Auch müsse der UNO-Sicherheitsrat bei einer Verständigung einbezogen werden. Die USA und Russland sollten eine gemeinsame Strategie gegen den IS entwickeln. Diese müssten sie dann notfalls gegen die Interessen der Türkei, des Iran und Saudi-Arabiens durchsetzen. Im Fall Syriens sei es sinnvoll, das Problem Assad hinten anzustellen. In diesem Konflikt gebe es sehr viele unterschiedliche Interessen. Wenn man sich verzettele, komme man nicht weiter.
Das eine ist, dass wir natürlich den Zulauf zu solchen Organisationen (IS) beenden müssen. Ich sage Ihnen mal ein Beispiel. Ich war in Bagdad, da haben sie mir erzählt, dass George W. Bush mit dafür gesorgt hat, dass jeder, der Mitglied der Baath-Partei war, bestraft wird, dass ein Taxifahrer, der einen Terroristen fährt, auch wenn er es nicht weiß, hingerichtet wird. Da habe ich gesagt, diese Gesetze müsst ihr aufheben. Die Leute rennen dann zum Islamischen Staat, weil sie sich da sicherer fühlen. Das heißt, wir müssen wirklich die Bedingungen vor Ort ändern, um den Zulauf zu beenden. Das ist das eine.
Das Zweite ist: Ich verstehe die Gegnerschaft zu Assad. Aber Assad wirft keine Bomben in Frankreich, fährt auch nicht mit einem LKW in die Leute rein. Also müssen wir uns jetzt darauf konzentrieren, den Islamischen Staat zu beseitigen und nicht gleichzeitig noch Assad zu beseitigen. Man muss Schwerpunkte setzen und dann müssen wir andere Fragen dort lösen, und ich hoffe, dass die Länder da sich auch mal koordinieren und sagen, was kann man eigentlich gemeinsam machen, um erstens den Zulauf zu beenden und zweitens dann auch wirksam den Islamischen Staat zu bekämpfen. Wir verzetteln uns furchtbar in diesen Fragen und das muss, glaube ich, überwunden werden. Aber im Augenblick bin ich auch so entsetzt. Es fällt mir jetzt auch keine richtige Lösung ein. Und ich muss sagen, ich weiß auch nicht, was man da machen soll. Aber so in etwa würde ich versuchen heranzugehen.
Das ganze Problem besteht bei Syrien natürlich wieder daran, dass das alles völkerrechtswidrig ist. Es gibt ja keinen Beschluss des Sicherheitsrates. Das Erste, was wir mal benötigen, ist eine Verständigung USA-Russland. Aber wir machen ja Sanktionen gegen Russland, anstatt zu sagen, gut, jetzt lasst uns doch mal gemeinsam das Problem Assad nach hinten verschieben, gemeinsam überlegen, wie wir den Islamischen Staat beseitigen. So einseitig und getrennt, wie das läuft, ...
Vor allen Dingen ist es doch so: In Syrien haben die Staaten ganz unterschiedliche Interessen. Ich kann die jetzt - ich glaube, die Zeit haben wir nicht - nicht alle aufzählen. Die USA wollen den Islamischen Staat beseitigen und Assad. Saudi-Arabien will auch Assad beseitigen, schweigt aber dazu, dass die Finanzoberschicht den Islamischen Staat bezahlt. Die Türkei bombardiert wiederum die Kurdinnen und Kurden in Syrien, die den Bodenkampf führen, weil sie kein autonomes Gebiet der Kurden haben wollen. Russland bekämpft nicht Assad, im Gegenteil, stärkt ihn eher, bekämpft den Islamischen Staat, aber nicht nur den Islamischen Staat, auch andere. Der Iran will wiederum Assad stärken. Verstehen Sie, das Durcheinander ist gewaltig.
