FOCUS-online-Korrespondent Ulrich Reitz
Donnerstag, 05.10.2023, 08:21
Die Grünen sagen: "Wer eine Regierung mit Anstand will, muss die Grünen wählen." So die Parteichefin Ricarda Lang. Lang sagt, sie sorge sich um die Demokratie in Bayern, es gehe am kommenden Sonntag um eine "Richtungsentscheidung". Gegen die "Spaltung" der Gesellschaft. Und darum, dass es eine Regierung, die das "Ansehen Bayerns schützt", "nur" mit "starken Grünen" gebe.
Für Bayern haben die Grünen eine Linie vorgegeben, die spalterischer kaum sein könnte: Moral und Anstand, das sind ausschließlich wir. Die anderen, denen fehlt der Anstand, die gefährden die Demokratie. Und Bayerns Ansehen in der Welt. Damit bestätigen sie - ungewollt -, was Markus Söder ihnen unterstellt: eine bevormundende, kulturkämpferische Besserwisser-Partei zu sein. Deshalb wird es am Sonntag spannend.
Kann Moral-Wahlkampf funktionieren? Gehen die Wähler mit bei der Einteilung der Polit-Welt in moralisch gut, gleich grün, und moralisch verwerflich, gleich CSU und Freie Wähler? Wobei die Grünen zwei Signale setzen, die unterschiedlicher kaum sein können. Aus Berlin bezeichnet die Alt-Grüne Renate Künast Söder als Trump, also den vielleicht gerade noch demokratischen Bösewicht an sich, und in Bayern buhlen Katharina Schulze und Ludwig Hartmann um Söder, mit dem sie unbedingt koalieren möchten. Was der hart ablehnt. Wichtig ist hier das "hart". Denn es lässt Opportunismen keinen Raum - auch nicht den eigenen.
Söder hat dafür gute Gründe. Und der beste davon heißt eben nicht Hubert Aiwanger. Söder mag ihn nicht, den Chef der Freien Wähler, und das ist durchaus persönlich gemeint. Die besten Gründe für Söder, um keinen Preis mit den Grünen koalieren zu wollen, liefern ihm die Grünen selbst. Hier sind sie (wenn auch nicht vollständig):
Im auslaufenden Wahlkampf sagte Schulze, ihre Grünen wollten in Bayern ein "Vergabegesetz" einführen: "Wenn der Staat öffentliche Aufträge vergibt, würde dann darauf geschaut werden, ob die Unternehmen auf Geschlechtergerechtigkeit und betriebliche Frauenförderung achten." Angesichts von Inflation und Rezession sollte man denken, dass es gerade vorrangigere Dinge in der Wirtschaftspolitik eines Landes gibt wie Geschlechtergerechtigkeit - wie soll das überhaupt definiert werden - und Frauenförderung im Klempnerbetrieb oder im Straßenbau.
Wichtiger noch: Fachfremde, ideologisch grundierte, parteipolitische Motive in die Landes-Wirtschaftspolitik einzuführen - das ist eben typisch grün. Beim Straßenbau oder auf dem Solardach geht es um handwerkliche Kompetenz und finanzielle Effizienz - und nicht um die Frage, welche Frauenförderungspolitik ein Betrieb betreibt - oder ob er dies überhaupt für nötig hält.
Beispiel zwei: In Berlin werkelt der grüne Vizekanzler am nächsten grünen Ideologie-Gesetz: Unternehmen, die Hermes-Bürgschaften vom Staat haben wollen, müssen künftig klimapolitische Sektor-Leitlinien einhalten. Habeck nennt derlei in Ableitung der "wertegeleiteten Außenpolitik" seiner innerparteilichen Konkurrentin Annalena Baerbock "wertegeleitete Außenwirtschaftspolitik".
Es läuft darauf hinaus, dass der Staat den Unternehmen die Ziele ihres Wirtschaftens en détail vorgibt. Wie passt das eigentlich zusammen mit dem antibürokratischen "Deutschlandtempo", das sich der Bundeskanzler bei Genehmigungsverfahren wünscht?
Sowohl Schulze in Bayern wie Habeck im Bund wollen für die Unternehmen nicht weniger, sondern drastisch mehr Bürokratie - und das im Namen von zwei grünen, also parteipolitischen Kernzielen: Klima- und Frauenpolitik. Kein Wunder, dass Söder die Grünen nicht in seiner Regierung haben will. "Die Grünen wollen das ganze Land bevormunden", sagt Söder. Der CSU-Mann hat kein Problem damit, weitere Belege für diese Behauptung zu finden.
