FOCUS-online-Korrespondent Ulrich Reitz (Düsseldorf)
Montag, 24.04.2023, 18:03
Gerhard Schröder hat seinen Ruf damit verspielt, dass er nach seiner Amtszeit als Bundeskanzler als Cheflobbyist bei Wladimir Putins Gazprom-Konzern anheuerte. Dabei war das die Geschichte, die man kennt - Spitzenpolitiker wie Schröder, CDU-Mann Ronald Pofalla, FDP-Ex-Minister Daniel Bahr oder der Grüne Mathias Berninger, wechseln nach ihrer politischen Zeit auf einen lukrativen Job in die Wirtschaft, als Lobbyisten.
Neu wäre es andersherum gewesen: Wie wäre es Schröder wohl ergangen, er hätte als Bundeskanzler den Chef von Gazprom als Staatssekretär in seinem Kanzleramt angestellt? Und zwar mit dem Argument, einen besseren Experten für russische Energiepolitik, für Deutschland schließlich eminent wichtig, hätte er doch wohl kaum bekommen können.
Genau das ist die Robert-Habeck-Geschichte. Sven Giegold, einer der kapitalismuskritischen Attac-Gründer, ist Habecks Staatssekretär. Genau wie Patrick Graichen, der vorher Chef der aggressiven Öko-Lobbyorganisation Agora Energiewende war. Und da ist auch noch Klaus Müller, jener grüne Parteifreund und früher Chef-Verbraucherschützer, den Habeck als Chef der Bundesnetzagentur in den Staatsdienst aufnahm.
Oder Elga Bartsch, die es nach 20 Jahren in der Finanzwirtschaft, etwa beim Finanzinvestor Black Rock (man kennt die Firma auch als Ex-Arbeitgeber von Friedrich Merz) auf einen in Deutschland einzigartigen und traditionsbehafteten Abteilungsleiterposten brachte. Den Stuhl als Leiter der Hauptabteilung I im Bundeswirtschaftsministerium bekleidete unter dem Wirtschaftswunder-Minister Ludwig Erhard damals Alfred Müller-Armack. 1946 hatte Müller-Armack den Begriff der "Sozialen Marktwirtschaft" erfunden, den er ab 1952 als Erhards wichtigster Mann im Ministerium in die Tat umsetzen sollte.
Bartsch bekleidet ihr Amt, weil sie eine Aufgabe ähnlicher Dimension erfüllen soll. Aus der "Sozialen Marktwirtschaft" die "Sozial-Ökologische Marktwirtschaft" zu machen, das ist der Auftrag der Frau aus der Finanzwirtschaft, die als Expertin für ökologische Nachhaltigkeit gilt.
In der Macht-Disziplin, einflussreiche Lobbyisten zu Staatsdienern mit klarem politischem Auftrag zu machen, haben es die Grünen inzwischen zu einer gewissen Expertise gebracht. Parteipolitisch und machiavellistisch mag dies schlau sein, sind doch grüne Lobbyisten gestählt in der politischen Auseinandersetzung. Und die Minister, die diese Leute holen, senden ein unmissverständliches Signal an ihre Unterstützer: Seht her, wir meinen es ernst mit dem, was wir euch versprochen haben.
So machte es auch Annalena Baerbock, die grüne Außenministerin, als sie die frühere Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan zur internationalen Klimaschutzbeauftragten im Auswärtigen Amt beförderte. Die neuen Staatsdiener eint eine weitere Eigenschaft: sie wären nicht Öko-Lobbyisten geworden, handelte es sich bei ihnen nicht um Überzeugungstäter mit einem klaren missionarischen Auftrag, den sie sich selbst gegeben haben.
