Strategiepapier Baerbock ordnet "feministischen Reflex" an Die Außenministerin will eine Botschafterin für feministische Außenpolitik ernennen. Das ist nur eine von vielen Maßnahmen aus Baerbocks geplanten "Leitlinien feministischer Außenpolitik". Der Entwurf liegt dem SPIEGEL vor.

Von Marina Kormbaki

20.02.2023, 07.03 Uhr

Frauen sichtbar zu machen ist ein Instrument feministischer Außenpolitik. Und so hat sich Außenministerin Annalena Baerbock am Samstagmorgen, als sie auf der Münchner Sicherheitskonferenz rund zehn Amtskolleginnen zum Frühstück traf, die Gelegenheit für ein Selfie nicht entgehen lassen.

"We're getting there!", schrieb die Grüne dazu auf Twitter, es gehe voran. Frauen, so die Botschaft, eroberten allmählich die Männerdomäne der Außen- und Sicherheitspolitik. Geht es nach Baerbock, soll der Einfluss von Frauen weltweit rasch zunehmen.

Außenministerin Annalena Baerbock bei der Münchner Sicherheitskonferenz
Foto: Kira Hofmann / photothek / IMAGO

Die Grünen haben das Bekenntnis zu feministischer Außenpolitik in den Ampel-Koalitionsvertrag hineinverhandelt. Nach anfänglichem Zögern erklärte auch Baerbock den Feminismus zu einem Prinzip ihrer Politik. Nun setzt ihr Haus diesen Anspruch um und legt erstmals "Leitlinien feministischer Außenpolitik" vor. Am 1. März soll das Papier vorgestellt werden, der Entwurf dazu liegt dem SPIEGEL vor.

Feministische Außenpolitik, heißt es darin, sei "keine Außenpolitik für Frauen, sondern für alle Mitglieder einer Gesellschaft". Sie mache sich "für alle stark, die aufgrund von Geschlechtsidentität, Herkunft, Religion, Alter, Behinderung, sexueller Orientierung oder aus anderen Gründen an den Rand von Gesellschaften gedrängt werden." Mit dem feministischen Ansatz sollten "historisch gewachsene Machtstrukturen" aufgebrochen werden, steht in dem 41-seitigen Papier.

Diese Haltung soll sich als Roter Faden durch die gesamte deutsche Außenpolitik ziehen. Dafür legt das Auswärtige Amt insgesamt zwölf Leitlinien vor - sechs davon zielen auf die Arbeitsweise im Auswärtigen Dienst ab und sechs auf das außenpolitische Handeln. Die Leitlinien seien "als Arbeitsinstrument des Auswärtigen Amts" gedacht.

"Feministische Außenpolitik ist Chef*innensache", heißt es im Text. Baerbock selbst will sich darum kümmern, dass feministische Außenpolitik konkret nach innen und außen gelebt wird - aber nicht nur sie: "Wir werden eine Botschafter*in für feministische Außenpolitik ernennen", kündigt das Auswärtige Amt im Entwurfspapier an.

"Feministische Außenpolitik verankern wir in allen Pflichtfortbildungen unseres Dienstes, um einen ,feministischen Reflex' auszubilden."
Aus dem Entwurf zu den "Leitlinien feministischer Außenpolitik"

"Die Botschafter*in wird für das Mainstreaming feministischer Außenpolitik Sorge tragen. Sie wird die Leitlinien weiterentwickeln und ihre Umsetzung sicherstellen." Als Erste führte die schwedische Regierung im Jahr 2015 ein solches Amt ein - mit dem Titel "Botschafterin für Geschlechtergerechtigkeit".

Der künftigen deutschen Botschafterin werde ein Arbeitsstab "Feministische Außenpolitik" zugeordnet, den das Auswärtige Amt bereits im vergangenen Jahr eingerichtet hat. Zudem soll es in allen Abteilungen des Amts und an den Auslandsvertretungen Ansprechpersonen für feministische Außenpolitik geben.

Die "Genderkompetenz" des diplomatischen Personals soll gestärkt werden - mehr noch: Sie wird zum Einstellungskriterium. Im Leitlinienpapier heißt es dazu: "Bereits bei der Einstellung prüfen wir, ob Bewerber*innen über Gleichstellungs- und Diversitätskompetenz verfügen." Zudem sollen alle neuen Führungskräfte "eine Anti-Bias-Schulung durchlaufen, in der sie sich mit Vorurteilen und Privilegien auseinandersetzen".

Beabsichtigt ist nichts Geringeres als ein "Kulturwandel". Dazu kündigt das Amt an: "Feministische Außenpolitik verankern wir in allen Pflichtfortbildungen unseres Dienstes, um einen ,feministischen Reflex' auszubilden."

