10.11.2024 - 16:31 Uhr
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Kiew, Warschau. Polens Premierminister Donald Tusk startet eine diplomatische Offensive zur Unterstützung der Ukraine. Er werde bald Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron, Großbritanniens Premier Keir Starmer, Nato-Generalsekretär Mark Rutte sowie führende Politiker aus den nordischen und baltischen Staaten treffen, sagte Tusk am Samstag. Die Gespräche sollen sich um transatlantische Kooperation und den Krieg in der Ukraine drehen. Deutschland erwähnte er dabei bisher nicht.
Mit Blick auf die bald beginnende Präsidentschaft Donald Trumps in den USA sagte Tusk der Nachrichtenagentur Reuters zufolge, es bestehe "kein Zweifel, dass diese neue politische Landschaft eine ernsthafte Herausforderung für alle" darstelle, "insbesondere im Zusammenhang mit einem möglichen Ende des russisch-ukrainischen Krieges infolge einer Einigung beispielsweise zwischen dem Präsidenten Russlands und dem neuen Präsidenten der Vereinigten Staaten".
Tusk sagte außerdem, er glaube, es gebe "in naher Zukunft" eine Erklärung zum Datum eines möglichen Waffenstillstands und zu Sicherheitsgarantien für die Ukraine. Dies berichtete der ukrainisch-sprachige Dienst des öffentlich-rechtlichen Rundfunks Polskie Radio am Samstag. Tusk soll aber hervorgehoben haben, ein solcher Plan befinde sich wahrscheinlich erst in der Vorbereitungsphase. Die Entscheidungen würden "sicherlich ein geringeres Engagement der USA in ukrainischen Angelegenheiten bedeuten", so Tusk laut Polskie Radio.
Die Ukraine ist bei ihrer Verteidigung gegen Russland sowohl militärisch als auch finanziell massiv auf die Unterstützung der USA angewiesen. Vor seiner Wiederwahl hatte Trump angekündigt, den Krieg binnen 24 Stunden zu beenden, sollte er erneut Präsident werden. Der Frage, ob er die Unterstützung für das Land aufrechterhalten wolle, wich er allerdings aus. Trumps Vizekandidat J. D. Vance hatte erklärt, ein Abkommen zur Beendigung des Krieges würde "wahrscheinlich" bedeuten, dass Russland die in der Ukraine eroberten Gebiete behält und Kiew auf sein Ziel eines Nato-Beitritts verzichtet.
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In Kiew und anderen europäischen Hauptstädten löst die Wahl Trumps daher Sorgen aus. Beobachter in Kiew halten Trumps angekündigten Zeitplan für reine Rhetorik. Viele weisen auf die Komplexität des Konflikts hin und fürchten, Trump könnte in Gesprächen mit Russlands Präsident Wladimir Putin auf einen schnellen Deal setzen, der nur von kurzer Dauer wäre und zum Nachteil der angegriffenen Ukraine und ihrer europäischen Nachbarländer ausfallen würde.
Die ukrainische Friedensnobelpreisträgerin Oleksandra Matwijtschuk etwa betonte im Gespräch mit dem Handelsblatt in diesem Kontext, komplexe Fragen erforderten komplexe Antworten. Sie wies zudem auf die Gefahr hin, dass Russland sich neu formieren und erneut angreifen könnte, selbst wenn es eine Weile nicht versuche, zu expandieren.
Entsprechend häufen sich Forderungen, Europa müsse die Sicherheit auf dem eigenen Kontinent endlich selbst voranbringen. Tusk reagiert offenbar darauf. In den "kommenden Tagen", so sagte er, werde man "die Zusammenarbeit mit Ländern, die eine sehr ähnliche Sicht auf die geopolitische und transatlantische Situation und die Situation in der Ukraine haben, sehr intensiv koordinieren".
Deutschland zählt Tusk offenbar derzeit nicht dazu. Weder Scholz noch die Bundesrepublik erwähnt er im Zusammenhang mit den geplanten Gesprächen bislang öffentlich. Das Verhältnis zwischen Warschau und Berlin hat sich nach anfänglicher Zuversicht nach der Wahl Tusks zum Premier Ende 2023 abgekühlt.
Polen spielt in der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie innerhalb der Nato eine wichtige Rolle. Das Land ist mit Verteidigungsausgaben in Höhe von über vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) Spitzenreiter in der EU und grenzt direkt an die Ukraine. Trotzdem lud Bundeskanzler Olaf Scholz Tusk nicht ein, als er mit dem noch amtierenden US-Präsidenten Biden, Macron und Starmer Mitte Oktober in Berlin über die Ukraine sprach.
Mujtaba Rahman, Europa-Direktor des Geopolitik-Thinktanks Eurasia Group, schrieb dazu, das Weimarer Dreieck, also Deutschland, Frankreich und Polen, sollte "im Mittelpunkt jeder EU-/europäischen Reaktion stehen, aber Deutschland macht sich selbst irrelevant".
Im kommenden Mai findet in Polen die nächste Präsidentschaftswahl statt. Die Unterstützung für die Ukraine steht dabei Experten zufolge aber nicht auf dem Spiel. Die beiden großen Parteien des Landes seien sich "vollkommen darüber im Klaren, welche Bedrohung Putins Russland in Zukunft auch für Polen darstellen könnte", sagte der stellvertretende Direktor des staatlichen Forschungsinstituts Mieroszewski Centre, Lukasz Adamski, am Samstag in Kiew. "Daher ist Polens militärische Unterstützung für die Ukraine nicht in Gefahr", so Adamski.
Schon vor Donald Trumps Einzug ins Weiße Haus zeichnen sich bei der Suche nach Lösungen des Ukrainekrieges auch über Tusks Initiative hinaus ungewöhnliche Gesprächsformate ab: Direkt am Mittwoch gratulierte der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski Trump öffentlich. Später am Tag telefonierten die beiden. Außerdem wurde bekannt, dass beim Gespräch aufseiten Trumps auch Tech-Milliardär Elon Musk anwesend war. Die Konstellation wird als Zeichen des künftigen Einflusses von Musk auf Trump gewertet.