Nun mag man kritisieren, dass Baerbock und Habeck auf Steuerzahlerkosten Öko-Missionare an die Schaltstellen in ihren Ministerien holen, aber: Wer die Grünen wählte, konnte wissen, was geschehen würde. Baerbock und Habeck sind ausgewiesene Machtprofis, anders hätten sie es weder bei den Grünen zu etwas gebracht noch wären sie Bundesminister geworden. Die Macht über die Klimapolitik, ganz konkret bis zu den Heizungen der Bürger, liegt nun in der Hand von Öko-Missionaren - aber wurden die Grünen nicht gewählt, um eine solche Klimawende zu veranstalten?
Das stimmt sicherlich,
Auch das Argument, die Deutschen müssten zeigen, wie eine derartige Wärmewende funktionieren kann, verfängt nicht. Denn andere Länder haben dies schon vorgeführt, Norwegen etwa, wo schon 60 Prozent der Haushalte eine Wärmepumpe haben. Ein Land wie Deutschland, das Entwicklungen technologisch hinterher hinkt, taugt kaum als Vorbild für andere.
Weshalb kommen Robert Habeck und Annalena Baerbock also durch mit ihrer durchaus eigenwilligen Personalpolitik? Die den Grünen nahestehende "taz" berichtete schließlich schon vor knapp anderthalb Jahren darüber, spottete schon im Dezember 2021 über die "Energiewende als Familienbetrieb". Dass die CSU nun "lückenlose Aufklärung" vom Grünen Minister fordert, gehört in Berlin zum Profilierungs-Tagesgeschäft.
Geht es um Ministerschicksale, ist nicht entscheidend, wer etwas sagt, sondern: Wer nichts sagt. Nichts sagen: Olaf Scholz, der Bundeskanzler. Lars Klingbeil und Saskia Esken, die beiden SPD-Vorsitzenden. Nichts sagt Christian Lindner, und auch sein "Schwert", der liberale Fraktionsvorsitzende Christian Dürr, schweigt zu den Vorgängen. Sogar Wolfgang Kubicki hat noch nichts dazu getwittert.
Also: die eigenen Leute lassen Habeck (und Baerbock) gewähren, und zu den eigenen Leuten zählen eben auch die beiden Partner in der Ampelkoalition. Minister stürzen immer nur aus einem Grund: wenn sie den Rückhalt der eigenen Leute verlieren. Und das ist nun erkennbar bei Habeck nicht der Fall.
Was auch hieran liegt: Habeck steht eben auf der Seite des gemeinhin angenommen Guten, er will den weltweiten Klimakollaps verhindern. Und weil er dies von Deutschland aus betreibt, gehört er zur Kaste der Moralweltmeister, die es in der Politik und bei prominenten Medienleuten gibt. Anne Will beispielsweise, die sagt, "mit dem Klima kann man nicht verhandeln". Die "richtige" Haltung zu haben, schützt Habeck vor dem persönlichen Klimakollaps. Womit sich inzwischen die Maßstäbe verschoben haben, für vorbildliches Regierungshandeln.
Ein letztes: Über inzwischen Jahrzehnte gab es stets einen Ausgleich innerhalb einer Bundesregierung. Ein liberales Wirtschaftsministerium glich ein eingriff-freudiges, linkes Umweltministerium aus. Dessen Neigung, die Bürger im Namen "der Erde" zu reglementieren, wurde durch ein freiheitsliebenderes Haus ausgeglichen und eingehegt.
So war es auch zwischen Wirtschafts- und Sozialministerium. Ersteres achtete aufs Geldverdienen, letzteres konnte nicht so viel Geld ausgeben, wie es die vielfältigen Notlagen, die sich mit jeder sozialen Wohltat immer noch zu vermehren scheinen. Diese Wächterfunktion ist auf das Finanzministerium übergegangen.
Die Grünen haben, faktisch, das Wirtschaftsministerium geschlossen. Es ist ein Klimaministerium. So wie das Umweltressort. Die "balance of power" innerhalb der Regierung ist weg, wenn alle dasselbe wollen. Das Landwirtschaftsministerium ist auch ein Klimaministerium geworden, und in Teilen auch das Außenministerium.