Nicht einmal jede dritte Botschaft wird von einer Frau geführt

Dieser "Reflex" soll dabei helfen, Diskriminierungen innerhalb des Auswärtigen Dienstes auszuschließen. Das Amt weiß um seinen Nachholbedarf: "Dabei ist uns bewusst, dass erhebliche Anstrengungen vor uns liegen, insbesondere mit Blick auf die Vertretung von Frauen in Führungsämtern unseres Dienstes", schreibt es. Noch immer würden nur 27 Prozent der Auslandsvertretungen von Frauen geleitet. In der Führungsriege der Zentrale sieht es nicht viel besser aus. "Hier werden wir schnellstmöglich korrigieren, was über viele Jahre nicht geleistet worden ist", gelobt das Amt.

Auch sexuelle Belästigung und Sexismus sollen bekämpft werden. "Sie haben keinen Platz im Auswärtigen Dienst", heißt es. Man setze konsequent auf Intervention und Prävention - nicht nur in der Zentrale: "Wir erleichtern den Zugang zu unserer Beschwerdestelle auch für diejenigen lokal Beschäftigten, die kein Deutsch sprechen." Auch anonyme Beschwerden sollen künftig möglich sein. Jede Form der sexuellen Belästigung sei verboten, schreiben die Autorinnen und Autoren und kündigen auch hier Fortbildungen an: "Wir sensibilisieren dafür, was genau sexuelle Belästigung ist."

Die neue feministische Grundhaltung soll sich nicht nur in den Köpfen, sondern auch in den Zahlen niederschlagen. "Wir werden auch unsere finanziellen Mittel systematischer in den Dienst feministischer Außenpolitik stellen", heißt es in den Leitlinien. "Unser Ziel ist, bis zum Ende der Legislaturperiode Gender Budgeting auf den gesamten Projekthaushalt des Auswärtigen Amts anzuwenden."

"Feministische Außenpolitik hält keine Zauberformel bereit, mit der sich unmittelbare sicherheitspolitische Bedrohungen bewältigen lassen."
Aus dem Entwurf zu den "Leitlinien feministischer Außenpolitik"

Baerbock bei Bäuerinnen im Niger: Keine Reise ohne Gespräche mit Frauen
Foto: Kay Nietfeld / dpa

Gemeint ist, bei jeder Haushaltsentscheidung und Mittelzuweisung sicherzustellen, dass das Geld der Gleichberechtigung von Frauen zugutekommt. In dem Papier werden bereits laufende frauenpolitische Projekte beispielhaft vorgestellt, etwa eines zur Unterstützung von Frauen in Nepal, die Opfer sexualisierter Gewalt wurden, sowie ein Projekt, das irakische Journalistinnen vernetzt.

In ihrem ersten Amtsjahr wurde Baerbock mehrfach vorgeworfen, ihrem feministischen Anspruch nicht gerecht zu werden - etwa als sie zunächst zögerte, die Gewalt gegen protestierende Frauen in Iran zu verurteilen. Vielleicht ist dies der Grund für die Warnung des Auswärtigen Amts vor allzu großen Erwartungen.

"Feministische Außenpolitik hält keine Zauberformel bereit, mit der sich unmittelbare sicherheitspolitische Bedrohungen bewältigen lassen", heißt es im Papier. Zudem zeige Russlands Krieg gegen die Ukraine, dass Menschenleben auch mit militärischen Mitteln geschützt werden müssten. "Deshalb ist feministische Außenpolitik nicht gleichbedeutend mit Pazifismus", stellt das Außenamt klar. Und weiter: "Feministische Außenpolitik, wie wir sie begreifen, setzt sowohl auf Prinzipienfestigkeit als auch auf Pragmatismus."

Baerbocks Delegationen sollen paritätisch besetzt sein

Baerbock will auch in die EU hinein einen feministischen Impuls setzen. "Auch wenn dazu in Brüssel bisher kein Konsens besteht, wollen wir die Grundlagen für eine europäische Außenpolitik legen, die die Belange von Frauen stärker ins Zentrum stellt und alle Menschen in unsere Außenpolitik einbezieht", schreibt ihr Haus und kündigt ein "Ideenpapier" dazu an.

Weitere in dem Papier genannte Maßnahmen sind:

Das Auswärtige Amt will mit positivem Beispiel vorangehen, es vertraut auf sanften pädagogischen Druck. Auf ihren Reisen erlebe sie, schreibt Baerbock im Vorwort zu den Leitlinien, dass es einen Unterschied mache, wie ihr Amt im Ausland auftrete. "Wenn unsere Delegation zu einem großen Teil aus Frauen besteht, bringt das unsere Gesprächspartner*innen dazu, zu erklären, warum dies auf der gegenüberliegenden Seite nicht so ist."

Einer ausdrücklich feministischen Außenpolitik haben sich bislang neben Deutschland auch Kanada, Frankreich, Luxemburg, Mexiko und Spanien verschrieben. Der Pionier Schweden ist inzwischen ausgeschert: Schwedens neuer Außenminister Tobias Billström kündigte gleich nach Amtsantritt der rechten Regierung im Herbst vergangenen Jahres an, sein Land werde keine ausdrücklich feministische Außenpolitik mehr verfolgen. Das Label sei zuletzt wichtiger geworden als der Inhalt, sagte Billström zur Begründung.


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