Von Ricarda Breyton
Politikredakteurin
Stand: 29.06.2024 | Lesedauer: 4 Minuten
Quelle: picture alliance/AA/Stringer
Dass die ungleiche Verteilung der Ukrainer in der EU ein Problem ist, betont seit kurzem auch die Bundesregierung. Die Aufnahme der vielen Flüchtlinge in Deutschland bleibe "ein gewaltiger Kraftakt", beklagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) kürzlich. Man müsse zu einer faireren Verteilung in der EU kommen. In der Tat hat Deutschland nicht nur bislang die meisten Flüchtlinge aufgenommen, mehr als 1,3 Millionen waren es im Mai. Es bleibt auch als Zielland für neue Kriegsflüchtlinge weit vorn.
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Es gebe eine gewisse Plausibilität dafür, dass eine Sekundärmigration von Polen nach Deutschland stattfinde, sagt Jan Schneider, Leiter des Bereichs Forschung beim Sachverständigenrat für Integration und Migration. Polen sei natürlich rein geografisch eine Art "Entry Gate" für alle neu Flüchtenden aus der Ukraine, und viele erhielten erst mal dort den polnischen temporären Schutztitel, bevor sie weiterzögen. Allerdings findet der Weiterzug nicht gleichmäßig nach Westeuropa statt. In einigen Staaten steigen die Zahlen wie in Deutschland. Andere hingegen haben inzwischen eher weniger Flüchtlinge. In den Niederlanden lagen die Zahlen zwischenzeitlich bei über 120.000, inzwischen sind es knapp 10.000 weniger. Auch Frankreich verzeichnete einen Rückgang.
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Ist das Bürgergeld ein Pull-Faktor nach Deutschland, weil die Sozialleistung im Vergleich zu anderen EU-Staaten vergleichsweise hoch ist? Das werfen unter anderem CDU und CSU der Bundesregierung vor. Oder spielen andere Faktoren für die ungleiche Verteilung eine Rolle? Größere wissenschaftliche Untersuchungen dazu sind bislang nicht bekannt. Nun aber bietet eine Studie erste Anhaltspunkte, die derzeit über das Europäische Migrationsnetzwerk (EMN) läuft und an der die EU-Staaten und Norwegen teilnehmen.
Sie dreht sich um die Frage, wie gut die Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge geklappt hat. Zwar steht der Endbericht noch aus, die Zulieferungen mehrerer Staaten liegen aber bereits vor.
Insbesondere der Bericht aus Polen ist interessant. Er beleuchtet als einen Teilaspekt, warum die Zahlen in Polen sanken und warum Deutschland als Zielland für viele Ukrainer offenbar so attraktiv ist.
Man habe Anfang 2023 eine "größere Abwanderung" von Schutzberechtigten festgestellt, "die nie die Absicht hatten, eine Beschäftigung aufzunehmen", heißt es in dem Bericht. Damals verschärfte Polen die Regeln für ukrainische Flüchtlinge. Sie waren fortan verpflichtet, einen Teil der Aufnahmekosten zu tragen.
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Viele Flüchtlinge, die zuerst in Polen Schutz begehrt hätten, seien über Monate nach Deutschland weitergezogen. "Mit Blick auf die Hauptgründe für den Umzug nach Deutschland nennen die meisten Flüchtlinge soziale Faktoren." Dazu zählten etwa Familienmitglieder in Deutschland, der Arbeitsmarkt dort oder die Möglichkeit, Sprachkurse zu besuchen. Auch der breite Zugang zu medizinischen Leistungen und Bildungsangeboten spiele eine Rolle.
Doch in Polen sanken die offiziellen Zahlen offenbar nicht nur wegen der Weiterwanderung. Sondern auch deswegen, weil viele Ukrainer zwar im Land blieben, aber ihren Flüchtlingsstatus aufgaben. So hätten sich Ukrainer ab April 2023 vermehrt um Aufenthaltstitel etwa zu Erwerbszwecken bemüht, heißt es im Bericht. In der Statistik laufen sie dann nicht mehr als Kriegsflüchtlinge, die temporären Schutz in Anspruch nehmen.
In Deutschland gelingt dieser Wechsel in andere Aufenthaltstitel hingegen bislang kaum. Grundsätzlich ist inzwischen zwar rund ein Fünftel der Ukrainer im erwerbsfähigen Alter sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Allerdings streben sie offenbar bislang kaum einen regulären Titel zu Erwerbszecken an. Der Wechsel stelle aktuell "die absolute Ausnahme" dar, heißt es im deutschen Beitrag zur EMN-Studie, den das Bundesamt für Migration erstellt hat. Auch aus diesem Grund ist die offizielle Zahl der Kriegsflüchtlinge in Deutschland so hoch.
"In Deutschland wurde die Öffnung des Arbeitsmarkts für Ukrainer in einigen Bereichen leider sehr verschleppt", sagt der Migrationsexperte Dietrich Thränhardt von der Universität Münster, der sich mit den unterschiedlichen Beschäftigungsquoten der Ukrainer in der EU befasst. Er nennt als Beispiel ukrainische Lastkraftwagenfahrer, die erst seit Mai 2024 in ihrem Job arbeiten dürften. "Der Fall ist eklatant, weil es in dem Bereich einen großen Bedarf, aber keine immensen sprachlichen Anforderungen gibt." Dass die Zahl der Beschäftigten nun schnell steige, erwarte er aber nicht. "Viele ukrainische Lkw-Fahrer dürften bereits für polnische Firmen arbeiten. Wenn sich ein System mal eingespielt hat, ist es schwer zu ändern."