FOCUS-Online-Reporter Göran Schattauer (Suhl)
Heute, 16.06.2021 | 18:03
Bei meinem Besuch im Suhler Asylheim will ich auch herausfinden, wie sich die Bewohner auf ein mögliches Leben in Deutschland vorbereiten. Ich frage mich: Was tun die Zuwanderer dafür, dass sie unsere Sprache lernen, die kulturellen Gepflogenheiten verstehen und die hier geltenden Gesetze verinnerlichen?
Bis zu 40 Leute hätten damals in dem Raum Platz gefunden. "Leider kamen nur zwei Asylbewerber", berichtet Ploch. Als man nochmal von Zimmer zu Zimmer ging und um Teilnahme bat, fanden sich zwei weitere Männer. Damit erreichte die Polizistin mit ihrem wichtigen Anliegen gerade mal 4 der damals rund 400 Heimbewohner, ein Prozent.
Zweieinhalb Stunden sprach die Beamtin über Aufgaben und Befugnisse der deutschen Polizei, Straftatbestände und die juristische Verfolgung. Zwei Dolmetscher übersetzten, am Ende nahmen die Asylbewerber Flyer mit, auf denen in arabischer und englischer Sprache Sätze standen wie:
Ploch bedauert, dass die Resonanz so gering war. "Wir haben die Hoffnung, dass künftig mehr Leute zu solchen Veranstaltungen kommen", sagt sie. "Es ist ein wichtiges Anliegen, dass sich Asylbewerber rechtssicher und rechtskonform in Deutschland bewegen können."
Niemand dürfte bestreiten, dass dieser Ansatz richtig ist, sogar dringend notwendig. Klar ist aber auch, dass die Suhler Polizei die wirklich "harten Fälle" damit kaum erreichen wird. Bei einigen helfen nicht einmal mehr gezielte Gefährderansprachen. Zu welchen Gewalttaten manche Asylbewerber fähig sind, kann man auf der zweiten Etage im Haus 20 eindrucksvoll sehen, dem Block für junge alleinstehende Männer.
Demolierte Tür nach Gewaltausbruch im Suhler Asylheim.
Die Tür eines Zimmers steht halb offen, Klinken und Beschläge rund ums Schloss sind herausgetrümmert, regelrecht abgerissen. "Das ist vor vier Wochen passiert", erzählt Frank Schlott, der Kontaktbeamte der Suhler Polizei im Asylheim.
In dem Zimmer wohnten zwei junge Männer aus dem Maghreb, sie hatten anderen Bewohnern etwas gestohlen. "Plötzlich stand eine Gruppe von 20 bis 30 Landsleuten vor der Tür und wollte die beiden lynchen", so Schlott. Die Türklinken wurden als Schlagwerkzeuge benutzt. Der 53-jährige Beamte sagt, bei Konflikten untereinander würden Asylbewerber so gut wie nie die Polizei einschalten. "Die wollen das selbst klären, so wie sie es aus ihren Heimatstaaten kennen."
Nur wenige Meter entfernt wieder Spuren roher Gewalt, diesmal im Gemeinschafts-Waschraum. Das Türblatt ist von mehreren fast kreisrunden Löchern durchbohrt, es sieht aus, als wären große Metallkugeln eingeschlagen. "Da hat ein Georgier mit der blanken Faust reingehauen", sagt Polizist Schlott, "aus reiner Zerstörungswut".
Zertrümmerte Tür im Gemeinschafts-Waschraum.
Im Bad selbst fällt auf, dass an den Fliesen über den Waschbecken, wo normalerweise Spiegel hängen, nur noch verdübelte Löcher sind. Der stellvertretende Heimleiter Michael Möwes erklärt, Spiegelscherben könnten als Waffe eingesetzt werden, das sei "sehr gefährlich". Überhaupt müsse man beim Einbau von Gegenständen immer die Frage mittdenken, ob sie nicht "zu anderen Zwecken" missbraucht werden könnten.
Der Kontaktbeamte Frank Schlott berichtet, Asylbewerber hätten schon "Feuerlöscher aus der Verankerung gerissen, komplette Türzargen demoliert, Rauchmelder abgeschlagen und ihre Betten auseinandergenommen". Die Metallstangen seien später bei Kontrollen entdeckt und beschlagnahmt worden.
Doch nicht nur potenzielle Schlagwerkzeuge wurden aus dem Verkehr gezogen. Im streng gesicherten Wachschutzraum am Eingang von Block 20, wo rund um die Uhr Sicherheitsleute sitzen, werden auch andere Fundstücke verwahrt: Cuttermesser in jeder Größe, Taschenmesser, auch zu Stichwaffen umfunktioniertes Metallbesteck. "Das sind nur Sachen aus den letzten Wochen", sagt Dirk Hausmann, der Wachdienst-Verantwortliche im Heim. "Wir müssen immer mal wieder ausmisten, weil es sonst zu viel wird."