Da gibt es nur eine Lösung: Russland und die USA müssen sich auf etwas verständigen, was dann auch vom Sicherheitsrat getragen wird, und das muss man dann auch mit Druck, auch gegen den Willen der türkischen oder saudi-arabischen oder iranischen Regierung durchsetzen. Anders wird es nicht laufen!
Wissen Sie, die Chemie zwischen den beiden an der Spitze, also Obama und Putin, stimmt nicht. Das weiß man ja. Das ist schon ein großes Problem. Ich habe das früher auch unterschätzt, was menschliche Probleme für eine Rolle in der Politik spielen können. Aber ich hoffe, dass sie das jetzt erkennen, dass vielleicht Frankreich auch noch mal den Druck diesbezüglich erhöht. Und wenn die sich verständigen und wir einen Kompromiss bekommen, dann passen dazu die Sanktionen der EU nicht. Wir müssen vermitteln, auch im Interesse der Ukraine, und weg kommen von diesen Sanktionen. Es gibt kein sicheres Europa ohne oder gar gegen Russland. Und wir sehen doch, wie wir Russland brauchen. Wir brauchten Russland für das Iran-Abkommen. Wir brauchen Russland im Kampf gegen den Islamischen Staat. Das bringt doch so nichts!
Und dann wird immer gesagt, das ist die erste gewaltsame Grenzänderung nach _45. Das stimmt überhaupt nicht. Kosovo war auch völkerrechtswidrig, war auch eine Grenzänderung. Und viele andere Beispiele könnte ich nennen. Also mit anderen Worten: Ich verurteile das. Ich sage, das mit der Krim war nicht in Ordnung. Aber die Sanktionen waren der falsche Weg. Von Anfang an hätten wir im Interesse der Ukraine und Russlands und Europas und Deutschlands vermitteln müssen, und da haben uns die USA auf einen falschen Weg geführt. Und weil wir leider hörig sind gegenüber der US-Administration, machen wir dann immer alles, was die sagen. Wir müssen etwas selbständiger werden, glaube ich.
Sie wissen ja, wie das mit den sogenannten Gastarbeitern in Deutschland gelaufen ist. Die wohnten alle zusammen, sie haben eine Parallelgesellschaft aufgebaut. Zur Integration gehört, dass man erstens die deutsche Sprache vermittelt, zweitens die Qualifikation ermittelt, drittens weitere Qualifikationsangebote unterbreitet, dann auf dem Arbeitsmarkt integriert, dann unterrichtet über unsere Grundrechte nach Artikel eins bis 20 des Grundgesetzes. Das finde ich ganz wichtig. Die kommen ja mit anderen Wertvorstellungen. Und dann muss man dafür sorgen, dass sie integriert werden in die deutsche Gesellschaft, da wohnen zwei Familien im Neubau und dann wieder zehn Kilometer entfernt zwei Familien. Nicht wie wir das gemacht haben, immer alle zusammen. Die Parallelgesellschaften beherrschen wir gar nicht und das ist in Frankreich ganz genauso. Es ist in Frankreich zum Teil sogar noch schlimmer. Denken Sie mal an die Gegend um Paris herum. Diese Ghettoisierung war ein schwerer Fehler und das müssen wir so schnell wie möglich korrigieren.
Das Erste ist, wir dürfen keine Lebensmittel der EU mehr an Afrika so verkaufen, dass sie billiger sind als die afrikanischen. So entsteht dort keine eigene Landwirtschaft. Wir müssen dafür sorgen, dass die Konzerne nicht mehr das Saatgut genmanipulieren, dass es sich nicht vervielfältigt. Und wir müssen den Krieg in Syrien beenden.
Sehen Sie mal, wir hatten Flüchtlinge aus Afghanistan schon vor dem Afghanistan-Krieg. Aber so viele Flüchtlinge, wie wir jetzt aus Afghanistan haben, war völlig undenkbar. Wir müssen mal begreifen, dass der Krieg das falsche Mittel ist. Also müssen wir den in Syrien so schnell wie möglich beenden.
Das ganze Interview auf Deutschlandfunk finden sie hier