen, diese Menschen können nichts dafür, dass sie erkrankt sind. Sie sind nicht schuld daran, es ist das Uran.
WELT: Sie haben den Einsatz von DU-Munition öfter schon als Ökozid oder ökologischen Genozid bezeichnet. Können Sie das erklären?
Aleksic: Laut Nato selbst wurden 15 Tonnen Munition abgereichertes Uran auf Gebiete in Serbien und im Kosovo abgeworfen, andere Wissenschaftler sprechen von elf bis 13 Tonnen (Anm. d. Redaktion: z.B. die Royal Society in London). Bei der Detonation der Sprengsätze wurde radioaktiver Staub in die Luft geschleudert, der sich übrigens auch auf Teile der Nachbarländer verteilte: Kroatien, Bulgarien, Rumäniens, Kosovo, Albanien, Mazedonien. Das alles ist also nicht allein ein serbisches Problem. Es gibt zudem noch zahlreiche nicht detonierte Bomben, die sich weiterhin im Erdreich befinden. Das Zeug vergiftet also noch immer das Wasser und den Boden. Und hat Folgen für die Biodiversität. Bestimmte endemische Pflanzenarten zum Beispiel sind stark zurückgegangen, genauso wie einige Vogelarten. Ich habe mal einen Wissenschaftler dazu befragt. Der meinte, man bräuchte 4,5 Millionen Jahre, bis alles wieder hergestellt wäre wie früher. Für mich ist das ein Ökozid, weil ein ganzes Ökosystem vernichtet wird.
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WELT: Könnte die nicht detonierte Munition denn nicht aus dem Boden geborgen werden?
Aleksic: Nein, das geht nicht. Vermutlich nie. Und wenn, bräuchte es dafür eine sehr aufwendige Technologie.
WELT: Was geht in Ihnen vor, wenn Sie hören, dass in dem Krieg in der Ukraine solche DU-Munition verwendet werden könnte?
Aleksic: Niemand auf dieser Welt sollte diese Waffen mehr einsetzen dürfen.