Hausmann, der 50 Jahre alt ist und wie ein Schwergewichtsboxer aussieht, hat keine Angst, aber Respekt. Er selbst darf keine Waffen bei sich tragen, nicht einmal Pfefferspray. Hausmann sagt, er und seine 14 Wachschutz-Kollegen bemühten sich stets, "beruhigend auf die Bewohner einzuwirken". Nicht in jedem Fall gelingt das.
Einmal sah sogar ein Hüne wie Dirk Hausmann keine andere Möglichkeit, als sich selbst in Sicherheit zu bringen, so aufgeheizt und feindselig war die Stimmung. Nachdem ein Asylbewerber einen Koran zerrissen hatte, war es im Heim zu heftigen Tumulten gekommen. "In solchen Situationen", sagt Hausmann, "bleibt uns nichts weiter übrig, als die Polizei zu holen."
Von den Heim-Verantwortlichen in Suhl gibt sich niemand der Illusion hin, dass sich die Probleme irgendwann in Luft auflösen werden. Wenn Menschen unterschiedlicher Kulturen, Religionen und Weltanschauungen auf engem Raum zusammenleben, dann sind Konflikte programmiert.
Manchmal stammen Menschen aus demselben Land, sogar aus derselben Stadt - und sind doch tief verfeindet. Hinzu kommen unterschiedlichste Fluchthintergründe. Es ist eben ein Unterschied, ob jemand echte Kriegserfahrungen gemacht hat oder ob jemand nur nach Deutschland kommt, um wirtschaftlich besser dazustehen.
In den drei Blöcken des Suhler Asylheims mit seinen engen Treppenaufgängen und langen, düsteren Fluren prallen Welten aufeinander, im wahren Wortsinn.
Wie schnell einzelne Männer Unruhe stiften und damit Hunderte friedliebende Bewohner in Verruf bringen können, hat man hier schmerzlich erfahren müssen. Doch tatenlos wollen die Verantwortlichen nicht zusehen. "Wir versuchen zu reagieren, wo es nur geht", sagt Verwaltungsamts-Präsident Frank Roßner.
Nach der jüngsten Einbruchsserie in Häuser rund um den Suhler Friedberg seien fünf Heimbewohner als Tatverdächtige identifiziert worden. "Drei davon sind in Untersuchungshaft gekommen", so Roßner, "zwei haben wir in andere Einrichtungen verlegt". Das zeige, dass man die Probleme mit kriminellen Asylbewerbern "sehr ernst" nehme.
Neben solchen Signalen auch an die Suhler Bevölkerung setzen die Entscheider vor allem auf Verbesserungen der Wohnverhältnisse für die Asylbewerber. So sollen die dünnen Papp-Türen schon bald durch stabile Türen mit hochwertigen, massiven Schlössern ersetzt werden, die sich nicht so leicht aufbrechen lassen.
Mehr Schutz, mehr Sicherheit, mehr Privatsphäre für die Flüchtlinge - auch das gehört zum Konzept, um wieder mehr Ruhe reinzubringen in das Heim. Zwei Millionen Euro hat das Land Thüringen für Baumaßnahmen vorerst zur Verfügung gestellt. Von dem Geld sollen auch die Außenanlagen saniert und mehr Freizeitmöglichkeiten geschaffen werden.
Meine Runde durch das Asylheim endet bei Arnold Hantsch vom Arbeiter-Samariter-Bund (ASB). Der 59-jährige Internist leitet die ärztliche Abteilung der Erstaufnahmeeinrichtung. Er und sein Team kennen jeden einzelnen Bewohner ganz genau - durch die obligatorische Erstuntersuchung und Behandlungen aller Art. Hantsch hilft ihnen bei Schnupfen oder Rückenschmerzen, und er ist zur Stelle, wenn Flüchtlinge bei körperlichen Auseinandersetzungen verletzt wurden.
"Leider Gottes", sagt der Mediziner, "gibt es immer wieder einige wenige Leute aus bestimmten Nationen, die uns frustrieren". Sie würden im Heim "eine unschöne Rolle" spielen und in der Öffentlichkeit den fatalen Eindruck erwecken, "alle Bewohner seien kriminell".
Damit fasst der Arzt in zwei Sätzen zusammen, was auch ich als Reporter in Suhl beobachtet habe. An der Wand des Behandlungszimmers entdecke ich ein gerahmtes Bild. Es zeigt eine mit Buntstiften gemalte Landkarte Deutschlands. Den Hintergrund bildet eine schwarz-rot-gelbe Flagge. "Das Bild hat ein Lehrer aus Afghanistan gemalt, der bei uns im Heim war", erklärt der Arzt. "Er hat es uns geschenkt. Aus Dankbarkeit."
Quelle: focus.de vom 16.06.2021