Von Nele Behrens
12.03.2022, 14:33 Uhr
Wer aktuell einen neuen Stromanbieter sucht, muss sein Budget deutlich nach oben schrauben. Stark steigende Strompreise treiben viele Anbieter in die Ecke, vor allem günstigere Anbieter kündigten in der Vergangenheit häufiger ihre Kunden.
Hintergrund sind rasante Anstiege an der Strombörse. Hier kaufen Anbieter den Strom für ihre Kunden kurzfristig ein. Und das wird seit dem Krieg in der Ukraine noch deutlich teurer.
Der Preis an der Strombörse ist in den vergangenen zwei Wochen um mehr als 250 Prozent pro Megawattstunde gestiegen. Das zeigen Daten des Vergleichsportals Check24. Für eine Megawattstunde müssen Anbieter mittlerweile 322 Euro aufbringen, im März 2021 waren es dagegen noch 46 Euro.
"Der Druck auf die Strom- und Gaspreise ist aufgrund des Krieges in der Ukraine enorm", beobachtet auch Kerstin Andreae, Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft.
Doch was genau treibt den Preis so stark an? In der Vergangenheit war es vor allem die wirtschaftliche Erholung nach der Corona-Pandemie und die damit verbundene hohe Nachfrage nach Strom - doch der Krieg senkt nun den Optimismus in der Wirtschaft drastisch. Erste Unternehmen überlegen bereits, ob es bei den hohen Energiepreisen nicht wirtschaftlicher ist, die Maschinen nicht in Betrieb zu nehmen. Ein Wirtschaftsboom kann dieses Mal also nicht der Preistreiber sein.
Der Hintergrund der anziehenden Kosten ist vielmehr die Sorge um das Erdgas. Seit Russland den Krieg begonnen hat, wächst die Angst vor Lieferengpässen bei fossilen Energieträgern wie Öl, Erdgas oder Kohle. Das treibt die Preise hoch. Diskussionen um ein Embargo auf russisches Öl und Gas, wie sie die Regierungschefs der EU aktuell führen, verstärken diese Entwicklung. Die Wirtschaft warnt daher mit deutlichen Worten vor den Folgen - für die Industrie, aber auch den Verbraucher (mehr dazu lesen Sie hier).
"Ein kurzfristiger Stopp der Erdgaseinfuhren würde ganze Industriezweige und die Versorgung der Haushalte mit Strom und Wärme massiv gefährden", sagt Oliver Hermes, Chef des Ostausschusses der deutschen Wirtschaft. Anders als bei Erdöl und Kohle seien alternative Beschaffungsmöglichkeiten für Erdgas kurzfristig nicht ausreichend verfügbar.
Und Deutschland nutzt Erdgas noch immer in der Stromerzeugung - besonders im Winter. Erdgas machte 2021 im Durchschnitt 15 Prozent unseres Energiemixes aus, Kohlekraftwerke sogar knapp 28 Prozent, erklärt Andreae vom Branchenverband BDEW. "Jeweils etwa die Hälfte der deutschen Gas- und Steinkohleimporte kommt aus Russland", sagt sie.
Besonders im Winter müssen Stromerzeuger immer wieder auf die Stromerzeugung über Kohle oder Erdgas zurückgreifen, um kurze Versorgungslücken zu füllen. Denn die nachhaltige Energie, etwa über Fotovoltaik, erzeugt im Winter häufig weniger Strom.
Die Stromerzeugung über Erdgas ist ohnehin schon teuer, aber durch den Krieg in der Ukraine erhöhten sich die Kosten für den Rohstoff deutlich. Um 17 Prozent steigerte sich an der Börse der Kurs für Erdgas im vergangenen Monat.
Das beeinflusst auch die Preise an der Strombörse. Diese richten sich laut Berichten des Magazins "Forbes" immer nach der teuersten Art, Strom herzustellen - also nach dem Strom aus Gaswerken.
Einfach verzichten könnte Deutschland dennoch nicht auf das Gas in der Stromerzeugung. In der EU drängen viele Regierungschefs auf einen Importstopp von russischem Öl und Gas, um Putin finanziell empfindlich zu treffen. Der russische Präsident selbst hat als Reaktion seinerseits damit gedroht, die Exporte einzustellen.
Das dürften die deutschen Verbraucher auch beim Strom spüren: "Ein Lieferstopp würde die Energiewirtschaft und die Industrie vor enorme Herausforderungen stellen. Die Energiewirtschaft arbeitet mit Hochdruck an der Diversifizierung sowie an Energieeinsparungen und prüft alle Optionen, Gaslieferungen aus Russland möglicherweise zu substituieren", sagt die BDEW-Vorsitzende Andreae.
Im Fall der Fälle sei aber vorgesorgt, betonte am Freitag Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck: "Die Vorräte sind da", sagte der Grünen-Politiker. "Wir kommen durch diesen Winter durch." Auch die Versorgung mit Kohle sei bis Sommer gesichert.
Sollten die Rohstoffe knapp werden, greifen in Europa und in Deutschland zudem Sicherungsmechanismen, sagt Andreae. "In jedem Fall sind Haushaltskunden und Einrichtungen wie beispielsweise Krankenhäuser durch gesetzliche Bestimmungen besonders geschützt", so die BDEW-Vorsitzende.
Dennoch blickt Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, mit Optimismus in die Zukunft. "Offensichtlich enthalten Sprit- und Heizölpreise derzeit auch große Knappheitsprämien. Sie dürften sich wohl nur bei einer weiteren Verschärfung der Lage und tatsächlichen Engpässen als nachhaltig erweisen", schreibt er in einer Commerzbank-Analyse.
Krämer rechnet nicht mit einem Embargo und den damit verbundenen Lieferengpässen. Bleibt es bei seinem optimistischen Szenario, dürften die Preise im Laufe des Jahres wieder deutlich sinken, voraussichtlich ab Sommer. Doch selbst bei diesem zuversichtlichen Ausblick rechnet der Chefvolkswirt mit einer doppelt so hohen Energierechnung für Deutschland.
Sollte sich die Lage allerdings nicht beruhigen und die Energiepreise auf einem so hohen Niveau bleiben, kalkuliert der Ökonom mit starken Auswirkungen. "Da es in einem solchen Szenario wohl auch Engpässe bei der Versorgung geben würde, würde dann im Verlauf dieses Jahres wohl eine Rezession drohen", schreibt Kramer.
Quelle: t-online