Foto: Jan Woitas/dpa
Von: Maximilian Both und Felix Rupprecht
02.01.2023 - 09:58 Uhr
Wer soll das noch verstehen?
Strom ist teuer wie nie: Am Sonntag knallten gleich 636 Versorger die Preise rauf - um durchschnittlich 60 Prozent!
Laut dem Vergleichsportal Verivox verlangen Anbieter nun 44 Cent je Kilowattstunde (kWh) von ihren Neukunden.
Mehr noch: Wer sich an der Strombörse (Leipzig) an Neujahr mit Strom eindeckte, bekam obendrauf noch Geld geschenkt. 5 Cent je kWh! Insgesamt wurden auf diese Weise fast ein Viertel des Stroms ins Ausland verscherbelt - u. a. nach Belgien, Dänemark, Österreich.
Die einen zahlen wie nie, die anderen bekommen noch Geld hinterhergeworfen.
Der Grund: Wegen des stürmischen Wetters liefen die 30.000 Windräder an Neujahr im Dauerbetrieb. Sie produzierten viel mehr Strom als nötig. Folge: Preisabsturz an der Börse. Aber nur für Industriekunden und Versorger. Im In- und Ausland.
Für die Windanlagen-Betreiber ist der Preisabsturz kein Problem: Wenn sie ihre Kraftwerke abregeln müssen, um die Netzstabilität aufrechtzuerhalten, werden sie von den Stromkunden entsprechend entschädigt (wenn z. B. zu viel Strom produziert wird). Im Jahr 2021 waren es 807 Mio. Euro.
Strompreis-Experte Henrik Sommer von der Technischen Universität Ilmenau sagte zu BILD: "Das Angebot trifft auf sehr wenig Nachfrage. Die Industrie steht still an den Feiertagen."
Wann kommen die günstigeren Strompreise beim Verbraucher an? Auf BILD-Anfrage erklärt ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums: "Wir erwarten, dass die Strompreise in diesem Jahr tendenziell fallen und sich gegen Ende 2023 stabilisieren, wenn auch nicht auf dem Niveau von 2021."
Heißt: Wenn das Wirtschaftsministerium recht behält, werden sich die Strommärkte in diesem Jahr beruhigen.
Und wie will das Wirtschaftsministerium sicherstellen, dass sich die Stromversorger nicht einfach die Taschen vollmachen und durch die hohen Preise nutzen, um Reibach zu machen?
"Das Bundeskartellamt prüft im Rahmen der Strompreisbremse, ob Preisanstiege tatsächlich durch höhere Beschaffungskosten oder Netzentgelte zu erklären sind", so der Sprecher des Wirtschaftsministeriums zu BILD.
Der Bund der Energieverbraucher kritisiert die Strom-Anbieter. "Sinkende Beschaffungskosten werden nicht an die Verbraucher weitergegeben", so Verbandschefin Leonora Holling zu BILD.
Endverbraucher sollten die weiter hohen Preise hinterfragen. Eine gesunde Skepsis sei angebracht. "Wir raten Verbrauchern, Widerspruch einzulegen", unterstrich Holling.
SPD-Energieexpertin Nina Scheer (51) mahnte, der aktuelle Strompreis zeige, "dass es sich lohnt, Energie zu sparen". Als Hintergrund für den Preisabsturz an der Börse nannte Scheer die "Kombination von mehreren Faktoren, darunter witterungsbedingt geminderten Verbräuchen sowie der Beeinflussung des Strompreises durch den Gaspreis".