Das Gebäude-Energiegesetz der Ampelregierung wird auf dem Land in Bayern, wo die meisten ein Haus haben, als persönliche Kampfansage verstanden. Auch als ein Wortbruch; denn mit einem - klimapolitisch begründeten - Streich wird die Generationen-Gewissheit außer Kraft gesetzt, das eigene Haus sei die Versicherung gegen Armut im Alter - und der Kapital-Grundstock für die eigenen Kinder.
Habeck brauchte Wochen, bevor er einräumte, mit einer Wärmepumpe werde es kaum getan sein, und die Zahl von 200.000 Euro für die Klimafit-Sanierung nannte. Das kann die Hälfte von dem sein, was ein Haus im ländlichen Franken oder in der Hallertau wert ist.
Und auch in der Migrationspolitik findet Söder kein Motiv, sich mit den Grünen einzulassen. Spitzenkandidat Hartmann verteidigt die Bevorzugung der Ukraine-Flüchtlinge, die sofort Bürgergeld bekommen, das die Ampelregierung zudem gerade erhöht hat. Söder lehnt das inzwischen ab.
Söder hat handfeste Gründe, um sich gegen die Grünen zu entscheiden. Es ist auch ein ganz besonderer Luxus, den der bayerische Regierungschef da genießt - andere Parteifreunde in anderen Bundesländern haben keine demokratisch konservative Partei, auf die sie ausweichen könnten. Hendrik Wüst, Daniel Günther und Boris Rhein sind auf die Grünen angewiesen - falls sie nicht die Opposition dem Regieren vorziehen wollen.
Und auch wenn Söder gegen Aiwanger frotzelt, wo er nur kann: Die Freien Wähler sind Söders bestes Argument gegen die Grünen. Denn Aiwanger und Co. machen Söder in ganz Deutschland zum Unikum: Er ist der einzige Regierungschef in 16 Bundesländern, der noch eine durch und durch bürgerliche Koalition anführt. Und: eine, die rein gar nichts mit der Berliner Ampel zu tun hat.
Söder ist - dank der Freien Wähler - auf keine einzige der Ampelparteien angewiesen. Das macht den bayerischen Ministerpräsidenten so frei wie keinen anderen seiner Länderchef-Kollegen. Und diesen Einzigartigkeits-Status will Söder nicht abgeben. Das ist damit gemeint, wenn Söder sagt, den Grünen fehle das "Bayern-Gen".
Der Grünen-Spitzenkandidat Ludwig Hartmann hält Söder entgegen, damit schließe er alle aus, die nicht CSU wählten. Ricarda Lang leitet daraus ihren Vorwurf der gesellschaftlichen "Spaltung" gegen den Bayern-Chef ab. Nur: Söder spricht weder der SPD, die einmal den zweiten Ministerpräsidenten des Landes stellte, das Bayern-Gen ab. Noch der FDP, mit der die CSU einmal eine Koalition bildete. Er meint nur die Grünen - und deshalb geht deren Spalter-Vorwurf ins Leere.
Die Grünen behaupten im Wahlkampf eine Spaltung, die sie selbst betreiben. Das ist der Grund, weshalb ihre Zahlen gerade so schlecht sind wie ihre Aussichten, an einer Regierung Söder beteiligt zu werden. Und das ist der Grund, weshalb sie jetzt - Stichwort "Anstand" - zur Moralkeule greifen. Es ist ihr letztes Mittel. Mit dem sie sich allerdings treffsicher selbst schlagen.
Man muss nicht einmal jene 12.000 Euro bemühen, die Lisa Paus zuletzt an zwei Tagen für ihre Selbstdarstellung in den sozialen Medien ausgab - angesichts der wirtschaftlichen Sorgen und grüner Verantwortung dafür, entlarvt sich der Anspruch, nur sie selbst seien die Anständigen, als grüne Hybris. Und die ist inzwischen zu einem negativen Markenzeichen geworden. Das der bisher erfolgreichste Bayern-Wahlkämpfer am konsequentesten ausschlachtet. "Wir sind die Anti-Grünen." Sagt Hubert Aiwanger.